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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band.

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fang des 16. Jahrhunderts, als die "Buchführer" mit ihren "Briefen", Ge¬
dichten und" Bildern im ganzen Lande von Ort zu Ort zogen, -- und damals
mit wie bescheidenen Mitteln! In wieviel großartigerer Weise könnte heute,
wo der Holzschnitt seit seinein Wiederaufleben in unserem Jahrhundert einen
so glänzenden Aufschwung genommen hat und zu einem mächtigen Träger der
Bildung geworden ist, eine solche Aufgabe gelöst werden! Sollte nicht ein
Versuch der Mühe lohnen?


G. Wustmann.


Der französische Kof vor hundert Jahren.

Wir stellten vor Kurzem bei der Anzeige des neuen Werkes von Hippo-
lhte Taine*) eine Probe seiner Behandlung der Kulturgeschichte in Aussicht.
Im Folgenden losen wir dieses Versprechen, indem wir nochmals auf die
Bedeutung des Werkes aufmerksam machen, durch einen ausführliche" Auszug
aus den Abschnitten, welche den Hof des vorrevolutionären Frankreich schildern.

Wir befinden uns im Jahre 1777 und im damaligen Versailles. Damit
haben wir uns auch in die damaligen Anschauungen vom Königthums versetzt,
Mit denen wir das, was uns vor die Augen tritt, nicht unnatürlich, unbillig,
abgeschmackt, greuelhaft, sondern ganz in der Ordnung finden. Der König
lst der Souverän, nicht der Mandatar des Volkes, Frankreich ist im eigentlichsten
Sinne sein Erbgut, und er ist in seinem guten Rechte, wenn er die Staats¬
einnahmen als seine eignen betrachtet und nach diesem Grundsatze über sie verfügt.
Seine Familie hat das Gut auf Kosten ihrer Nachbarn allmählich erworben,
Und es wäre ein Attentat, ihm bloß einen mäßigen Theil dessen, was es
Anbringt, zu beliebiger Verausgabung überlassen zu wollen. Uebrigens wirth¬
schaftet er zwar nichts weniger als musterhaft, aber besser mit seinem Eigen¬
tum als viele Andere. Er ist von guten Köpfen, erfahrenen und der Domäne
ergebenen Familienräthen umgeben, die ihm ehrfurchtsvoll Vorstellungen
Machen, wenn er, sein Interesse mißverstehend, zu viel ausgibt, und die ihn
^ufig zu Verbesserungen seines Gutes, Erbauung von Straßen und Kanälen,
Errichtung von Schulen und wissenschaftlichen Anstalten, ja selbst zur Duldung
d"n Ketzern, zur Beschränkung der todten Hand, zur Einberufung von Provinzial-
dersammlungen und ähnlichen Dingen, mit denen der Feudalstaat sich in
^um modernen verwandelt, veranlassen. Aber feudal oder modern, der Staat
^ stets sein Eigenthum, das er ebenso mißbrauchen als gebrauchen darf. Er



, *) Die Entstehung des modernen Frankreich. Bon H, Taine. Autorisirte
putsche Bearbeitung von L, Kätscher. Erster Band: Das vorrevolutionäre Frankreich,
^'pzig, Ernst Julius Günther, 1877,

fang des 16. Jahrhunderts, als die „Buchführer" mit ihren „Briefen", Ge¬
dichten und» Bildern im ganzen Lande von Ort zu Ort zogen, — und damals
mit wie bescheidenen Mitteln! In wieviel großartigerer Weise könnte heute,
wo der Holzschnitt seit seinein Wiederaufleben in unserem Jahrhundert einen
so glänzenden Aufschwung genommen hat und zu einem mächtigen Träger der
Bildung geworden ist, eine solche Aufgabe gelöst werden! Sollte nicht ein
Versuch der Mühe lohnen?


G. Wustmann.


Der französische Kof vor hundert Jahren.

Wir stellten vor Kurzem bei der Anzeige des neuen Werkes von Hippo-
lhte Taine*) eine Probe seiner Behandlung der Kulturgeschichte in Aussicht.
Im Folgenden losen wir dieses Versprechen, indem wir nochmals auf die
Bedeutung des Werkes aufmerksam machen, durch einen ausführliche» Auszug
aus den Abschnitten, welche den Hof des vorrevolutionären Frankreich schildern.

