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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. I. Band.

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sind", und bei deren Uebersetzung derselbe sich ganz besonders bemüht hat, "um
die tiefinnigen, stets edlen Gedanken und Ideen des Dichters endlich ganz zur
Geltung gelaugen zu lassen." Wir bedauern, von diesen tiefinnigen, stets edlen
Gedanken in Andersens Sachen niemals Viel haben finden zu könne". Märchen
wachsen übrigens, werden also nicht gemacht. Gemachte Märchen sind künst¬
liche Blumen, die vielleicht Parfum, aber keinen Duft haben. Die Andersenschen
sind, obwohl wir ihnen Erfindungsgabe nicht absprechen wollen, von dieser
Regel nicht ausgenommen. Sie sind nichts weniger als naiv wie das echte
Märchen, und häufig herrscht in ihnen eine kränkliche, weinerliche Sentimen¬
talität -- man vergleiche z. B. "Die kleine Meerjungfrau" --, bei der einem
richtig empfindenden Gemüthe förmlich elend zu Muthe wird. Natürlich wird
dieses literarische Corsete dennoch nach wie vor seine Liebhaber und Käufer
finden; das gehört aber nur unter die Zeichen, daß der Geschmack der großen
Menge in Deutschland kein gesunder und lobenswerther ist.


Kaiser Wilhelms Gedenkbuch, 1797 -- 1877. Von Ludwig Hahn. Zweite
vermehrte Auflage. Berlin, Verlag von Wilhelm Hertz. 1877.

Das Buch giebt in einfacher, urkundlicher Darstellung ein Bild von dem
mächtig bewegten, ereignisreichen Lebenslauf unseres Kaisers. Ans Grund von
Thatsachen, amtlichen Documenten und beglaubigten persönlichen Aeußerungen
des Fürsten liefert der Verfasser in genetischer Gruppirung einerseits eine
Charakterzeichnung desselben, bei der kaum etwas vermißt werden wird, andrer¬
seits zugleich eine Uebersicht über den Gang der nationalen Entwickelung in
den letzten acht Jahrzehnten und namentlich in der wunderbaren Zeit, wo diese
Entwickelung sich um Preußen und seineu König gruppirte und von hier ans
zu Erfolgen geleitet wurde, welche erlebt zu haben, wir nus glücklich preisen.
Von dem Augenblicke an, wo der Prinz von Preußen als Regent die selb¬
ständige Leitung der Geschicke des Landes übernahm, fehlt unseres Wissens
hier keine Aeußerung desselben und kein Schriftstück, woraus Licht auf sein
Wollen und Bestreben fällt, und überhaupt nichts, wodurch er selbst die be¬
deutenderen Phasen seiner Regierung bezeichnet hat. Wir haben somit in der
Schrift gewissermaßen eine Selbstbiographie des Kaisers vor uns, die, wie
schließlich bemerkt sei, in der neuen Auflage bis zum 7V. Militairjubiläum
desselben (1. Januar d. I.) fortgeführt ist.




Verantwortlicher Redacteur: ol. Hans Blum in Leipzig.
Verlag van F. L. Hcrliig in Leipzig. -- Druck von Hiithel Herrmann in Leipzig.

sind", und bei deren Uebersetzung derselbe sich ganz besonders bemüht hat, „um
die tiefinnigen, stets edlen Gedanken und Ideen des Dichters endlich ganz zur
Geltung gelaugen zu lassen." Wir bedauern, von diesen tiefinnigen, stets edlen
Gedanken in Andersens Sachen niemals Viel haben finden zu könne». Märchen
wachsen übrigens, werden also nicht gemacht. Gemachte Märchen sind künst¬
liche Blumen, die vielleicht Parfum, aber keinen Duft haben. Die Andersenschen
sind, obwohl wir ihnen Erfindungsgabe nicht absprechen wollen, von dieser
Regel nicht ausgenommen. Sie sind nichts weniger als naiv wie das echte
Märchen, und häufig herrscht in ihnen eine kränkliche, weinerliche Sentimen¬
talität — man vergleiche z. B. „Die kleine Meerjungfrau" —, bei der einem
richtig empfindenden Gemüthe förmlich elend zu Muthe wird. Natürlich wird
dieses literarische Corsete dennoch nach wie vor seine Liebhaber und Käufer
finden; das gehört aber nur unter die Zeichen, daß der Geschmack der großen
Menge in Deutschland kein gesunder und lobenswerther ist.


Kaiser Wilhelms Gedenkbuch, 1797 — 1877. Von Ludwig Hahn. Zweite
vermehrte Auflage. Berlin, Verlag von Wilhelm Hertz. 1877.

Das Buch giebt in einfacher, urkundlicher Darstellung ein Bild von dem
mächtig bewegten, ereignisreichen Lebenslauf unseres Kaisers. Ans Grund von
Thatsachen, amtlichen Documenten und beglaubigten persönlichen Aeußerungen
des Fürsten liefert der Verfasser in genetischer Gruppirung einerseits eine
Charakterzeichnung desselben, bei der kaum etwas vermißt werden wird, andrer¬
seits zugleich eine Uebersicht über den Gang der nationalen Entwickelung in
den letzten acht Jahrzehnten und namentlich in der wunderbaren Zeit, wo diese
Entwickelung sich um Preußen und seineu König gruppirte und von hier ans
zu Erfolgen geleitet wurde, welche erlebt zu haben, wir nus glücklich preisen.
Von dem Augenblicke an, wo der Prinz von Preußen als Regent die selb¬
ständige Leitung der Geschicke des Landes übernahm, fehlt unseres Wissens
hier keine Aeußerung desselben und kein Schriftstück, woraus Licht auf sein
Wollen und Bestreben fällt, und überhaupt nichts, wodurch er selbst die be¬
deutenderen Phasen seiner Regierung bezeichnet hat. Wir haben somit in der
Schrift gewissermaßen eine Selbstbiographie des Kaisers vor uns, die, wie
schließlich bemerkt sei, in der neuen Auflage bis zum 7V. Militairjubiläum
desselben (1. Januar d. I.) fortgeführt ist.




Verantwortlicher Redacteur: ol. Hans Blum in Leipzig.
Verlag van F. L. Hcrliig in Leipzig. — Druck von Hiithel Herrmann in Leipzig.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157640/368>, abgerufen am 03.05.2024.