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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. I. Band.

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Neues erfahren wir indeß damit nicht und vor Allem mangelt jede Gewähr,
daß der Erfolg, welchen diese Thätigkeit bisher gehabt hat, auch während der
nunmehr hereingebrochenen gefährlichsten Krise der gleiche bleiben wird. Die
Thronrede hat sich in dieser Beziehung mit bloßen Hoffnungen begnügen
müssen. Wir fürchten, auch der Reichskanzler wird, wenn er sich zur Beant¬
wortung der von den liberalen und konservativen Fraktionell eingebrachten
Jnterpellation über die Lage der Orientdinge bereit finden läßt, nicht viel mehr
verrathen können. Daß der Reichstag die auswärtige Lage in einem so be¬
deutsamen Augenblicke nicht mit absolutem Schweigen übergehen dürfte, ver¬
stand sich von selbst. Durch die uuverweilte Verständigung sämmtlicher reichs¬
treuen Parteien wurde zudem die Wiederholung des unerquicklichen Schauspiels
vermieden, daß der Reichskanzler, wie wir es so oft gesehen, die Darstellung
seiner auswärtigen Politik in der Form einer Vertheidigung gegen die An¬
griffe eines grundsätzlichen Gegners hätte vorbringen müssen. Im Uebrigen
wird die Verhandlung über die Jnterpellation praktisch kaum auf etwas An¬
deres hinauskommen, als auf ein neues Vertrauensvotum zu der Führung
unserer auswärtigen Angelegenheiten durch den Fürsten Bismarck.

Ueber das künftige Schicksal unserer Handelsbeziehungen zu Oesterreich
und damit unserer Handelspolitik überhaupt giebt die Thronrede ebenfalls keinen
positiven Aufschluß.

Bemerkenswerth ist aber, daß sie die Wiederaufnahme von Verhandlun¬
gen mit Oesterreich ziemlich sicher in Aussicht stellt, ja sogar die Hoffnung
auf das Zustandekommen eines neuen Vertragsverhältnisses vor dem 1. Juli
d. I. nicht unterdrückt. Ueber den Gang der früheren, Anfang Dezember
v. I. gescheiterten Verhandlungen und den gegenwärtigen Stand der Angele¬
genheit soll eine Denkschrift den Reichstag aufklären. Außerdem wird die
schutzzöllnerische Agitation schon dafür sorgen, daß die Zollpolitik bald genug
zur Debatte kommt.

Daß die Thronrede in der innern Krise kein entscheidendes Wort sprechen
werde, war Jedem im Voraus klar. Sind doch gerade für diejenige Vorlage,
welche die ersehnte Lösung anzubahnen bestimmt ist, die schwarzen und die
heitern Loose im Schooße des Bundesraths noch tief verborgen! Es scheint
auch nicht, daß die Entscheidung sich sehr rasch vollziehen werde. Die baierische
Regierung will sich ja, wie Herr von Lutz seinen neugierigen Ultramontanen
versichert, über "Ziel und Zweck" der Stellvertretungsvorlage erst nähere Auf¬
klärung verschaffen. An sich klingt dies freilich etwas wunderlich. Der Nächst¬
liegende Zweck, nämlich überhaupt eine Möglichkeit der Stellvertretung des
Reichskanzlers mit dem Rechte zur Gegenzeichnung zu schaffen, liegt ja sonnen¬
klar auf der Hand. Im Uebrigen verhehlt man sich auf keiner Seite, daß


Neues erfahren wir indeß damit nicht und vor Allem mangelt jede Gewähr,
daß der Erfolg, welchen diese Thätigkeit bisher gehabt hat, auch während der
nunmehr hereingebrochenen gefährlichsten Krise der gleiche bleiben wird. Die
Thronrede hat sich in dieser Beziehung mit bloßen Hoffnungen begnügen
müssen. Wir fürchten, auch der Reichskanzler wird, wenn er sich zur Beant¬
wortung der von den liberalen und konservativen Fraktionell eingebrachten
Jnterpellation über die Lage der Orientdinge bereit finden läßt, nicht viel mehr
verrathen können. Daß der Reichstag die auswärtige Lage in einem so be¬
deutsamen Augenblicke nicht mit absolutem Schweigen übergehen dürfte, ver¬
stand sich von selbst. Durch die uuverweilte Verständigung sämmtlicher reichs¬
treuen Parteien wurde zudem die Wiederholung des unerquicklichen Schauspiels
vermieden, daß der Reichskanzler, wie wir es so oft gesehen, die Darstellung
seiner auswärtigen Politik in der Form einer Vertheidigung gegen die An¬
griffe eines grundsätzlichen Gegners hätte vorbringen müssen. Im Uebrigen
wird die Verhandlung über die Jnterpellation praktisch kaum auf etwas An¬
deres hinauskommen, als auf ein neues Vertrauensvotum zu der Führung
unserer auswärtigen Angelegenheiten durch den Fürsten Bismarck.

Ueber das künftige Schicksal unserer Handelsbeziehungen zu Oesterreich
und damit unserer Handelspolitik überhaupt giebt die Thronrede ebenfalls keinen
positiven Aufschluß.

Bemerkenswerth ist aber, daß sie die Wiederaufnahme von Verhandlun¬
gen mit Oesterreich ziemlich sicher in Aussicht stellt, ja sogar die Hoffnung
auf das Zustandekommen eines neuen Vertragsverhältnisses vor dem 1. Juli
d. I. nicht unterdrückt. Ueber den Gang der früheren, Anfang Dezember
v. I. gescheiterten Verhandlungen und den gegenwärtigen Stand der Angele¬
genheit soll eine Denkschrift den Reichstag aufklären. Außerdem wird die
schutzzöllnerische Agitation schon dafür sorgen, daß die Zollpolitik bald genug
zur Debatte kommt.

Daß die Thronrede in der innern Krise kein entscheidendes Wort sprechen
werde, war Jedem im Voraus klar. Sind doch gerade für diejenige Vorlage,
welche die ersehnte Lösung anzubahnen bestimmt ist, die schwarzen und die
heitern Loose im Schooße des Bundesraths noch tief verborgen! Es scheint
auch nicht, daß die Entscheidung sich sehr rasch vollziehen werde. Die baierische
Regierung will sich ja, wie Herr von Lutz seinen neugierigen Ultramontanen
versichert, über „Ziel und Zweck" der Stellvertretungsvorlage erst nähere Auf¬
klärung verschaffen. An sich klingt dies freilich etwas wunderlich. Der Nächst¬
liegende Zweck, nämlich überhaupt eine Möglichkeit der Stellvertretung des
Reichskanzlers mit dem Rechte zur Gegenzeichnung zu schaffen, liegt ja sonnen¬
klar auf der Hand. Im Uebrigen verhehlt man sich auf keiner Seite, daß


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157649/324>, abgerufen am 16.05.2024.