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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. II. Band.

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Lin sozialdemokratischer Agitator in Kalifornien.

Es ist von uns bereits in Ur. 27 der "Grenzboten" darauf hingewiesen
worden, daß seit etwa fünf Jahren sozialdemokratische und kommunistische Agi¬
tationen in der nordamerikanischen Union bedeutend an Boden gewonnen haben;
leider ist dies nun während des Sommers dieses Jahres noch in erhöhtem
Maße geschehen, da die bevorstehenden wichtigen Herbstwahlen in verschiedenen
Unionsstaaten die politischen Parteileidenschaften noch mehr entflammt und Ver¬
anlassung zu deu stärksten Agitationen gegeben haben. In ganz besonderem
Grade sind der Muth und die Hoffnung der amerikanischen Sozialdemokraten
gestärkt worden dnrch das Resultat der Wahlen, welche Ende dieses Jahres für
eine Staatskonventivn behufs Revision der Staatsverfassung in Kalifornien
stattfanden. Das Staatsschiff des "Gvldstaates", wie Kalifornien genannt zu
werden Pflegt, war in der That in Gefahr, in den gefährlichsten aller Strudel,
d. h. in die Hände der Kommunisten und Sozialdemokraten, zu gerathen, schlie߬
lich ist es jedoch dieser Gefahr noch einmal entronnen. Von den 152 Dele-
girten, welche die Staatsverfassung Kaliforniens zu revidiren haben, zählen 51
zu der sozialdemokratischen Arbeiterpartei, während die Fraktion der "Unpar¬
teiischen", die eine nicht geringe Anzahl rechtlicher und unbestechlicher Männer
in sich schließt, mit 81 Repräsentanten die absolute Majorität erlangt hat. Die
Republikaner haben 11, die Demokraten 7 und die "Unabhängigen" gar nur
2 Vertreter gewählt. Zu deu gegründeten Beschwerden und Uebelständen, für
welche die genannte Staatskouvention Abhülfe schaffe" soll, gehören vornehm¬
lich das gewissenlose Treiben der Landspeknlanten und Monopolisten in Kali¬
fornien, das ungerechte Verhältniß in der Besteuerung des dortigen Grund¬
eigenthums, der Kulihaudel und die damit zusammenhängende verzwickte
Chinesenfrage.

Was die zuletzt erwähnte Frage anbetrifft, so liegt es allerdings nicht in
der Macht der Verfassungskonvention von Kalifornien, den zwischen der nord¬
amerikanischen Union und China abgeschlossenen Vertrag, dessen Berechtigung
der höchste Gerichtshof in den Vereinigten Staaten anerkannt hat und dem ge¬
mäß die Chineseneinwanderung zulässig ist, zu annlliren; allein einen feier¬
lichen Protest gegen diesen Vertrag kann jene Versammlung wohl erheben, und
dieser Protest dürfte nach Allem, was bereits in dieser Angelegenheit geschehen
ist, bei der Bundesregierung und dem Kongreß in Washington City nicht un-
gehört und unbeachtet verhallen. Wie segensreich auch in vieler Hinsicht die
Chineseuarbeit den Pazifiestaaten gewesen und zum Theil noch ist, so darf
man doch seine Augen nicht vor den vielen Uebelständen, die in sozialer und


Grenzboten IV. 187". 19
Lin sozialdemokratischer Agitator in Kalifornien.

Es ist von uns bereits in Ur. 27 der „Grenzboten" darauf hingewiesen
worden, daß seit etwa fünf Jahren sozialdemokratische und kommunistische Agi¬
tationen in der nordamerikanischen Union bedeutend an Boden gewonnen haben;
leider ist dies nun während des Sommers dieses Jahres noch in erhöhtem
Maße geschehen, da die bevorstehenden wichtigen Herbstwahlen in verschiedenen
Unionsstaaten die politischen Parteileidenschaften noch mehr entflammt und Ver¬
anlassung zu deu stärksten Agitationen gegeben haben. In ganz besonderem
Grade sind der Muth und die Hoffnung der amerikanischen Sozialdemokraten
gestärkt worden dnrch das Resultat der Wahlen, welche Ende dieses Jahres für
eine Staatskonventivn behufs Revision der Staatsverfassung in Kalifornien
stattfanden. Das Staatsschiff des „Gvldstaates", wie Kalifornien genannt zu
werden Pflegt, war in der That in Gefahr, in den gefährlichsten aller Strudel,
d. h. in die Hände der Kommunisten und Sozialdemokraten, zu gerathen, schlie߬
lich ist es jedoch dieser Gefahr noch einmal entronnen. Von den 152 Dele-
girten, welche die Staatsverfassung Kaliforniens zu revidiren haben, zählen 51
zu der sozialdemokratischen Arbeiterpartei, während die Fraktion der „Unpar¬
teiischen", die eine nicht geringe Anzahl rechtlicher und unbestechlicher Männer
in sich schließt, mit 81 Repräsentanten die absolute Majorität erlangt hat. Die
Republikaner haben 11, die Demokraten 7 und die „Unabhängigen" gar nur
2 Vertreter gewählt. Zu deu gegründeten Beschwerden und Uebelständen, für
welche die genannte Staatskouvention Abhülfe schaffe» soll, gehören vornehm¬
lich das gewissenlose Treiben der Landspeknlanten und Monopolisten in Kali¬
fornien, das ungerechte Verhältniß in der Besteuerung des dortigen Grund¬
eigenthums, der Kulihaudel und die damit zusammenhängende verzwickte
Chinesenfrage.

