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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. I. Band.

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Vom deutschen Ueichstage.

Ein Woche der merkwürdigsten Kontraste liegt hinter uns. Unmittelbar
nach einander war der Reichstag der Spiegel der imposanten Weltstellung
Deutschlands und der kläglichen Unzulänglichkeit und Verworrenheit seiner
inneren Zustände. Dem entsprechend herrschte am Anfänge der Woche die
gehobenste Stimmung, um schließlich einem Gefühle Platz zu machen, welches
Bamberger drastisch aber wahr als Katzenjammer bezeichnete. Es ist hier nicht
der Ort, auf die Erklärung des Reichskanzlers über die orientalische Frage
ausführlich zurückzukommen; wohl aber verlohnt sich, auch in diesen Blättern
den großartigen Triumph zu konstatiren, welchen die auswärtige Politik des
Fürsten Bismarck aufs Neue davongetragen. Wie wir vorhergesagt, hat die
Rede des Reichskanzlers unerwartete Aufschlüsse in allen wesentlichen Punkten
nicht gebracht; die Grundsätze, nach welchen die orientalische Politik des deut¬
schen Reiches zu führen sei, waren ja vom Fürsten Bismarck bereits am 5.
Dezember 1876 so klar und bestimmt entwickelt worden, daß ein Jeder sich
die Stellung Deutschlands auch in der gegenwärtigen politischen Situation
selbst konstruiren konnte. Das praktische Ergebniß der parlamentarischen Ver¬
handlung über die betreffende Jnterpellation konnte nur ein neues Vertrauens¬
votum für diese Politik sein. Und dasselbe ist glänzender ausgefallen, als je
ein anderes vorher. Gegenüber der Einmüthigkeit der liberalen und konserva¬
tiven Parteien, stand die Opposition der vereinigten Ultramontanen, Polen und
Sozialdemokraten um so jämmerlicher da. Der Versuch des Herrn Windthorst,
mit dem ganzen Apparat seiner gehässigen Unterstellungen und hypothetischen
Verlüumdungen Unfrieden zwischen Wien und Berlin zu säen, hatte lediglich
eine Erklärung Bismarcks über seine persönlichen Beziehungen zu Andrcissy
zur Folge, welche das gute Verhältniß zwischen den beiden Kabinetten nur
noch befestigen kann. So überwältigend war der Eindruck von der Korrekt¬
heit und Zweckmäßigkeit der von dem Reichskanzler gehandhabten auswärtigen
Politik, daß die gegnerische Presse sich kaum mit schüchternen und schwächliche"
Anzweiflungen hervorwagte, während die ungeheure Mehrheit aller Organe
der öffentlichen Meinung, darunter sogar ein sonst so schroffes Oppositions¬
blatt wie die "Frankfurter Zeitung", ihre unumwundene Anerkennung zum
Ausdruck brachte. Noch mehr aber: die Preßstimmen der ganzen Welt,
auch da, wo man für das neue deutsche Reich das entschiedenste Uebelwollen


Vom deutschen Ueichstage.

