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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. II. Band.

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denen ihrer Gegner. Mit Hilfe der kläglichsten formellen Kompetenzeinreden
und der bedenklichsten Auslegungen einer militärischen Instruktion, die, wenn
sie richtig waren, mit klaren gesetzlichen Bestimmungen in Widerspruch traten,
suchten die Vertreter der Regierung und die wenigen Redner, die aus der
Kammer für den Majoritätsantrag das Wort ergriffen, eine Untersuchung von
den betheiligten Offizieren abzuwenden. Dabei erlaubten sich namentlich die
Minister einen Ton gegen die Redner der Opposition anzuschlagen, der uns
Heutigen geradezu unwürdig erscheint*). Das Resultat der mehrtägigen Ver¬
handlung war aber nur in Sachsen möglich. Bei der Abstimmung ergab sich
Stimmengleichheit sür beide Anträge (36 Stimmen). Am 18. Mai mußte uach
der Landtagsordnung die Abstimmung wiederholt werden. Da stimmten 37
Stimmen gegen das Majoritätsgutachten, das also verworfen wurde. Gleich¬
zeitig aber wurde auch das Votum der Minorität mit 41 gegen 32 Stimmen
verworfen. Zu deutsch hieß das Resultat dieser Abstimmung: die Kammer er¬
klärt das Leipziger Schießen für ungerechtfertigt, lehnt aber gleichwohl die Ein¬
leitung einer Untersuchung gegen die Urheber ab. Man bedürfte hiernach der
ersten Kammer gar nicht mehr, um die Gerechtigkeitshoffnungen Leipzig's zu
Grabe zu tragen.

So hatte denn in der wichtigsten Frage der Landtag die auf ihn gesetzten
Erwartungen getäuscht, und damit Blum's pessimistischen Ansichten mehr als
Recht gegeben. Das Traurigste war, daß gerade in dieser Angelegenheit, die
"für die große Mehrheit aller Unabhängigen im Volke eine wahre Herzens¬
angelegenheit war, weil es sich dabei um die Befriedigung des tiefempfundenen
Bedürfnisses nach Gerechtigkeit, um die Beseitigung der Besorgniß handelte,
daß Gewalt von oben nicht denselben Schranken der Gesetze unterworfen sei,
wie Willkühr von unten"**), nicht die Regierung und nicht das Hans des
Adels, sondern die Volkskammer die berechtigten Erwartungen getäuscht hatte.
"Ein schroffer Stachel des Unmuthes blieb in den Gemüthern zurück" ***). Die
paar Gesetze, die man dankbar diesem Landtag gut zu schreiben hatte, wogen
keineswegs seine Fehlarbeiten und Unterlassungssünden auf.


Hans Blum.





*) So sagte der Kriegsminister von Nostitz zum Abgeordneten Hensel: "Ich kann dem
Abgeordneten nur wünschen, daß, wenn er jemals in die Lage kommen sollte, als Komman¬
dant der Kommunalgarde längere Zeit geschimpft und mit Steinen geworfen zu werden,
ihm auch gelingen möge, bei nächtlichem Tumult Diejenigen herauszufinden, welche ihm
diese Ehre erwiesen haben." Und als der Abgeordnete Joseph sich auf Zeugenaussagen
in Akten berief, erlaubte sich der Minister Könneritz die Antwort: "Sind sie vor einer Be¬
hörde oder vielleicht infolge einer Aufforderung der Versammlung auf dein Schntzcnhcmse
aufgenommen worden?"
Ebenda S. S92,
Gegenwart, V. Band, S, S91.

denen ihrer Gegner. Mit Hilfe der kläglichsten formellen Kompetenzeinreden
und der bedenklichsten Auslegungen einer militärischen Instruktion, die, wenn
sie richtig waren, mit klaren gesetzlichen Bestimmungen in Widerspruch traten,
suchten die Vertreter der Regierung und die wenigen Redner, die aus der
Kammer für den Majoritätsantrag das Wort ergriffen, eine Untersuchung von
den betheiligten Offizieren abzuwenden. Dabei erlaubten sich namentlich die
Minister einen Ton gegen die Redner der Opposition anzuschlagen, der uns
Heutigen geradezu unwürdig erscheint*). Das Resultat der mehrtägigen Ver¬
handlung war aber nur in Sachsen möglich. Bei der Abstimmung ergab sich
Stimmengleichheit sür beide Anträge (36 Stimmen). Am 18. Mai mußte uach
der Landtagsordnung die Abstimmung wiederholt werden. Da stimmten 37
Stimmen gegen das Majoritätsgutachten, das also verworfen wurde. Gleich¬
zeitig aber wurde auch das Votum der Minorität mit 41 gegen 32 Stimmen
verworfen. Zu deutsch hieß das Resultat dieser Abstimmung: die Kammer er¬
klärt das Leipziger Schießen für ungerechtfertigt, lehnt aber gleichwohl die Ein¬
leitung einer Untersuchung gegen die Urheber ab. Man bedürfte hiernach der
ersten Kammer gar nicht mehr, um die Gerechtigkeitshoffnungen Leipzig's zu
Grabe zu tragen.

