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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. I. Band.

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vollkommen Herr der deutschen Sprache ist und viele deutsche Gedichte, n. A.
auch Goethe's "Faust", ins Englische übertragen hat.


Rud. Doehn.


Mu deutschen Ueichstage und preußischen Landtage.

Unter einer merkwürdigeren Konstellation, als der gegenwärtigen, hätte
die Volksvertretung des deutschen Reiches nicht zusammentreten können. Seit
Jahren haben sich die kritischsten Fragen äußerer und innerer Politik nicht in
einem Maße gehäuft, wie in diesem Augenblick. Die orientalische Verwicke¬
lung aufs Aeußerste zugespitzt, das Konklave die Wahl vorbereitend, von der
es abhängen wird, ob zwischen dem modernen Staate und der römisch katho¬
lischen Kirche wieder friedlichere Beziehungen Platz greifen, oder ein Kampf
auf Leben und Tod geführt werden soll; im Innern die Ungewißheit noch
immer nicht gehoben, ob der erste Beamte des Reichs das von ihm geschaffene
Werk weiter führen oder ob er wirklich muthlos die Arme sinken lassen wird;
die Probleme einer lebensfähigen Organisation der Zentralverwaltung des
Reichs, eines den thatsächlichen Verhältnissen besser entsprechenden Zusammen¬
wirkens zwischen der Leitung der hauptsächlichsten Verwaltungszweige im Reich
und in Preußen noch mitten im Fluß, die endgültige Entscheidung über sie
noch ganz unberechenbar; die große Frage einer durchgreifenden Steuerreform,
ohne welche die stets steigenden finanziellen Bedürfnisse des Reichs, wie der
Einzelstaaten eine dauernde Befriedigung nicht finden können, noch nicht ein¬
mal klar und deutlich gestellt, geschweige denn reif zur Lösung; daneben der
Prinzipienstreit über die Wirthschaftspolitik, unterstützt einerseits durch das
fortdauernde Darniederliegeu des Verkehrs, andererseits durch das einstweilige
Scheitern der Handelsvertragsverhandlimgen mit Oesterreich, mit ungebrochener
Heftigkeit fortgesetzt -- das ist die Lage, unter welcher der deutsche Reichstag
diesmal seine Thätigkeit beginnt. Die Thronrede, trocken und geschäftsmäßig,
wie wir es im Reiche längst gewohnt sind, hat in das verhänguißschwere
Dunkel der Situation wenig Licht gebracht. Was sie über die orientalischen
Wirren sagt, klingt mehr wie ein frommer Wunsch, als wie eine ans feste
Thatsachen begründete Ueberzeugung. Erfreulich ist die erneute Bekräftigung
der Vermitteluugs- und Friedenspolitik, welche die Regierung des deutscheu
Reichs inmitten aller Komplikationen der letzten Jnhre unentwegt befolgt hat!


vollkommen Herr der deutschen Sprache ist und viele deutsche Gedichte, n. A.
auch Goethe's „Faust", ins Englische übertragen hat.


Rud. Doehn.


Mu deutschen Ueichstage und preußischen Landtage.