Ein Woche der merkwürdigsten Kontraste liegt hinter uns. Unmittelbar
nach einander war der Reichstag der Spiegel der imposanten Weltstellung
Deutschlands und der kläglichen Unzulänglichkeit und Verworrenheit seiner
inneren Zustände. Dem entsprechend herrschte am Anfänge der Woche die
gehobenste Stimmung, um schließlich einem Gefühle Platz zu machen, welches
Bamberger drastisch aber wahr als Katzenjammer bezeichnete. Es ist hier nicht
der Ort, auf die Erklärung des Reichskanzlers über die orientalische Frage
ausführlich zurückzukommen; wohl aber verlohnt sich, auch in diesen Blättern
den großartigen Triumph zu konstatiren, welchen die auswärtige Politik des
Fürsten Bismarck aufs Neue davongetragen. Wie wir vorhergesagt, hat die
Rede des Reichskanzlers unerwartete Aufschlüsse in allen wesentlichen Punkten
nicht gebracht; die Grundsätze, nach welchen die orientalische Politik des deut¬
schen Reiches zu führen sei, waren ja vom Fürsten Bismarck bereits am 5.
Dezember 1876 so klar und bestimmt entwickelt worden, daß ein Jeder sich
die Stellung Deutschlands auch in der gegenwärtigen politischen Situation
selbst konstruiren konnte. Das praktische Ergebniß der parlamentarischen Ver¬
handlung über die betreffende Jnterpellation konnte nur ein neues Vertrauens¬
votum für diese Politik sein. Und dasselbe ist glänzender ausgefallen, als je
ein anderes vorher. Gegenüber der Einmüthigkeit der liberalen und konserva¬
tiven Parteien, stand die Opposition der vereinigten Ultramontanen, Polen und
Sozialdemokraten um so jämmerlicher da. Der Versuch des Herrn Windthorst,
mit dem ganzen Apparat seiner gehässigen Unterstellungen und hypothetischen
Verlüumdungen Unfrieden zwischen Wien und Berlin zu säen, hatte lediglich
eine Erklärung Bismarcks über seine persönlichen Beziehungen zu Andrcissy
zur Folge, welche das gute Verhältniß zwischen den beiden Kabinetten nur
noch befestigen kann. So überwältigend war der Eindruck von der Korrekt¬
heit und Zweckmäßigkeit der von dem Reichskanzler gehandhabten auswärtigen
Politik, daß die gegnerische Presse sich kaum mit schüchternen und schwächliche»
Anzweiflungen hervorwagte, während die ungeheure Mehrheit aller Organe
der öffentlichen Meinung, darunter sogar ein sonst so schroffes Oppositions¬
blatt wie die „Frankfurter Zeitung", ihre unumwundene Anerkennung zum
Ausdruck brachte. Noch mehr aber: die Preßstimmen der ganzen Welt,
auch da, wo man für das neue deutsche Reich das entschiedenste Uebelwollen


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[0399] Vom deutschen Ueichstage. Ein Woche der merkwürdigsten Kontraste liegt hinter uns. Unmittelbar nach einander war der Reichstag der Spiegel der imposanten Weltstellung Deutschlands und der kläglichen Unzulänglichkeit und Verworrenheit seiner inneren Zustände. Dem entsprechend herrschte am Anfänge der Woche die gehobenste Stimmung, um schließlich einem Gefühle Platz zu machen, welches Bamberger drastisch aber wahr als Katzenjammer bezeichnete. Es ist hier nicht der Ort, auf die Erklärung des Reichskanzlers über die orientalische Frage ausführlich zurückzukommen; wohl aber verlohnt sich, auch in diesen Blättern den großartigen Triumph zu konstatiren, welchen die auswärtige Politik des Fürsten Bismarck aufs Neue davongetragen. Wie wir vorhergesagt, hat die Rede des Reichskanzlers unerwartete Aufschlüsse in allen wesentlichen Punkten nicht gebracht; die Grundsätze, nach welchen die orientalische Politik des deut¬ schen Reiches zu führen sei, waren ja vom Fürsten Bismarck bereits am 5. Dezember 1876 so klar und bestimmt entwickelt worden, daß ein Jeder sich die Stellung Deutschlands auch in der gegenwärtigen politischen Situation selbst konstruiren konnte. Das praktische Ergebniß der parlamentarischen Ver¬ handlung über die betreffende Jnterpellation konnte nur ein neues Vertrauens¬ votum für diese Politik sein. Und dasselbe ist glänzender ausgefallen, als je ein anderes vorher. Gegenüber der Einmüthigkeit der liberalen und konserva¬ tiven Parteien, stand die Opposition der vereinigten Ultramontanen, Polen und Sozialdemokraten um so jämmerlicher da. Der Versuch des Herrn Windthorst, mit dem ganzen Apparat seiner gehässigen Unterstellungen und hypothetischen Verlüumdungen Unfrieden zwischen Wien und Berlin zu säen, hatte lediglich eine Erklärung Bismarcks über seine persönlichen Beziehungen zu Andrcissy zur Folge, welche das gute Verhältniß zwischen den beiden Kabinetten nur noch befestigen kann. So überwältigend war der Eindruck von der Korrekt¬ heit und Zweckmäßigkeit der von dem Reichskanzler gehandhabten auswärtigen Politik, daß die gegnerische Presse sich kaum mit schüchternen und schwächliche» Anzweiflungen hervorwagte, während die ungeheure Mehrheit aller Organe der öffentlichen Meinung, darunter sogar ein sonst so schroffes Oppositions¬ blatt wie die „Frankfurter Zeitung", ihre unumwundene Anerkennung zum Ausdruck brachte. Noch mehr aber: die Preßstimmen der ganzen Welt, auch da, wo man für das neue deutsche Reich das entschiedenste Uebelwollen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157649/399>, abgerufen am 29.04.2024.