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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. II. Band.

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Die Katastrophe in Afghanistan im Jahre 1841.
Dr. Wilhelm Henkel. Von (Schluß.)

Endlich war der Ausgang des Höllenthals erreicht, aber ein nicht enden
wollender Schneefall vermehrte das Elend. Nur vier kleine Zelte waren ge¬
rettet worden, von denen eines Elphinstone gehörte, während zwei den Frauen
und Kindern und das vierte einigen Verwundeten überlassen werden mußten.
Alle Uebrigen lagen die lange Nacht hindurch ohne jeglichen Schutz auf den
schneebedeckten Feldern. "Von allen Seiten her ertönte das Jammergeschrei
der Kranken und Verwundeten. Die Kälte hatte inzwischen beträchtlich zuge¬
kommen, und da lagen wir ohne Obdach, ohne Feuer, ohne Lebensmittel.
Denke ich an jene Schreckensnacht zurück, so kommt es mir wie ein Wunder
vor, daß überhaupt ein Einziger solche namenlose Leiden hat überleben können."

Am 9. Januar wurde der Marsch ohne alle Ordnung und Mannszucht
fortgesetzt. Die Reihen der Soldaten lichteten sich nicht minder durch die
Desertion als durch den Tod. Mohamed Akbar schickte dann einen Boten
Mit dem Anerbieten, die Frauen und Kinder unter seinen Schutz zu nehmen
und in der Entfernung von einer Tagereise dem Heere nachzuführen. Dem
General blieb nichts übrig als auf den Vorschlag einzugehen, und so erging
an die verheirateten Offiziere mit ihren Familien die Weisung, sich bereit zu
halten, um mit dem ihrer harrenden Detachement afghanischer Reiterei abzu¬
gehen. "Die Damen hatten seit unserm Aufbruche von Cabul kaum irgend
welche Speise genossen. Einige trugen neugeborene Kinder an der Brust und
konnten sich selbst nur mit äußerster Anstrengung aufrecht halten, noch Andere
^arm guter Hoffnung und sahen stündlich der Niederkunft entgegen, so daß
^und unter normalen Verhältnissen schon eine mäßige Bewegung oder geistige
Aufregung von schlimmen Folgen hätte sein können. Und in diesem Zustande
wußten die schwachen Wesen auf Gepäckwagen liegend oder auf Kameelen die
Beschwerden der Reise aushalten; glücklich durften sich diejenigen schätzen,
welche Pferde zu ihrer Verfügung hatten und sich derselben zu bedienen ver¬
enden. Die Meisten waren von Cabul an nicht wieder unter ein Zeltdach
^kommen, die Dienerschaft entweder niedergeschossen oder geflohen, und mit
Ausnahme der Lady Mac-Naghten und der Frau des Hauptmanns Trevor
hatte Keine auch nur ein einziges Stück Gepäck gerettet. Unter diesen Um¬
ständen konnte es keinem Zweifel unterliegen, daß der Tod in wenigen Tagen,
^cum nicht Stunden, auch sie wegraffen würde, und so eröffnete das Aner-


Grenzbotcn IV. 1378. 63
Die Katastrophe in Afghanistan im Jahre 1841.
Dr. Wilhelm Henkel. Von (Schluß.)

Endlich war der Ausgang des Höllenthals erreicht, aber ein nicht enden
wollender Schneefall vermehrte das Elend. Nur vier kleine Zelte waren ge¬
rettet worden, von denen eines Elphinstone gehörte, während zwei den Frauen
und Kindern und das vierte einigen Verwundeten überlassen werden mußten.
Alle Uebrigen lagen die lange Nacht hindurch ohne jeglichen Schutz auf den
schneebedeckten Feldern. „Von allen Seiten her ertönte das Jammergeschrei
der Kranken und Verwundeten. Die Kälte hatte inzwischen beträchtlich zuge¬
kommen, und da lagen wir ohne Obdach, ohne Feuer, ohne Lebensmittel.
Denke ich an jene Schreckensnacht zurück, so kommt es mir wie ein Wunder
vor, daß überhaupt ein Einziger solche namenlose Leiden hat überleben können."

