Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

im Herzen trägt, haben der Wahrheit die Ehre geben müssen. Wie ganz und
gar hat sich doch im Laufe der letzten zwei bis drei Jahre die Anschauung
Europa's über die Bismarck'schen Pläne, über die ganze Stellung, welche das
neue Deutschland nach seiner wunderbaren Wiedergeburt, uach seinen beispiel¬
losen kriegerischen Erfolgen im Rathe der Völker einzunehmen beanspruche, ge¬
ändert! Die wenigen Unverbesserlichen, welche auch jetzt noch dem deutschen
Reiche das Streben nach einem allbeherrschender Uebergewicht in Europa in-
sinuiren, brauchen einer ernsten Widerlegung gar nicht erst gewürdigt zu wer¬
den: sie verfallen einfach der Lächerlichkeit. Zu welchem Ergebniß die Ver¬
handlungen der bevorstehenden Konferenz nun auch führen mögen, kein Unbe¬
fangener wird mehr bestreiten können, daß Deutschland die Erhaltung des
allgemeinen Friedens redlich gewollt hat, und dem deutschen Volke ist von
Neuem die Gewißheit gegeben, daß sein Blut nicht in einem leichtfertig durch
die Eifersüchteleien und die Schachzüge der Diplomaten heraufbeschworenen
Kriege eingesetzt werden wird.

Es war nach langer Zeit wieder einmal das Gefühl der ungetrübten
Freude an dem neugeschaffenen nationalen Staatswesen, welches den Reichstag
am 19. Februar belebte. Die Kehrseite des Bildes trat bei der Debatte über
die Steuervorlagen ans Licht. Schon in unserem vorigen Briefe sind die
Gesichtspunkte gekennzeichnet, welche für die Haltung des Reichstages gegenüber
diesen Vorlagen maßgebend sein mußten. Noch entschiedener, als man vorher
erwarten konnte, ist diese Haltung seitens aller Parteien eine ablehnende ge¬
wesen. Wie die zweitägige Verhandlung ergab, ist man nicht allein über die
Nothwendigkeit einer Steuerreform überhaupt, sondern auch darüber einver¬
standen, daß dieselbe im Wege der Vermehrung der eigenen Einnahmen des
Reiches und der Entlastung der Einzelstaaten zu bewerkstelligen ist. Fast ebenso
einmüthig geht die Meinung des Reichstages dahin, daß diese Vermehrung
auf dem Gebiete der indirekten Steuern, und zwar besonders bei der Tabaks¬
steuer gesucht werden muß. Aber das einstimmige Urtheil sämmtlicher Parteien
ging dahin, daß die gegenwärtigen Vorlagen eine geeignete Grundlage zu einer
Steuerreform nicht darstellen, daß sie vielmehr auf eine bloße Steuer ver-
m eh rung hinauslaufen.

Soweit verlief Alles, wie sich ziemlich bestimmt vorhersehen ließ. Das
Unvorhergesehene war die Haltung der Regierung. Zuerst versuchten ihre
Vertreter, die Tabakssteuervorlage -- um diese fast ausschließlich drehte sich
die Debatte -- gegen die erhobenen Angriffe dadurch zu vertheidigen, daß sie
dieselbe als eine geeignete, ja unerläßliche Vorbereitungsmaßregel zu einer
Besteuerung des Tabaks in großem Style, sei es im Wege des amerikanischen
Systems, sei es im Wege des Monopols, bezeichneten. Dann erklärte Fürst


im Herzen trägt, haben der Wahrheit die Ehre geben müssen. Wie ganz und
gar hat sich doch im Laufe der letzten zwei bis drei Jahre die Anschauung
Europa's über die Bismarck'schen Pläne, über die ganze Stellung, welche das
neue Deutschland nach seiner wunderbaren Wiedergeburt, uach seinen beispiel¬
losen kriegerischen Erfolgen im Rathe der Völker einzunehmen beanspruche, ge¬
ändert! Die wenigen Unverbesserlichen, welche auch jetzt noch dem deutschen
Reiche das Streben nach einem allbeherrschender Uebergewicht in Europa in-
sinuiren, brauchen einer ernsten Widerlegung gar nicht erst gewürdigt zu wer¬
den: sie verfallen einfach der Lächerlichkeit. Zu welchem Ergebniß die Ver¬
handlungen der bevorstehenden Konferenz nun auch führen mögen, kein Unbe¬
fangener wird mehr bestreiten können, daß Deutschland die Erhaltung des
allgemeinen Friedens redlich gewollt hat, und dem deutschen Volke ist von
Neuem die Gewißheit gegeben, daß sein Blut nicht in einem leichtfertig durch
die Eifersüchteleien und die Schachzüge der Diplomaten heraufbeschworenen
Kriege eingesetzt werden wird.

