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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. II. Band.

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Gemeinden dieser Ueberlastung durch Einrichtung von Kranken- und Hilfskassen
vorbeugen wollen. Und wir würden es als eine durchaus wohlthätige Wir¬
kung der Fristerhöhung willkommen heißen, wenn wie die "Motive" annehmen,
die Erweiterung den Erfolg haben sollte, daß sie die Neigung der Gemeinden
zur Errichtung von Hilfskassen vermehre.

Trotzdem können wir der in Aussicht genommenen Erweiterung ans drei
Monate nicht das Wort reden. Mit dein Verfasser des oben erwähnten Auf¬
satzes in der "Zeitschrift für badische Verwaltung und Verwaltungsrechtspflege"
sind wir der Ansicht, daß die bisherige Festsetzung einer sechswöchentlichen Frist
Sinn und Absicht des Gesetzgebers dahin dente, der Gemeinde des Dienst- oder
Arbeitsverhältnisses die Verpflichtung der Fürsorge für einen erkrankten Dienst¬
boten ü. f. w. die auf Zeitdauer einer, wenn auch nicht absolut rasch vorüber-
gehenden, so doch keinenfalls ungewöhnlich lang oder gar konstant andauernden
Krankheit aufzuerlegen. Die Ausdehnung der Verpflichtung auf eine zu lauge
Dauer widerspricht dem Grundgedanken des Reichsunterstützungswohusitzgesetzcs
von dem durch voraus gewährte wirthschaftliche Leistungen einigermaßen zu
bietenden Aequivalent für die allenfallsige Unterstützung. Die vielleicht während
eines zweitägigen Dienst- oder Arbeitsverhältnisses gewährte wirthschaftliche
Leistung ist aber gewiß nicht einmal das allerbescheidenste Aequivalent für eine
dreimonatliche, vollständig kostenfreie Kur und Verpflegung. Auch für einzelne
Klassen von Hilfsbedürftigen, so sehr die Unterstützungspflicht für dieselben
vielleicht auch nach besonderen Gesichtspunkten normirt werden muß, darf ein
Grundprinzip des Gesetzes nicht kurzweg cibrogirt werden. Doch räumen wir
ein, daß die sechswöcheutliche Frist für einigermaßen schwerere Erkrankungen,
namentlich auch für die Behandlung von chirurgisch Kranken, allzu kurz bemessen
ist, und jedenfalls sollte die Frist so stipulirt sein, daß sie die Zeitdauer des
Normalverlaufs der Erkrankungen umfaßt. In Anbetracht dessen dürfte die
vor Wirksamkeit des Reichsgesetzes bei uns in Baden bestandene achtwöchent¬
liche Frist zu empfehlen sein.

Unsere Ansicht wäre demnach, daß der proponirten Gesetzesänderung, in¬
fofern sie den Kreis der gemäß § 29 zu verpflegenden Personen durch Einreihung
der "Fabrikarbeiter, land- und forstwirtschaftlichen Arbeiter" erweitert, zuzu¬
stimmen sei, daß hingegen die sechswöchentliche Verpflichtung des Dienst- bezw-
Arbeitsortes nicht auf die Dauer von drei Monaten, wohl aber auf die von
acht Wochen zu erstrecken sei.


Zu Zifer 4.

Nach § 30l> des Gesetzes ist zur Erstattung der durch die
Unterstützung eines Hilfsbedürftigen erwachsenen Kosten, wenn der Unterstützte
keinen Unterstützungswohnsitz hat, derjenige Landarmenverband verpflichtet, w
dessen Bezirk er sich bei dem Eintritt der Unterstützungsbedürftigkcit befand.


Gemeinden dieser Ueberlastung durch Einrichtung von Kranken- und Hilfskassen
vorbeugen wollen. Und wir würden es als eine durchaus wohlthätige Wir¬
kung der Fristerhöhung willkommen heißen, wenn wie die „Motive" annehmen,
die Erweiterung den Erfolg haben sollte, daß sie die Neigung der Gemeinden
zur Errichtung von Hilfskassen vermehre.

Trotzdem können wir der in Aussicht genommenen Erweiterung ans drei
Monate nicht das Wort reden. Mit dein Verfasser des oben erwähnten Auf¬
satzes in der „Zeitschrift für badische Verwaltung und Verwaltungsrechtspflege"
sind wir der Ansicht, daß die bisherige Festsetzung einer sechswöchentlichen Frist
Sinn und Absicht des Gesetzgebers dahin dente, der Gemeinde des Dienst- oder
Arbeitsverhältnisses die Verpflichtung der Fürsorge für einen erkrankten Dienst¬
boten ü. f. w. die auf Zeitdauer einer, wenn auch nicht absolut rasch vorüber-
gehenden, so doch keinenfalls ungewöhnlich lang oder gar konstant andauernden
Krankheit aufzuerlegen. Die Ausdehnung der Verpflichtung auf eine zu lauge
Dauer widerspricht dem Grundgedanken des Reichsunterstützungswohusitzgesetzcs
von dem durch voraus gewährte wirthschaftliche Leistungen einigermaßen zu
bietenden Aequivalent für die allenfallsige Unterstützung. Die vielleicht während
eines zweitägigen Dienst- oder Arbeitsverhältnisses gewährte wirthschaftliche
Leistung ist aber gewiß nicht einmal das allerbescheidenste Aequivalent für eine
dreimonatliche, vollständig kostenfreie Kur und Verpflegung. Auch für einzelne
Klassen von Hilfsbedürftigen, so sehr die Unterstützungspflicht für dieselben
vielleicht auch nach besonderen Gesichtspunkten normirt werden muß, darf ein
Grundprinzip des Gesetzes nicht kurzweg cibrogirt werden. Doch räumen wir
ein, daß die sechswöcheutliche Frist für einigermaßen schwerere Erkrankungen,
namentlich auch für die Behandlung von chirurgisch Kranken, allzu kurz bemessen
ist, und jedenfalls sollte die Frist so stipulirt sein, daß sie die Zeitdauer des
Normalverlaufs der Erkrankungen umfaßt. In Anbetracht dessen dürfte die
vor Wirksamkeit des Reichsgesetzes bei uns in Baden bestandene achtwöchent¬
liche Frist zu empfehlen sein.