So hatte denn in der wichtigsten Frage der Landtag die auf ihn gesetzten
Erwartungen getäuscht, und damit Blum's pessimistischen Ansichten mehr als
Recht gegeben. Das Traurigste war, daß gerade in dieser Angelegenheit, die
„für die große Mehrheit aller Unabhängigen im Volke eine wahre Herzens¬
angelegenheit war, weil es sich dabei um die Befriedigung des tiefempfundenen
Bedürfnisses nach Gerechtigkeit, um die Beseitigung der Besorgniß handelte,
daß Gewalt von oben nicht denselben Schranken der Gesetze unterworfen sei,
wie Willkühr von unten"**), nicht die Regierung und nicht das Hans des
Adels, sondern die Volkskammer die berechtigten Erwartungen getäuscht hatte.
„Ein schroffer Stachel des Unmuthes blieb in den Gemüthern zurück" ***). Die
paar Gesetze, die man dankbar diesem Landtag gut zu schreiben hatte, wogen
keineswegs seine Fehlarbeiten und Unterlassungssünden auf.


Hans Blum.





*) So sagte der Kriegsminister von Nostitz zum Abgeordneten Hensel: „Ich kann dem
Abgeordneten nur wünschen, daß, wenn er jemals in die Lage kommen sollte, als Komman¬
dant der Kommunalgarde längere Zeit geschimpft und mit Steinen geworfen zu werden,
ihm auch gelingen möge, bei nächtlichem Tumult Diejenigen herauszufinden, welche ihm
diese Ehre erwiesen haben." Und als der Abgeordnete Joseph sich auf Zeugenaussagen
in Akten berief, erlaubte sich der Minister Könneritz die Antwort: „Sind sie vor einer Be¬
hörde oder vielleicht infolge einer Aufforderung der Versammlung auf dein Schntzcnhcmse
aufgenommen worden?"
Ebenda S. S92,
Gegenwart, V. Band, S, S91.
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[0148] denen ihrer Gegner. Mit Hilfe der kläglichsten formellen Kompetenzeinreden und der bedenklichsten Auslegungen einer militärischen Instruktion, die, wenn sie richtig waren, mit klaren gesetzlichen Bestimmungen in Widerspruch traten, suchten die Vertreter der Regierung und die wenigen Redner, die aus der Kammer für den Majoritätsantrag das Wort ergriffen, eine Untersuchung von den betheiligten Offizieren abzuwenden. Dabei erlaubten sich namentlich die Minister einen Ton gegen die Redner der Opposition anzuschlagen, der uns Heutigen geradezu unwürdig erscheint*). Das Resultat der mehrtägigen Ver¬ handlung war aber nur in Sachsen möglich. Bei der Abstimmung ergab sich Stimmengleichheit sür beide Anträge (36 Stimmen). Am 18. Mai mußte uach der Landtagsordnung die Abstimmung wiederholt werden. Da stimmten 37 Stimmen gegen das Majoritätsgutachten, das also verworfen wurde. Gleich¬ zeitig aber wurde auch das Votum der Minorität mit 41 gegen 32 Stimmen verworfen. Zu deutsch hieß das Resultat dieser Abstimmung: die Kammer er¬ klärt das Leipziger Schießen für ungerechtfertigt, lehnt aber gleichwohl die Ein¬ leitung einer Untersuchung gegen die Urheber ab. Man bedürfte hiernach der ersten Kammer gar nicht mehr, um die Gerechtigkeitshoffnungen Leipzig's zu Grabe zu tragen. So hatte denn in der wichtigsten Frage der Landtag die auf ihn gesetzten Erwartungen getäuscht, und damit Blum's pessimistischen Ansichten mehr als Recht gegeben. Das Traurigste war, daß gerade in dieser Angelegenheit, die „für die große Mehrheit aller Unabhängigen im Volke eine wahre Herzens¬ angelegenheit war, weil es sich dabei um die Befriedigung des tiefempfundenen Bedürfnisses nach Gerechtigkeit, um die Beseitigung der Besorgniß handelte, daß Gewalt von oben nicht denselben Schranken der Gesetze unterworfen sei, wie Willkühr von unten"**), nicht die Regierung und nicht das Hans des Adels, sondern die Volkskammer die berechtigten Erwartungen getäuscht hatte. „Ein schroffer Stachel des Unmuthes blieb in den Gemüthern zurück" ***). Die paar Gesetze, die man dankbar diesem Landtag gut zu schreiben hatte, wogen keineswegs seine Fehlarbeiten und Unterlassungssünden auf. Hans Blum. *) So sagte der Kriegsminister von Nostitz zum Abgeordneten Hensel: „Ich kann dem Abgeordneten nur wünschen, daß, wenn er jemals in die Lage kommen sollte, als Komman¬ dant der Kommunalgarde längere Zeit geschimpft und mit Steinen geworfen zu werden, ihm auch gelingen möge, bei nächtlichem Tumult Diejenigen herauszufinden, welche ihm diese Ehre erwiesen haben." Und als der Abgeordnete Joseph sich auf Zeugenaussagen in Akten berief, erlaubte sich der Minister Könneritz die Antwort: „Sind sie vor einer Be¬ hörde oder vielleicht infolge einer Aufforderung der Versammlung auf dein Schntzcnhcmse aufgenommen worden?" Ebenda S. S92, Gegenwart, V. Band, S, S91.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157670/148>, abgerufen am 15.05.2024.