Am 9. Januar wurde der Marsch ohne alle Ordnung und Mannszucht
fortgesetzt. Die Reihen der Soldaten lichteten sich nicht minder durch die
Desertion als durch den Tod. Mohamed Akbar schickte dann einen Boten
Mit dem Anerbieten, die Frauen und Kinder unter seinen Schutz zu nehmen
und in der Entfernung von einer Tagereise dem Heere nachzuführen. Dem
General blieb nichts übrig als auf den Vorschlag einzugehen, und so erging
an die verheirateten Offiziere mit ihren Familien die Weisung, sich bereit zu
halten, um mit dem ihrer harrenden Detachement afghanischer Reiterei abzu¬
gehen. „Die Damen hatten seit unserm Aufbruche von Cabul kaum irgend
welche Speise genossen. Einige trugen neugeborene Kinder an der Brust und
konnten sich selbst nur mit äußerster Anstrengung aufrecht halten, noch Andere
^arm guter Hoffnung und sahen stündlich der Niederkunft entgegen, so daß
^und unter normalen Verhältnissen schon eine mäßige Bewegung oder geistige
Aufregung von schlimmen Folgen hätte sein können. Und in diesem Zustande
wußten die schwachen Wesen auf Gepäckwagen liegend oder auf Kameelen die
Beschwerden der Reise aushalten; glücklich durften sich diejenigen schätzen,
welche Pferde zu ihrer Verfügung hatten und sich derselben zu bedienen ver¬
enden. Die Meisten waren von Cabul an nicht wieder unter ein Zeltdach
^kommen, die Dienerschaft entweder niedergeschossen oder geflohen, und mit
Ausnahme der Lady Mac-Naghten und der Frau des Hauptmanns Trevor
hatte Keine auch nur ein einziges Stück Gepäck gerettet. Unter diesen Um¬
ständen konnte es keinem Zweifel unterliegen, daß der Tod in wenigen Tagen,
^cum nicht Stunden, auch sie wegraffen würde, und so eröffnete das Aner-


Grenzbotcn IV. 1378. 63
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[0421] Die Katastrophe in Afghanistan im Jahre 1841. Dr. Wilhelm Henkel. Von (Schluß.) Endlich war der Ausgang des Höllenthals erreicht, aber ein nicht enden wollender Schneefall vermehrte das Elend. Nur vier kleine Zelte waren ge¬ rettet worden, von denen eines Elphinstone gehörte, während zwei den Frauen und Kindern und das vierte einigen Verwundeten überlassen werden mußten. Alle Uebrigen lagen die lange Nacht hindurch ohne jeglichen Schutz auf den schneebedeckten Feldern. „Von allen Seiten her ertönte das Jammergeschrei der Kranken und Verwundeten. Die Kälte hatte inzwischen beträchtlich zuge¬ kommen, und da lagen wir ohne Obdach, ohne Feuer, ohne Lebensmittel. Denke ich an jene Schreckensnacht zurück, so kommt es mir wie ein Wunder vor, daß überhaupt ein Einziger solche namenlose Leiden hat überleben können." Am 9. Januar wurde der Marsch ohne alle Ordnung und Mannszucht fortgesetzt. Die Reihen der Soldaten lichteten sich nicht minder durch die Desertion als durch den Tod. Mohamed Akbar schickte dann einen Boten Mit dem Anerbieten, die Frauen und Kinder unter seinen Schutz zu nehmen und in der Entfernung von einer Tagereise dem Heere nachzuführen. Dem General blieb nichts übrig als auf den Vorschlag einzugehen, und so erging an die verheirateten Offiziere mit ihren Familien die Weisung, sich bereit zu halten, um mit dem ihrer harrenden Detachement afghanischer Reiterei abzu¬ gehen. „Die Damen hatten seit unserm Aufbruche von Cabul kaum irgend welche Speise genossen. Einige trugen neugeborene Kinder an der Brust und konnten sich selbst nur mit äußerster Anstrengung aufrecht halten, noch Andere ^arm guter Hoffnung und sahen stündlich der Niederkunft entgegen, so daß ^und unter normalen Verhältnissen schon eine mäßige Bewegung oder geistige Aufregung von schlimmen Folgen hätte sein können. Und in diesem Zustande wußten die schwachen Wesen auf Gepäckwagen liegend oder auf Kameelen die Beschwerden der Reise aushalten; glücklich durften sich diejenigen schätzen, welche Pferde zu ihrer Verfügung hatten und sich derselben zu bedienen ver¬ enden. Die Meisten waren von Cabul an nicht wieder unter ein Zeltdach ^kommen, die Dienerschaft entweder niedergeschossen oder geflohen, und mit Ausnahme der Lady Mac-Naghten und der Frau des Hauptmanns Trevor hatte Keine auch nur ein einziges Stück Gepäck gerettet. Unter diesen Um¬ ständen konnte es keinem Zweifel unterliegen, daß der Tod in wenigen Tagen, ^cum nicht Stunden, auch sie wegraffen würde, und so eröffnete das Aner- Grenzbotcn IV. 1378. 63

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157670/421>, abgerufen am 29.04.2024.