Wir befinden uns im Jahre 1777 und im damaligen Versailles. Damit
haben wir uns auch in die damaligen Anschauungen vom Königthums versetzt,
Mit denen wir das, was uns vor die Augen tritt, nicht unnatürlich, unbillig,
abgeschmackt, greuelhaft, sondern ganz in der Ordnung finden. Der König
lst der Souverän, nicht der Mandatar des Volkes, Frankreich ist im eigentlichsten
Sinne sein Erbgut, und er ist in seinem guten Rechte, wenn er die Staats¬
einnahmen als seine eignen betrachtet und nach diesem Grundsatze über sie verfügt.
Seine Familie hat das Gut auf Kosten ihrer Nachbarn allmählich erworben,
Und es wäre ein Attentat, ihm bloß einen mäßigen Theil dessen, was es
Anbringt, zu beliebiger Verausgabung überlassen zu wollen. Uebrigens wirth¬
schaftet er zwar nichts weniger als musterhaft, aber besser mit seinem Eigen¬
tum als viele Andere. Er ist von guten Köpfen, erfahrenen und der Domäne
ergebenen Familienräthen umgeben, die ihm ehrfurchtsvoll Vorstellungen
Machen, wenn er, sein Interesse mißverstehend, zu viel ausgibt, und die ihn
^ufig zu Verbesserungen seines Gutes, Erbauung von Straßen und Kanälen,
Errichtung von Schulen und wissenschaftlichen Anstalten, ja selbst zur Duldung
d"n Ketzern, zur Beschränkung der todten Hand, zur Einberufung von Provinzial-
dersammlungen und ähnlichen Dingen, mit denen der Feudalstaat sich in
^um modernen verwandelt, veranlassen. Aber feudal oder modern, der Staat
^ stets sein Eigenthum, das er ebenso mißbrauchen als gebrauchen darf. Er



, *) Die Entstehung des modernen Frankreich. Bon H, Taine. Autorisirte
putsche Bearbeitung von L, Kätscher. Erster Band: Das vorrevolutionäre Frankreich,
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[0335] fang des 16. Jahrhunderts, als die „Buchführer" mit ihren „Briefen", Ge¬ dichten und» Bildern im ganzen Lande von Ort zu Ort zogen, — und damals mit wie bescheidenen Mitteln! In wieviel großartigerer Weise könnte heute, wo der Holzschnitt seit seinein Wiederaufleben in unserem Jahrhundert einen so glänzenden Aufschwung genommen hat und zu einem mächtigen Träger der Bildung geworden ist, eine solche Aufgabe gelöst werden! Sollte nicht ein Versuch der Mühe lohnen? G. Wustmann. Der französische Kof vor hundert Jahren. Wir stellten vor Kurzem bei der Anzeige des neuen Werkes von Hippo- lhte Taine*) eine Probe seiner Behandlung der Kulturgeschichte in Aussicht. Im Folgenden losen wir dieses Versprechen, indem wir nochmals auf die Bedeutung des Werkes aufmerksam machen, durch einen ausführliche» Auszug aus den Abschnitten, welche den Hof des vorrevolutionären Frankreich schildern. Wir befinden uns im Jahre 1777 und im damaligen Versailles. Damit haben wir uns auch in die damaligen Anschauungen vom Königthums versetzt, Mit denen wir das, was uns vor die Augen tritt, nicht unnatürlich, unbillig, abgeschmackt, greuelhaft, sondern ganz in der Ordnung finden. Der König lst der Souverän, nicht der Mandatar des Volkes, Frankreich ist im eigentlichsten Sinne sein Erbgut, und er ist in seinem guten Rechte, wenn er die Staats¬ einnahmen als seine eignen betrachtet und nach diesem Grundsatze über sie verfügt. Seine Familie hat das Gut auf Kosten ihrer Nachbarn allmählich erworben, Und es wäre ein Attentat, ihm bloß einen mäßigen Theil dessen, was es Anbringt, zu beliebiger Verausgabung überlassen zu wollen. Uebrigens wirth¬ schaftet er zwar nichts weniger als musterhaft, aber besser mit seinem Eigen¬ tum als viele Andere. Er ist von guten Köpfen, erfahrenen und der Domäne ergebenen Familienräthen umgeben, die ihm ehrfurchtsvoll Vorstellungen Machen, wenn er, sein Interesse mißverstehend, zu viel ausgibt, und die ihn ^ufig zu Verbesserungen seines Gutes, Erbauung von Straßen und Kanälen, Errichtung von Schulen und wissenschaftlichen Anstalten, ja selbst zur Duldung d"n Ketzern, zur Beschränkung der todten Hand, zur Einberufung von Provinzial- dersammlungen und ähnlichen Dingen, mit denen der Feudalstaat sich in ^um modernen verwandelt, veranlassen. Aber feudal oder modern, der Staat ^ stets sein Eigenthum, das er ebenso mißbrauchen als gebrauchen darf. Er , *) Die Entstehung des modernen Frankreich. Bon H, Taine. Autorisirte putsche Bearbeitung von L, Kätscher. Erster Band: Das vorrevolutionäre Frankreich, ^'pzig, Ernst Julius Günther, 1877,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157642/335>, abgerufen am 26.05.2024.