Unter einer merkwürdigeren Konstellation, als der gegenwärtigen, hätte
die Volksvertretung des deutschen Reiches nicht zusammentreten können. Seit
Jahren haben sich die kritischsten Fragen äußerer und innerer Politik nicht in
einem Maße gehäuft, wie in diesem Augenblick. Die orientalische Verwicke¬
lung aufs Aeußerste zugespitzt, das Konklave die Wahl vorbereitend, von der
es abhängen wird, ob zwischen dem modernen Staate und der römisch katho¬
lischen Kirche wieder friedlichere Beziehungen Platz greifen, oder ein Kampf
auf Leben und Tod geführt werden soll; im Innern die Ungewißheit noch
immer nicht gehoben, ob der erste Beamte des Reichs das von ihm geschaffene
Werk weiter führen oder ob er wirklich muthlos die Arme sinken lassen wird;
die Probleme einer lebensfähigen Organisation der Zentralverwaltung des
Reichs, eines den thatsächlichen Verhältnissen besser entsprechenden Zusammen¬
wirkens zwischen der Leitung der hauptsächlichsten Verwaltungszweige im Reich
und in Preußen noch mitten im Fluß, die endgültige Entscheidung über sie
noch ganz unberechenbar; die große Frage einer durchgreifenden Steuerreform,
ohne welche die stets steigenden finanziellen Bedürfnisse des Reichs, wie der
Einzelstaaten eine dauernde Befriedigung nicht finden können, noch nicht ein¬
mal klar und deutlich gestellt, geschweige denn reif zur Lösung; daneben der
Prinzipienstreit über die Wirthschaftspolitik, unterstützt einerseits durch das
fortdauernde Darniederliegeu des Verkehrs, andererseits durch das einstweilige
Scheitern der Handelsvertragsverhandlimgen mit Oesterreich, mit ungebrochener
Heftigkeit fortgesetzt -- das ist die Lage, unter welcher der deutsche Reichstag
diesmal seine Thätigkeit beginnt. Die Thronrede, trocken und geschäftsmäßig,
wie wir es im Reiche längst gewohnt sind, hat in das verhänguißschwere
Dunkel der Situation wenig Licht gebracht. Was sie über die orientalischen
Wirren sagt, klingt mehr wie ein frommer Wunsch, als wie eine ans feste
Thatsachen begründete Ueberzeugung. Erfreulich ist die erneute Bekräftigung
der Vermitteluugs- und Friedenspolitik, welche die Regierung des deutscheu
Reichs inmitten aller Komplikationen der letzten Jnhre unentwegt befolgt hat!


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[0323] vollkommen Herr der deutschen Sprache ist und viele deutsche Gedichte, n. A. auch Goethe's „Faust", ins Englische übertragen hat. Rud. Doehn. Mu deutschen Ueichstage und preußischen Landtage. Unter einer merkwürdigeren Konstellation, als der gegenwärtigen, hätte die Volksvertretung des deutschen Reiches nicht zusammentreten können. Seit Jahren haben sich die kritischsten Fragen äußerer und innerer Politik nicht in einem Maße gehäuft, wie in diesem Augenblick. Die orientalische Verwicke¬ lung aufs Aeußerste zugespitzt, das Konklave die Wahl vorbereitend, von der es abhängen wird, ob zwischen dem modernen Staate und der römisch katho¬ lischen Kirche wieder friedlichere Beziehungen Platz greifen, oder ein Kampf auf Leben und Tod geführt werden soll; im Innern die Ungewißheit noch immer nicht gehoben, ob der erste Beamte des Reichs das von ihm geschaffene Werk weiter führen oder ob er wirklich muthlos die Arme sinken lassen wird; die Probleme einer lebensfähigen Organisation der Zentralverwaltung des Reichs, eines den thatsächlichen Verhältnissen besser entsprechenden Zusammen¬ wirkens zwischen der Leitung der hauptsächlichsten Verwaltungszweige im Reich und in Preußen noch mitten im Fluß, die endgültige Entscheidung über sie noch ganz unberechenbar; die große Frage einer durchgreifenden Steuerreform, ohne welche die stets steigenden finanziellen Bedürfnisse des Reichs, wie der Einzelstaaten eine dauernde Befriedigung nicht finden können, noch nicht ein¬ mal klar und deutlich gestellt, geschweige denn reif zur Lösung; daneben der Prinzipienstreit über die Wirthschaftspolitik, unterstützt einerseits durch das fortdauernde Darniederliegeu des Verkehrs, andererseits durch das einstweilige Scheitern der Handelsvertragsverhandlimgen mit Oesterreich, mit ungebrochener Heftigkeit fortgesetzt -- das ist die Lage, unter welcher der deutsche Reichstag diesmal seine Thätigkeit beginnt. Die Thronrede, trocken und geschäftsmäßig, wie wir es im Reiche längst gewohnt sind, hat in das verhänguißschwere Dunkel der Situation wenig Licht gebracht. Was sie über die orientalischen Wirren sagt, klingt mehr wie ein frommer Wunsch, als wie eine ans feste Thatsachen begründete Ueberzeugung. Erfreulich ist die erneute Bekräftigung der Vermitteluugs- und Friedenspolitik, welche die Regierung des deutscheu Reichs inmitten aller Komplikationen der letzten Jnhre unentwegt befolgt hat!

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157649/323>, abgerufen am 29.04.2024.