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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. I. Band.

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Literatur.
Goethe's Götz von Berlichingen, herausgegeben und erläutert von I. Nau-
mann. Leipzig, B. G. Teubner, 1877.

In dem Bestreben, geeignete Hilfsmittel zur Erklärung der Werke unsrer
großen klassischen Schriftsteller zu beschaffen, wird gegenwärtig ein erfreulicher
Wetteifer an den Tag gelegt. In neuen Gesammtausgaben ihrer Schriften
erscheinen zweckmäßige orientirende Einleitungen zu den einzelnen Werken und
gelegentliche erläuternde Noten unterm Text schon beinahe als etwas Selbst¬
verständliches. Aber auch die Erklärung einzelner Werke ist in den letzten
Jahren durch bedeutende Leistungen gefördert worden. Wir erinnern nur an
die Jung'sche Ausgabe von Schiller's "Briefen über ästhetische Erziehung"
(Teubner 1875), an die Blümnersche Ausgabe von Lessing's "Laokoon" (Weid¬
mann, 1876) und an die Cosack'schen "Materialien" zu Lessing's "Hamburgischer
Dramaturgie" (Schvningh, 1876). Die vorliegende kommentirte Ausgabe des
"Götz von Berlichingen", die wir in der bestimmten Erwartung zur Hand
nahmen, auch hier einer Arbeit zu begegnen, die sich den drei genannten wür¬
dig anreihen würde, hat leider unsere Hoffnungen getäuscht; sie ist ein ziem¬
lich oberflächliches und leichtfertiges Produkt.

Da bereits eine erläuterte Ausgabe des "Götz" von G. Wustmann (See¬
mann, 1871) existirt, so erschien es zunächst von Interesse, zu sehen, ob und
in wie weit der neue Herausgeber über seinen Vorgänger hinausgegangen sein
würde. Die nachfolgenden Bemerkungen werden dies zur Genüge darthun.
Die Anmerkungen, die Naumann unter dem Texte giebt, sind, man kann
nicht sagen ein Abklatsch des Wustmann'schen Kommentars, im Gegentheil, sie
sind, mit Lessing zu reden, die Arbeit eines "Nachahmers, der sich etwas zu¬
trauet." Leider fügt Lessing hinzu, daß ein solcher "selten nachahme, ohne
verschönern zu wollen; und wenn ihm dieses Verschönern, nach seiner Meinung,
geglückt ist, so ist er Fuchs genug, seine Fußtapfen, die den Weg, welchen
er hergekommen, verrathen würden, mit dem Schwänze zuzukehren. Aber
eben diese eitle Begierde zu verschönern, und diese Behutsamkeit Original zu
scheinen, entdeckt ihn." Dies trifft hier vollständig zu. An zwei oder drei
Stellen hat Naumann aus der anderen Ausgabe eine Anmerkung einfach
herübergenommen, mit Anführung seiner Quelle. An vielen anderen Stellen
aber, wo er dies getrost ebenfalls hätte thun können, giebt er sich alle erdenk¬
liche Mühe, "Original zu scheinen" und seine Fußtapfen "mit dem Schwänze
zuzukehren." Bald quält er sich ab, dasselbe wie W. mit anderen Worten zu


Literatur.
Goethe's Götz von Berlichingen, herausgegeben und erläutert von I. Nau-
mann. Leipzig, B. G. Teubner, 1877.

In dem Bestreben, geeignete Hilfsmittel zur Erklärung der Werke unsrer
großen klassischen Schriftsteller zu beschaffen, wird gegenwärtig ein erfreulicher
Wetteifer an den Tag gelegt. In neuen Gesammtausgaben ihrer Schriften
erscheinen zweckmäßige orientirende Einleitungen zu den einzelnen Werken und
gelegentliche erläuternde Noten unterm Text schon beinahe als etwas Selbst¬
verständliches. Aber auch die Erklärung einzelner Werke ist in den letzten
Jahren durch bedeutende Leistungen gefördert worden. Wir erinnern nur an
die Jung'sche Ausgabe von Schiller's „Briefen über ästhetische Erziehung"
(Teubner 1875), an die Blümnersche Ausgabe von Lessing's „Laokoon" (Weid¬
mann, 1876) und an die Cosack'schen „Materialien" zu Lessing's „Hamburgischer
Dramaturgie" (Schvningh, 1876). Die vorliegende kommentirte Ausgabe des
„Götz von Berlichingen", die wir in der bestimmten Erwartung zur Hand
nahmen, auch hier einer Arbeit zu begegnen, die sich den drei genannten wür¬
dig anreihen würde, hat leider unsere Hoffnungen getäuscht; sie ist ein ziem¬
lich oberflächliches und leichtfertiges Produkt.