Es war nach langer Zeit wieder einmal das Gefühl der ungetrübten
Freude an dem neugeschaffenen nationalen Staatswesen, welches den Reichstag
am 19. Februar belebte. Die Kehrseite des Bildes trat bei der Debatte über
die Steuervorlagen ans Licht. Schon in unserem vorigen Briefe sind die
Gesichtspunkte gekennzeichnet, welche für die Haltung des Reichstages gegenüber
diesen Vorlagen maßgebend sein mußten. Noch entschiedener, als man vorher
erwarten konnte, ist diese Haltung seitens aller Parteien eine ablehnende ge¬
wesen. Wie die zweitägige Verhandlung ergab, ist man nicht allein über die
Nothwendigkeit einer Steuerreform überhaupt, sondern auch darüber einver¬
standen, daß dieselbe im Wege der Vermehrung der eigenen Einnahmen des
Reiches und der Entlastung der Einzelstaaten zu bewerkstelligen ist. Fast ebenso
einmüthig geht die Meinung des Reichstages dahin, daß diese Vermehrung
auf dem Gebiete der indirekten Steuern, und zwar besonders bei der Tabaks¬
steuer gesucht werden muß. Aber das einstimmige Urtheil sämmtlicher Parteien
ging dahin, daß die gegenwärtigen Vorlagen eine geeignete Grundlage zu einer
Steuerreform nicht darstellen, daß sie vielmehr auf eine bloße Steuer ver-
m eh rung hinauslaufen.

Soweit verlief Alles, wie sich ziemlich bestimmt vorhersehen ließ. Das
Unvorhergesehene war die Haltung der Regierung. Zuerst versuchten ihre
Vertreter, die Tabakssteuervorlage — um diese fast ausschließlich drehte sich
die Debatte — gegen die erhobenen Angriffe dadurch zu vertheidigen, daß sie
dieselbe als eine geeignete, ja unerläßliche Vorbereitungsmaßregel zu einer
Besteuerung des Tabaks in großem Style, sei es im Wege des amerikanischen
Systems, sei es im Wege des Monopols, bezeichneten. Dann erklärte Fürst