Was die zuletzt erwähnte Frage anbetrifft, so liegt es allerdings nicht in
der Macht der Verfassungskonvention von Kalifornien, den zwischen der nord¬
amerikanischen Union und China abgeschlossenen Vertrag, dessen Berechtigung
der höchste Gerichtshof in den Vereinigten Staaten anerkannt hat und dem ge¬
mäß die Chineseneinwanderung zulässig ist, zu annlliren; allein einen feier¬
lichen Protest gegen diesen Vertrag kann jene Versammlung wohl erheben, und
dieser Protest dürfte nach Allem, was bereits in dieser Angelegenheit geschehen
ist, bei der Bundesregierung und dem Kongreß in Washington City nicht un-
gehört und unbeachtet verhallen. Wie segensreich auch in vieler Hinsicht die
Chineseuarbeit den Pazifiestaaten gewesen und zum Theil noch ist, so darf
man doch seine Augen nicht vor den vielen Uebelständen, die in sozialer und


Grenzboten IV. 187». 19
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[0149] Lin sozialdemokratischer Agitator in Kalifornien. Es ist von uns bereits in Ur. 27 der „Grenzboten" darauf hingewiesen worden, daß seit etwa fünf Jahren sozialdemokratische und kommunistische Agi¬ tationen in der nordamerikanischen Union bedeutend an Boden gewonnen haben; leider ist dies nun während des Sommers dieses Jahres noch in erhöhtem Maße geschehen, da die bevorstehenden wichtigen Herbstwahlen in verschiedenen Unionsstaaten die politischen Parteileidenschaften noch mehr entflammt und Ver¬ anlassung zu deu stärksten Agitationen gegeben haben. In ganz besonderem Grade sind der Muth und die Hoffnung der amerikanischen Sozialdemokraten gestärkt worden dnrch das Resultat der Wahlen, welche Ende dieses Jahres für eine Staatskonventivn behufs Revision der Staatsverfassung in Kalifornien stattfanden. Das Staatsschiff des „Gvldstaates", wie Kalifornien genannt zu werden Pflegt, war in der That in Gefahr, in den gefährlichsten aller Strudel, d. h. in die Hände der Kommunisten und Sozialdemokraten, zu gerathen, schlie߬ lich ist es jedoch dieser Gefahr noch einmal entronnen. Von den 152 Dele- girten, welche die Staatsverfassung Kaliforniens zu revidiren haben, zählen 51 zu der sozialdemokratischen Arbeiterpartei, während die Fraktion der „Unpar¬ teiischen", die eine nicht geringe Anzahl rechtlicher und unbestechlicher Männer in sich schließt, mit 81 Repräsentanten die absolute Majorität erlangt hat. Die Republikaner haben 11, die Demokraten 7 und die „Unabhängigen" gar nur 2 Vertreter gewählt. Zu deu gegründeten Beschwerden und Uebelständen, für welche die genannte Staatskouvention Abhülfe schaffe» soll, gehören vornehm¬ lich das gewissenlose Treiben der Landspeknlanten und Monopolisten in Kali¬ fornien, das ungerechte Verhältniß in der Besteuerung des dortigen Grund¬ eigenthums, der Kulihaudel und die damit zusammenhängende verzwickte Chinesenfrage. Was die zuletzt erwähnte Frage anbetrifft, so liegt es allerdings nicht in der Macht der Verfassungskonvention von Kalifornien, den zwischen der nord¬ amerikanischen Union und China abgeschlossenen Vertrag, dessen Berechtigung der höchste Gerichtshof in den Vereinigten Staaten anerkannt hat und dem ge¬ mäß die Chineseneinwanderung zulässig ist, zu annlliren; allein einen feier¬ lichen Protest gegen diesen Vertrag kann jene Versammlung wohl erheben, und dieser Protest dürfte nach Allem, was bereits in dieser Angelegenheit geschehen ist, bei der Bundesregierung und dem Kongreß in Washington City nicht un- gehört und unbeachtet verhallen. Wie segensreich auch in vieler Hinsicht die Chineseuarbeit den Pazifiestaaten gewesen und zum Theil noch ist, so darf man doch seine Augen nicht vor den vielen Uebelständen, die in sozialer und Grenzboten IV. 187». 19

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157670/149>, abgerufen am 29.04.2024.