Da bereits eine erläuterte Ausgabe des „Götz" von G. Wustmann (See¬
mann, 1871) existirt, so erschien es zunächst von Interesse, zu sehen, ob und
in wie weit der neue Herausgeber über seinen Vorgänger hinausgegangen sein
würde. Die nachfolgenden Bemerkungen werden dies zur Genüge darthun.
Die Anmerkungen, die Naumann unter dem Texte giebt, sind, man kann
nicht sagen ein Abklatsch des Wustmann'schen Kommentars, im Gegentheil, sie
sind, mit Lessing zu reden, die Arbeit eines „Nachahmers, der sich etwas zu¬
trauet." Leider fügt Lessing hinzu, daß ein solcher „selten nachahme, ohne
verschönern zu wollen; und wenn ihm dieses Verschönern, nach seiner Meinung,
geglückt ist, so ist er Fuchs genug, seine Fußtapfen, die den Weg, welchen
er hergekommen, verrathen würden, mit dem Schwänze zuzukehren. Aber
eben diese eitle Begierde zu verschönern, und diese Behutsamkeit Original zu
scheinen, entdeckt ihn." Dies trifft hier vollständig zu. An zwei oder drei
Stellen hat Naumann aus der anderen Ausgabe eine Anmerkung einfach
herübergenommen, mit Anführung seiner Quelle. An vielen anderen Stellen
aber, wo er dies getrost ebenfalls hätte thun können, giebt er sich alle erdenk¬
liche Mühe, „Original zu scheinen" und seine Fußtapfen „mit dem Schwänze
zuzukehren." Bald quält er sich ab, dasselbe wie W. mit anderen Worten zu


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[0402] Literatur. Goethe's Götz von Berlichingen, herausgegeben und erläutert von I. Nau- mann. Leipzig, B. G. Teubner, 1877. In dem Bestreben, geeignete Hilfsmittel zur Erklärung der Werke unsrer großen klassischen Schriftsteller zu beschaffen, wird gegenwärtig ein erfreulicher Wetteifer an den Tag gelegt. In neuen Gesammtausgaben ihrer Schriften erscheinen zweckmäßige orientirende Einleitungen zu den einzelnen Werken und gelegentliche erläuternde Noten unterm Text schon beinahe als etwas Selbst¬ verständliches. Aber auch die Erklärung einzelner Werke ist in den letzten Jahren durch bedeutende Leistungen gefördert worden. Wir erinnern nur an die Jung'sche Ausgabe von Schiller's „Briefen über ästhetische Erziehung" (Teubner 1875), an die Blümnersche Ausgabe von Lessing's „Laokoon" (Weid¬ mann, 1876) und an die Cosack'schen „Materialien" zu Lessing's „Hamburgischer Dramaturgie" (Schvningh, 1876). Die vorliegende kommentirte Ausgabe des „Götz von Berlichingen", die wir in der bestimmten Erwartung zur Hand nahmen, auch hier einer Arbeit zu begegnen, die sich den drei genannten wür¬ dig anreihen würde, hat leider unsere Hoffnungen getäuscht; sie ist ein ziem¬ lich oberflächliches und leichtfertiges Produkt. Da bereits eine erläuterte Ausgabe des „Götz" von G. Wustmann (See¬ mann, 1871) existirt, so erschien es zunächst von Interesse, zu sehen, ob und in wie weit der neue Herausgeber über seinen Vorgänger hinausgegangen sein würde. Die nachfolgenden Bemerkungen werden dies zur Genüge darthun. Die Anmerkungen, die Naumann unter dem Texte giebt, sind, man kann nicht sagen ein Abklatsch des Wustmann'schen Kommentars, im Gegentheil, sie sind, mit Lessing zu reden, die Arbeit eines „Nachahmers, der sich etwas zu¬ trauet." Leider fügt Lessing hinzu, daß ein solcher „selten nachahme, ohne verschönern zu wollen; und wenn ihm dieses Verschönern, nach seiner Meinung, geglückt ist, so ist er Fuchs genug, seine Fußtapfen, die den Weg, welchen er hergekommen, verrathen würden, mit dem Schwänze zuzukehren. Aber eben diese eitle Begierde zu verschönern, und diese Behutsamkeit Original zu scheinen, entdeckt ihn." Dies trifft hier vollständig zu. An zwei oder drei Stellen hat Naumann aus der anderen Ausgabe eine Anmerkung einfach herübergenommen, mit Anführung seiner Quelle. An vielen anderen Stellen aber, wo er dies getrost ebenfalls hätte thun können, giebt er sich alle erdenk¬ liche Mühe, „Original zu scheinen" und seine Fußtapfen „mit dem Schwänze zuzukehren." Bald quält er sich ab, dasselbe wie W. mit anderen Worten zu

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157649/402>, abgerufen am 29.04.2024.