Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

der erwachten Leidenschaft über Maaß und Ziel hinausstürmten, und lieber
bis auf den letzten Mann fechten und fallen wollten, ehe sie in eine Rückkehr
des "g-malen r^imo" willigten. Die Republick wollte mit der sehr erklärlichen
Leidenschaft einer jungen politischen Partei keinen Staat im Staate dulden,
war doch ihre Freiheit, wie auch die mancher heutigen Partei, dadurch kritisirt
daß sie keine andere Freiheit duldete, und gegen diese Uebermacht mußte das
kleine Häuflein der Vendeer zerschellen. Die Uneinigkeit konnte diesen Vorgang
höchstens beschleunigen. Nur eine energische Hülfe von außen hätte den Auf¬
stand zum Wendepunkt der Geschicke Frankreichs machen köunen. Im Interesse
der Entwickelung des Menschengeschlechts kann man das Scheitern desselben
kaum beklagen. Wenn mau sieht, was 25 Jahr später die Restauration aus
Frankreich zu machen bemüht war, dann kann mau sich ungefähr denken, was
Ludwig XVIII. angerichtet hätte, wenn ihn die Koaltion 1793 siegreich auf
dem Throne retablirt hätte.

Ein scharfes, wenn auch wenig schmeichelhaftes Licht wirft das Buch auch
auf, die Thätigkeit der französischen Emigration, obwohl derjenige Theil der¬
selben, den wir an der Landung von Quiberon theilnehmen sehen, unendlich
höher steht, als die Gesellschaft, die wir in der deutschen Kriegsgeschichte zu
Koblenz und Brüssel ihr jämmerliches Wesen treiben sehen. Wahrlich man
begreift das bittere Wort, das Einer aus der Mitte des französischen
Adels, auch ein Breton, gesprochen: "Es ist gut, daß die Guillotine Frank¬
reichs Adel in Blut tränkt, er erstickte sonst im Schmutze." Diese Leute waren
H. v. Clausewitz, unfähig, ihr Vciterlaud zu retten.




Keues aus dem Jahre 1791.

Solange der knrhessische Staat bestand, war das Staatsarchiv in Kassel
ziemlich unzugänglich sür geschichtliche Forschung. Es hing das mit den
Sonderbarkeiten des Kurfürsten zusammen. Das hat sich natürlich seit der
Einverleibung in Preußen sehr geändert. Das frühere kurhessische Staatsarchiv,
im März 1870 vou Kassel auf das bis April 1869 als Strafanstalt benutzte,
aus der Geschichte durch Luthers Gespräch mit Zwingli bekannte Schloß zu
Marburg verlegt, wird unter der preußischen Leitung zum erstenmale in all¬
gemeinerem Interesse nützlicher verwerthet; seiue für die Kenntniß der hessischen
wie der allgemeinen deutschen Geschichte bisher noch wenig benutzten Schätze
werden uach wissenschaftlichen Grundsätzen dem Publikum zugänglich gemacht.


der erwachten Leidenschaft über Maaß und Ziel hinausstürmten, und lieber
bis auf den letzten Mann fechten und fallen wollten, ehe sie in eine Rückkehr
des „g-malen r^imo" willigten. Die Republick wollte mit der sehr erklärlichen
Leidenschaft einer jungen politischen Partei keinen Staat im Staate dulden,
war doch ihre Freiheit, wie auch die mancher heutigen Partei, dadurch kritisirt
daß sie keine andere Freiheit duldete, und gegen diese Uebermacht mußte das
kleine Häuflein der Vendeer zerschellen. Die Uneinigkeit konnte diesen Vorgang
höchstens beschleunigen. Nur eine energische Hülfe von außen hätte den Auf¬
stand zum Wendepunkt der Geschicke Frankreichs machen köunen. Im Interesse
der Entwickelung des Menschengeschlechts kann man das Scheitern desselben
kaum beklagen. Wenn mau sieht, was 25 Jahr später die Restauration aus
Frankreich zu machen bemüht war, dann kann mau sich ungefähr denken, was
Ludwig XVIII. angerichtet hätte, wenn ihn die Koaltion 1793 siegreich auf
dem Throne retablirt hätte.