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0400" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/139693"/>
          <p xml:id="ID_1211" prev="#ID_1210"> im Herzen trägt, haben der Wahrheit die Ehre geben müssen. Wie ganz und<lb/>
gar hat sich doch im Laufe der letzten zwei bis drei Jahre die Anschauung<lb/>
Europa's über die Bismarck'schen Pläne, über die ganze Stellung, welche das<lb/>
neue Deutschland nach seiner wunderbaren Wiedergeburt, uach seinen beispiel¬<lb/>
losen kriegerischen Erfolgen im Rathe der Völker einzunehmen beanspruche, ge¬<lb/>
ändert! Die wenigen Unverbesserlichen, welche auch jetzt noch dem deutschen<lb/>
Reiche das Streben nach einem allbeherrschender Uebergewicht in Europa in-<lb/>
sinuiren, brauchen einer ernsten Widerlegung gar nicht erst gewürdigt zu wer¬<lb/>
den: sie verfallen einfach der Lächerlichkeit. Zu welchem Ergebniß die Ver¬<lb/>
handlungen der bevorstehenden Konferenz nun auch führen mögen, kein Unbe¬<lb/>
fangener wird mehr bestreiten können, daß Deutschland die Erhaltung des<lb/>
allgemeinen Friedens redlich gewollt hat, und dem deutschen Volke ist von<lb/>
Neuem die Gewißheit gegeben, daß sein Blut nicht in einem leichtfertig durch<lb/>
die Eifersüchteleien und die Schachzüge der Diplomaten heraufbeschworenen<lb/>
Kriege eingesetzt werden wird.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1212"> Es war nach langer Zeit wieder einmal das Gefühl der ungetrübten<lb/>
Freude an dem neugeschaffenen nationalen Staatswesen, welches den Reichstag<lb/>
am 19. Februar belebte. Die Kehrseite des Bildes trat bei der Debatte über<lb/>
die Steuervorlagen ans Licht. Schon in unserem vorigen Briefe sind die<lb/>
Gesichtspunkte gekennzeichnet, welche für die Haltung des Reichstages gegenüber<lb/>
diesen Vorlagen maßgebend sein mußten. Noch entschiedener, als man vorher<lb/>
erwarten konnte, ist diese Haltung seitens aller Parteien eine ablehnende ge¬<lb/>
wesen. Wie die zweitägige Verhandlung ergab, ist man nicht allein über die<lb/>
Nothwendigkeit einer Steuerreform überhaupt, sondern auch darüber einver¬<lb/>
standen, daß dieselbe im Wege der Vermehrung der eigenen Einnahmen des<lb/>
Reiches und der Entlastung der Einzelstaaten zu bewerkstelligen ist. Fast ebenso<lb/>
einmüthig geht die Meinung des Reichstages dahin, daß diese Vermehrung<lb/>
auf dem Gebiete der indirekten Steuern, und zwar besonders bei der Tabaks¬<lb/>
steuer gesucht werden muß. Aber das einstimmige Urtheil sämmtlicher Parteien<lb/>
ging dahin, daß die gegenwärtigen Vorlagen eine geeignete Grundlage zu einer<lb/>
Steuerreform nicht darstellen, daß sie vielmehr auf eine bloße Steuer ver-<lb/>
m eh rung hinauslaufen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1213" next="#ID_1214"> Soweit verlief Alles, wie sich ziemlich bestimmt vorhersehen ließ. Das<lb/>
Unvorhergesehene war die Haltung der Regierung. Zuerst versuchten ihre<lb/>
Vertreter, die Tabakssteuervorlage &#x2014; um diese fast ausschließlich drehte sich<lb/>
die Debatte &#x2014; gegen die erhobenen Angriffe dadurch zu vertheidigen, daß sie<lb/>
dieselbe als eine geeignete, ja unerläßliche Vorbereitungsmaßregel zu einer<lb/>
Besteuerung des Tabaks in großem Style, sei es im Wege des amerikanischen<lb/>
Systems, sei es im Wege des Monopols, bezeichneten. Dann erklärte Fürst</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0400] im Herzen trägt, haben der Wahrheit die Ehre geben müssen. Wie ganz und gar hat sich doch im Laufe der letzten zwei bis drei Jahre die Anschauung Europa's über die Bismarck'schen Pläne, über die ganze Stellung, welche das neue Deutschland nach seiner wunderbaren Wiedergeburt, uach seinen beispiel¬ losen kriegerischen Erfolgen im Rathe der Völker einzunehmen beanspruche, ge¬ ändert! Die wenigen Unverbesserlichen, welche auch jetzt noch dem deutschen Reiche das Streben nach einem allbeherrschender Uebergewicht in Europa in- sinuiren, brauchen einer ernsten Widerlegung gar nicht erst gewürdigt zu wer¬ den: sie verfallen einfach der Lächerlichkeit. Zu welchem Ergebniß die Ver¬ handlungen der bevorstehenden Konferenz nun auch führen mögen, kein Unbe¬ fangener wird mehr bestreiten können, daß Deutschland die Erhaltung des allgemeinen Friedens redlich gewollt hat, und dem deutschen Volke ist von Neuem die Gewißheit gegeben, daß sein Blut nicht in einem leichtfertig durch die Eifersüchteleien und die Schachzüge der Diplomaten heraufbeschworenen Kriege eingesetzt werden wird. Es war nach langer Zeit wieder einmal das Gefühl der ungetrübten Freude an dem neugeschaffenen nationalen Staatswesen, welches den Reichstag am 19. Februar belebte. Die Kehrseite des Bildes trat bei der Debatte über die Steuervorlagen ans Licht. Schon in unserem vorigen Briefe sind die Gesichtspunkte gekennzeichnet, welche für die Haltung des Reichstages gegenüber diesen Vorlagen maßgebend sein mußten. Noch entschiedener, als man vorher erwarten konnte, ist diese Haltung seitens aller Parteien eine ablehnende ge¬ wesen. Wie die zweitägige Verhandlung ergab, ist man nicht allein über die Nothwendigkeit einer Steuerreform überhaupt, sondern auch darüber einver¬ standen, daß dieselbe im Wege der Vermehrung der eigenen Einnahmen des Reiches und der Entlastung der Einzelstaaten zu bewerkstelligen ist. Fast ebenso einmüthig geht die Meinung des Reichstages dahin, daß diese Vermehrung auf dem Gebiete der indirekten Steuern, und zwar besonders bei der Tabaks¬ steuer gesucht werden muß. Aber das einstimmige Urtheil sämmtlicher Parteien ging dahin, daß die gegenwärtigen Vorlagen eine geeignete Grundlage zu einer Steuerreform nicht darstellen, daß sie vielmehr auf eine bloße Steuer ver- m eh rung hinauslaufen. Soweit verlief Alles, wie sich ziemlich bestimmt vorhersehen ließ. Das Unvorhergesehene war die Haltung der Regierung. Zuerst versuchten ihre Vertreter, die Tabakssteuervorlage — um diese fast ausschließlich drehte sich die Debatte — gegen die erhobenen Angriffe dadurch zu vertheidigen, daß sie dieselbe als eine geeignete, ja unerläßliche Vorbereitungsmaßregel zu einer Besteuerung des Tabaks in großem Style, sei es im Wege des amerikanischen Systems, sei es im Wege des Monopols, bezeichneten. Dann erklärte Fürst

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157649
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157649/400
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157649/400>, abgerufen am 15.05.2024.