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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. I. Band.

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Nachdem in den letzten Jahren schon einiges veröffentlicht worden, hat jetzt
der Geh.-Archivrath Dr. Strippelmann in Marburg Publikationen aus
einem Theile des Staatsarchivs, dem vormals "Kurfürstlichen Geheimen Kabinet"
begonnen.

Die "Beiträge zur Geschichte Hessen-Kassels" von denen soeben
das 1. Heft erschienen ist (Marburg 1877), sollen die Geschichte vom Jahre
1791 bis zum Schluß der französischen Okkupation Kurhessen's im Jahre
1813 umfassen. Das erste Heft enthält 8 Aufsätze, in welchen über einzelne
erhebliche, noch unbekannte oder noch ungenügend festgestellte Momente und
Ereignisse an der Hand von Urkunden Mittheilungen gemacht werden. Wir
greifen einige derselben heraus. Um dieselbe Zeit, als die französischen Emi¬
granten zu Koblenz den ersten Versuch machten, Preußen und Oesterreich
zum Einschreiten behufs Herstellung des Königthums in Frankreich zu bewegen,
im Mai 1791, machte Landgraf Ludwig von Hessen-Darmstadt dem Land¬
grafen Wilhelm IX. von Hessen, dem nachherigen ersten Kurfürsten, den Vor¬
schlag, zur Verhinderung einer Ausdehnung der Revolution in Mitteldeutschland
einen Truppenkordon vom Rhein bis zum Odenwald zu ziehen. Zugleich
hoffte er, daß "ein Bund Teutscher Fürsten zur Erhaltung Teutscher Verfassung
entstehe und an seiner Spitze die beiden regierenden Fürsten von Hessen."
Wilhelm IX. lehnte ab, indem er loyaler Weise sich erst mit Brandenburg,
Sachsen und Braunschweig verständigen wollte. Der Darmstädter Landgraf
setzte ihm jedoch wiederholt in längerem Schreiben zu und schloß bereits mit
dem Kurfürsten von Mainz einen solchen Vertrag. Auch dieser richtete nach
Kassel ein dringendes Gesuch um Beitritt. Es ist, als ob er das künftige Ge¬
schick von Mainz vorausgesehen hätte. Ihm bangte vor der UnHaltbarkeit der
Zustände wie vor der Unzulänglichkeit des Reichsschutzes; allein die Verhand¬
lungen zwischen den drei Fürsten drehten sich im August 1791 besonders um
die Frage, wer in diesem und jenem Falle den Oberbefehl führen solle; be¬
sondere Schwierigkeiten bereitete ihnen die Frage, wer den Oberbefehl führen
solle, wenn mal beide hessische Fürsten sich bei den Truppen befänden; der
Darmstädter schlug für diesen Fall eine Art von Demarkationslinie vor. Indeß
geht aus den weiteren Briefen hervor, daß der Kasseler Landgraf beharrlich
bei seiner Ablehnung blieb.

Hierauf spielten allerlei Versuche, im Namen und zu Gunsten Ludwigs XVI.
einen Vertrag wegen Stellung von 12,000 Mann bis zur Wiedereinsetzung
des Königs mit dem Landgrafen von Hessen-Kassel abzuschließen. Am 18. Juni
1791 erhielt dieser den Vorschlag des Grafen Artois und er war gar nicht
abgeneigt, wie seit lange üblich, die Landeskinder für fremde Zwecke zu ver¬
kaufen. Die jährlichen Subsidien sollten 3 Millionen Franks sein. In einer


Nachdem in den letzten Jahren schon einiges veröffentlicht worden, hat jetzt
der Geh.-Archivrath Dr. Strippelmann in Marburg Publikationen aus
einem Theile des Staatsarchivs, dem vormals „Kurfürstlichen Geheimen Kabinet"
begonnen.

Die „Beiträge zur Geschichte Hessen-Kassels" von denen soeben
das 1. Heft erschienen ist (Marburg 1877), sollen die Geschichte vom Jahre
1791 bis zum Schluß der französischen Okkupation Kurhessen's im Jahre
1813 umfassen. Das erste Heft enthält 8 Aufsätze, in welchen über einzelne
erhebliche, noch unbekannte oder noch ungenügend festgestellte Momente und
Ereignisse an der Hand von Urkunden Mittheilungen gemacht werden. Wir
greifen einige derselben heraus. Um dieselbe Zeit, als die französischen Emi¬
granten zu Koblenz den ersten Versuch machten, Preußen und Oesterreich
zum Einschreiten behufs Herstellung des Königthums in Frankreich zu bewegen,
im Mai 1791, machte Landgraf Ludwig von Hessen-Darmstadt dem Land¬
grafen Wilhelm IX. von Hessen, dem nachherigen ersten Kurfürsten, den Vor¬
schlag, zur Verhinderung einer Ausdehnung der Revolution in Mitteldeutschland
einen Truppenkordon vom Rhein bis zum Odenwald zu ziehen. Zugleich
hoffte er, daß „ein Bund Teutscher Fürsten zur Erhaltung Teutscher Verfassung
entstehe und an seiner Spitze die beiden regierenden Fürsten von Hessen."
Wilhelm IX. lehnte ab, indem er loyaler Weise sich erst mit Brandenburg,
Sachsen und Braunschweig verständigen wollte. Der Darmstädter Landgraf
setzte ihm jedoch wiederholt in längerem Schreiben zu und schloß bereits mit
dem Kurfürsten von Mainz einen solchen Vertrag. Auch dieser richtete nach
Kassel ein dringendes Gesuch um Beitritt. Es ist, als ob er das künftige Ge¬
schick von Mainz vorausgesehen hätte. Ihm bangte vor der UnHaltbarkeit der
Zustände wie vor der Unzulänglichkeit des Reichsschutzes; allein die Verhand¬
lungen zwischen den drei Fürsten drehten sich im August 1791 besonders um
die Frage, wer in diesem und jenem Falle den Oberbefehl führen solle; be¬
sondere Schwierigkeiten bereitete ihnen die Frage, wer den Oberbefehl führen
solle, wenn mal beide hessische Fürsten sich bei den Truppen befänden; der
Darmstädter schlug für diesen Fall eine Art von Demarkationslinie vor. Indeß
geht aus den weiteren Briefen hervor, daß der Kasseler Landgraf beharrlich
bei seiner Ablehnung blieb.