Ein scharfes, wenn auch wenig schmeichelhaftes Licht wirft das Buch auch
auf, die Thätigkeit der französischen Emigration, obwohl derjenige Theil der¬
selben, den wir an der Landung von Quiberon theilnehmen sehen, unendlich
höher steht, als die Gesellschaft, die wir in der deutschen Kriegsgeschichte zu
Koblenz und Brüssel ihr jämmerliches Wesen treiben sehen. Wahrlich man
begreift das bittere Wort, das Einer aus der Mitte des französischen
Adels, auch ein Breton, gesprochen: „Es ist gut, daß die Guillotine Frank¬
reichs Adel in Blut tränkt, er erstickte sonst im Schmutze." Diese Leute waren
H. v. Clausewitz, unfähig, ihr Vciterlaud zu retten.




Keues aus dem Jahre 1791.

Solange der knrhessische Staat bestand, war das Staatsarchiv in Kassel
ziemlich unzugänglich sür geschichtliche Forschung. Es hing das mit den
Sonderbarkeiten des Kurfürsten zusammen. Das hat sich natürlich seit der
Einverleibung in Preußen sehr geändert. Das frühere kurhessische Staatsarchiv,
im März 1870 vou Kassel auf das bis April 1869 als Strafanstalt benutzte,
aus der Geschichte durch Luthers Gespräch mit Zwingli bekannte Schloß zu
Marburg verlegt, wird unter der preußischen Leitung zum erstenmale in all¬
gemeinerem Interesse nützlicher verwerthet; seiue für die Kenntniß der hessischen
wie der allgemeinen deutschen Geschichte bisher noch wenig benutzten Schätze
werden uach wissenschaftlichen Grundsätzen dem Publikum zugänglich gemacht.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0082" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/139375"/>
          <p xml:id="ID_229" prev="#ID_228"> der erwachten Leidenschaft über Maaß und Ziel hinausstürmten, und lieber<lb/>
bis auf den letzten Mann fechten und fallen wollten, ehe sie in eine Rückkehr<lb/>
des &#x201E;g-malen r^imo" willigten. Die Republick wollte mit der sehr erklärlichen<lb/>
Leidenschaft einer jungen politischen Partei keinen Staat im Staate dulden,<lb/>
war doch ihre Freiheit, wie auch die mancher heutigen Partei, dadurch kritisirt<lb/>
daß sie keine andere Freiheit duldete, und gegen diese Uebermacht mußte das<lb/>
kleine Häuflein der Vendeer zerschellen. Die Uneinigkeit konnte diesen Vorgang<lb/>
höchstens beschleunigen. Nur eine energische Hülfe von außen hätte den Auf¬<lb/>
stand zum Wendepunkt der Geschicke Frankreichs machen köunen. Im Interesse<lb/>
der Entwickelung des Menschengeschlechts kann man das Scheitern desselben<lb/>
kaum beklagen. Wenn mau sieht, was 25 Jahr später die Restauration aus<lb/>
Frankreich zu machen bemüht war, dann kann mau sich ungefähr denken, was<lb/>
Ludwig XVIII. angerichtet hätte, wenn ihn die Koaltion 1793 siegreich auf<lb/>
dem Throne retablirt hätte.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_230"> Ein scharfes, wenn auch wenig schmeichelhaftes Licht wirft das Buch auch<lb/>
auf, die Thätigkeit der französischen Emigration, obwohl derjenige Theil der¬<lb/>
selben, den wir an der Landung von Quiberon theilnehmen sehen, unendlich<lb/>
höher steht, als die Gesellschaft, die wir in der deutschen Kriegsgeschichte zu<lb/>
Koblenz und Brüssel ihr jämmerliches Wesen treiben sehen. Wahrlich man<lb/>
begreift das bittere Wort, das Einer aus der Mitte des französischen<lb/>
Adels, auch ein Breton, gesprochen: &#x201E;Es ist gut, daß die Guillotine Frank¬<lb/>
reichs Adel in Blut tränkt, er erstickte sonst im Schmutze." Diese Leute waren<lb/><note type="byline"> H. v. Clausewitz,</note> unfähig, ihr Vciterlaud zu retten. </p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Keues aus dem Jahre 1791.</head><lb/>