Unsere Ansicht wäre demnach, daß der proponirten Gesetzesänderung, in¬
fofern sie den Kreis der gemäß § 29 zu verpflegenden Personen durch Einreihung
der „Fabrikarbeiter, land- und forstwirtschaftlichen Arbeiter" erweitert, zuzu¬
stimmen sei, daß hingegen die sechswöchentliche Verpflichtung des Dienst- bezw-
Arbeitsortes nicht auf die Dauer von drei Monaten, wohl aber auf die von
acht Wochen zu erstrecken sei.


Zu Zifer 4.

Nach § 30l> des Gesetzes ist zur Erstattung der durch die
Unterstützung eines Hilfsbedürftigen erwachsenen Kosten, wenn der Unterstützte
keinen Unterstützungswohnsitz hat, derjenige Landarmenverband verpflichtet, w
dessen Bezirk er sich bei dem Eintritt der Unterstützungsbedürftigkcit befand.


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[0110] Gemeinden dieser Ueberlastung durch Einrichtung von Kranken- und Hilfskassen vorbeugen wollen. Und wir würden es als eine durchaus wohlthätige Wir¬ kung der Fristerhöhung willkommen heißen, wenn wie die „Motive" annehmen, die Erweiterung den Erfolg haben sollte, daß sie die Neigung der Gemeinden zur Errichtung von Hilfskassen vermehre. Trotzdem können wir der in Aussicht genommenen Erweiterung ans drei Monate nicht das Wort reden. Mit dein Verfasser des oben erwähnten Auf¬ satzes in der „Zeitschrift für badische Verwaltung und Verwaltungsrechtspflege" sind wir der Ansicht, daß die bisherige Festsetzung einer sechswöchentlichen Frist Sinn und Absicht des Gesetzgebers dahin dente, der Gemeinde des Dienst- oder Arbeitsverhältnisses die Verpflichtung der Fürsorge für einen erkrankten Dienst¬ boten ü. f. w. die auf Zeitdauer einer, wenn auch nicht absolut rasch vorüber- gehenden, so doch keinenfalls ungewöhnlich lang oder gar konstant andauernden Krankheit aufzuerlegen. Die Ausdehnung der Verpflichtung auf eine zu lauge Dauer widerspricht dem Grundgedanken des Reichsunterstützungswohusitzgesetzcs von dem durch voraus gewährte wirthschaftliche Leistungen einigermaßen zu bietenden Aequivalent für die allenfallsige Unterstützung. Die vielleicht während eines zweitägigen Dienst- oder Arbeitsverhältnisses gewährte wirthschaftliche Leistung ist aber gewiß nicht einmal das allerbescheidenste Aequivalent für eine dreimonatliche, vollständig kostenfreie Kur und Verpflegung. Auch für einzelne Klassen von Hilfsbedürftigen, so sehr die Unterstützungspflicht für dieselben vielleicht auch nach besonderen Gesichtspunkten normirt werden muß, darf ein Grundprinzip des Gesetzes nicht kurzweg cibrogirt werden. Doch räumen wir ein, daß die sechswöcheutliche Frist für einigermaßen schwerere Erkrankungen, namentlich auch für die Behandlung von chirurgisch Kranken, allzu kurz bemessen ist, und jedenfalls sollte die Frist so stipulirt sein, daß sie die Zeitdauer des Normalverlaufs der Erkrankungen umfaßt. In Anbetracht dessen dürfte die vor Wirksamkeit des Reichsgesetzes bei uns in Baden bestandene achtwöchent¬ liche Frist zu empfehlen sein. Unsere Ansicht wäre demnach, daß der proponirten Gesetzesänderung, in¬ fofern sie den Kreis der gemäß § 29 zu verpflegenden Personen durch Einreihung der „Fabrikarbeiter, land- und forstwirtschaftlichen Arbeiter" erweitert, zuzu¬ stimmen sei, daß hingegen die sechswöchentliche Verpflichtung des Dienst- bezw- Arbeitsortes nicht auf die Dauer von drei Monaten, wohl aber auf die von acht Wochen zu erstrecken sei. Zu Zifer 4. Nach § 30l> des Gesetzes ist zur Erstattung der durch die Unterstützung eines Hilfsbedürftigen erwachsenen Kosten, wenn der Unterstützte keinen Unterstützungswohnsitz hat, derjenige Landarmenverband verpflichtet, w dessen Bezirk er sich bei dem Eintritt der Unterstützungsbedürftigkcit befand.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157645/110>, abgerufen am 05.05.2024.