Hierauf spielten allerlei Versuche, im Namen und zu Gunsten Ludwigs XVI.
einen Vertrag wegen Stellung von 12,000 Mann bis zur Wiedereinsetzung
des Königs mit dem Landgrafen von Hessen-Kassel abzuschließen. Am 18. Juni
1791 erhielt dieser den Vorschlag des Grafen Artois und er war gar nicht
abgeneigt, wie seit lange üblich, die Landeskinder für fremde Zwecke zu ver¬
kaufen. Die jährlichen Subsidien sollten 3 Millionen Franks sein. In einer


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[0083] Nachdem in den letzten Jahren schon einiges veröffentlicht worden, hat jetzt der Geh.-Archivrath Dr. Strippelmann in Marburg Publikationen aus einem Theile des Staatsarchivs, dem vormals „Kurfürstlichen Geheimen Kabinet" begonnen. Die „Beiträge zur Geschichte Hessen-Kassels" von denen soeben das 1. Heft erschienen ist (Marburg 1877), sollen die Geschichte vom Jahre 1791 bis zum Schluß der französischen Okkupation Kurhessen's im Jahre 1813 umfassen. Das erste Heft enthält 8 Aufsätze, in welchen über einzelne erhebliche, noch unbekannte oder noch ungenügend festgestellte Momente und Ereignisse an der Hand von Urkunden Mittheilungen gemacht werden. Wir greifen einige derselben heraus. Um dieselbe Zeit, als die französischen Emi¬ granten zu Koblenz den ersten Versuch machten, Preußen und Oesterreich zum Einschreiten behufs Herstellung des Königthums in Frankreich zu bewegen, im Mai 1791, machte Landgraf Ludwig von Hessen-Darmstadt dem Land¬ grafen Wilhelm IX. von Hessen, dem nachherigen ersten Kurfürsten, den Vor¬ schlag, zur Verhinderung einer Ausdehnung der Revolution in Mitteldeutschland einen Truppenkordon vom Rhein bis zum Odenwald zu ziehen. Zugleich hoffte er, daß „ein Bund Teutscher Fürsten zur Erhaltung Teutscher Verfassung entstehe und an seiner Spitze die beiden regierenden Fürsten von Hessen." Wilhelm IX. lehnte ab, indem er loyaler Weise sich erst mit Brandenburg, Sachsen und Braunschweig verständigen wollte. Der Darmstädter Landgraf setzte ihm jedoch wiederholt in längerem Schreiben zu und schloß bereits mit dem Kurfürsten von Mainz einen solchen Vertrag. Auch dieser richtete nach Kassel ein dringendes Gesuch um Beitritt. Es ist, als ob er das künftige Ge¬ schick von Mainz vorausgesehen hätte. Ihm bangte vor der UnHaltbarkeit der Zustände wie vor der Unzulänglichkeit des Reichsschutzes; allein die Verhand¬ lungen zwischen den drei Fürsten drehten sich im August 1791 besonders um die Frage, wer in diesem und jenem Falle den Oberbefehl führen solle; be¬ sondere Schwierigkeiten bereitete ihnen die Frage, wer den Oberbefehl führen solle, wenn mal beide hessische Fürsten sich bei den Truppen befänden; der Darmstädter schlug für diesen Fall eine Art von Demarkationslinie vor. Indeß geht aus den weiteren Briefen hervor, daß der Kasseler Landgraf beharrlich bei seiner Ablehnung blieb. Hierauf spielten allerlei Versuche, im Namen und zu Gunsten Ludwigs XVI. einen Vertrag wegen Stellung von 12,000 Mann bis zur Wiedereinsetzung des Königs mit dem Landgrafen von Hessen-Kassel abzuschließen. Am 18. Juni 1791 erhielt dieser den Vorschlag des Grafen Artois und er war gar nicht abgeneigt, wie seit lange üblich, die Landeskinder für fremde Zwecke zu ver¬ kaufen. Die jährlichen Subsidien sollten 3 Millionen Franks sein. In einer

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157649/83>, abgerufen am 16.05.2024.