          <p xml:id="ID_231" next="#ID_232"> Solange der knrhessische Staat bestand, war das Staatsarchiv in Kassel<lb/>
ziemlich unzugänglich sür geschichtliche Forschung. Es hing das mit den<lb/>
Sonderbarkeiten des Kurfürsten zusammen. Das hat sich natürlich seit der<lb/>
Einverleibung in Preußen sehr geändert. Das frühere kurhessische Staatsarchiv,<lb/>
im März 1870 vou Kassel auf das bis April 1869 als Strafanstalt benutzte,<lb/>
aus der Geschichte durch Luthers Gespräch mit Zwingli bekannte Schloß zu<lb/>
Marburg verlegt, wird unter der preußischen Leitung zum erstenmale in all¬<lb/>
gemeinerem Interesse nützlicher verwerthet; seiue für die Kenntniß der hessischen<lb/>
wie der allgemeinen deutschen Geschichte bisher noch wenig benutzten Schätze<lb/>
werden uach wissenschaftlichen Grundsätzen dem Publikum zugänglich gemacht.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0082] der erwachten Leidenschaft über Maaß und Ziel hinausstürmten, und lieber bis auf den letzten Mann fechten und fallen wollten, ehe sie in eine Rückkehr des „g-malen r^imo" willigten. Die Republick wollte mit der sehr erklärlichen Leidenschaft einer jungen politischen Partei keinen Staat im Staate dulden, war doch ihre Freiheit, wie auch die mancher heutigen Partei, dadurch kritisirt daß sie keine andere Freiheit duldete, und gegen diese Uebermacht mußte das kleine Häuflein der Vendeer zerschellen. Die Uneinigkeit konnte diesen Vorgang höchstens beschleunigen. Nur eine energische Hülfe von außen hätte den Auf¬ stand zum Wendepunkt der Geschicke Frankreichs machen köunen. Im Interesse der Entwickelung des Menschengeschlechts kann man das Scheitern desselben kaum beklagen. Wenn mau sieht, was 25 Jahr später die Restauration aus Frankreich zu machen bemüht war, dann kann mau sich ungefähr denken, was Ludwig XVIII. angerichtet hätte, wenn ihn die Koaltion 1793 siegreich auf dem Throne retablirt hätte. Ein scharfes, wenn auch wenig schmeichelhaftes Licht wirft das Buch auch auf, die Thätigkeit der französischen Emigration, obwohl derjenige Theil der¬ selben, den wir an der Landung von Quiberon theilnehmen sehen, unendlich höher steht, als die Gesellschaft, die wir in der deutschen Kriegsgeschichte zu Koblenz und Brüssel ihr jämmerliches Wesen treiben sehen. Wahrlich man begreift das bittere Wort, das Einer aus der Mitte des französischen Adels, auch ein Breton, gesprochen: „Es ist gut, daß die Guillotine Frank¬ reichs Adel in Blut tränkt, er erstickte sonst im Schmutze." Diese Leute waren H. v. Clausewitz, unfähig, ihr Vciterlaud zu retten. Keues aus dem Jahre 1791. Solange der knrhessische Staat bestand, war das Staatsarchiv in Kassel ziemlich unzugänglich sür geschichtliche Forschung. Es hing das mit den Sonderbarkeiten des Kurfürsten zusammen. Das hat sich natürlich seit der Einverleibung in Preußen sehr geändert. Das frühere kurhessische Staatsarchiv, im März 1870 vou Kassel auf das bis April 1869 als Strafanstalt benutzte, aus der Geschichte durch Luthers Gespräch mit Zwingli bekannte Schloß zu Marburg verlegt, wird unter der preußischen Leitung zum erstenmale in all¬ gemeinerem Interesse nützlicher verwerthet; seiue für die Kenntniß der hessischen wie der allgemeinen deutschen Geschichte bisher noch wenig benutzten Schätze werden uach wissenschaftlichen Grundsätzen dem Publikum zugänglich gemacht.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157649
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157649/82
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157649/82>, abgerufen am 29.04.2024.