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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. II. Band.

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Ile fünfte Woche des preußischen Landtags.

Die Arbeiten des Landtags sind in dieser Woche keineswegs im Verhält¬
niß zu der ihm durch die Umstände zugemessenen Zeit fortgeschritten. Das
Herrenhaus ist zwar fleißig gewesen: es erledigte, nachdem es am 17. Dezember
mit neun neuen Gesetzentwürfen bedacht war, deren sechs, am 18. Dezember
fünf und am 20. Dezember neun. Die meisten waren freilich nicht von allge¬
meiner Bedeutung, doch befinden sich unter den erledigten auch schon einige
der Justizgesetze. Mit dem Abgeordnetenhause geht es jedoch viel langsamer.

Der fortschrittliche Abgeordnete Paur stellte am 17. Dezember an den
Kultusminister eine Anfrage, welche nach Lage der Dinge den Stand der
Unterrichtsgesetzfrage betraf, wenngleich sie formell auf nur zwei Punkte des¬
selben gerichtet war. Es ist in der That eine seltsame Erscheinung, daß so
lange nach Beseitigung des von Muster'schen Systems das ersehnte Unterrichts¬
gesetz noch nicht hat zu Stande kommen können; aber es ist ja bekannt, daß
die Verzögerung nicht auf Minister Falk, sondern wie so manches Andere
was uicht vom Fleck rücken kann, auf die von der Regierung beim Reiche ge¬
plante Finanzreform warten muß. Der Entwurf ist im vorigen Jahre aus¬
gearbeitet und ein Theil desselben, die Rechtsverhältnisse der Studirenden be¬
treffend, dem Landtage als besondere Vorlage schon unterbreitet. Hinsichtlich
des übrigen Theiles hatte die Regierung in der Eröffnungsrede erklärt, daß
sie sich ihrer Verpflichtung, denselben auch ferner mit allen Kräften zu fördern,
völlig bewußt sei, zugleich hatte sie angedeutet, daß selbst auf demjenigen Ge¬
biete, auf welchem die Neuregelung der Verhältnisse am dringendsten sei, dem
der Unterhaltung der öffentlichen Volksschulen, eine befriedigende Lösung der
Aufgabe nicht ohne noch zu beschaffende erhebliche Mehraufwendungen des
Staats möglich sein werde. Wenn nun Parr jetzt noch zwei Punkte heraus¬
griff, deren baldige Erledigung allerdings ebenfalls sehr erwünscht wäre, so war
doch eine Verweisung auf die noch nicht erfolgte Beschaffung der Mittel vor¬
auszusehen. Trotzdem fand es Interpellant angezeigt, das Unzulängliche des
Gehalts der ausgedienter Elementarlehrer sowie die Dürftigkeit der Pensionen
der Lehrerwittwen auszumalen. Er sagte damit niemandem etwas Neues;
seiner Anregung der Frage aber, ob die Lage jener Personen selbst bei weiterer
Verzögerung des Unterrichtsgesetzes jetzt schon verbessert werden könne, würde
sich nur dann einige Bedeutung haben beilegen lassen, wenn er anzugeben ver¬
mocht hätte, wie dies überhaupt möglich sei. Doch, da gab Richter plötzlich
dahin Aufklärung, die Fortschrittspartei habe die Anfrage nur eingebracht, um
sich die populären Fragen nicht sämmtlich vom Zentrum wegschnappen zu


Ile fünfte Woche des preußischen Landtags.

Die Arbeiten des Landtags sind in dieser Woche keineswegs im Verhält¬
niß zu der ihm durch die Umstände zugemessenen Zeit fortgeschritten. Das
Herrenhaus ist zwar fleißig gewesen: es erledigte, nachdem es am 17. Dezember
mit neun neuen Gesetzentwürfen bedacht war, deren sechs, am 18. Dezember
fünf und am 20. Dezember neun. Die meisten waren freilich nicht von allge¬
meiner Bedeutung, doch befinden sich unter den erledigten auch schon einige
der Justizgesetze. Mit dem Abgeordnetenhause geht es jedoch viel langsamer.

Der fortschrittliche Abgeordnete Paur stellte am 17. Dezember an den
Kultusminister eine Anfrage, welche nach Lage der Dinge den Stand der
Unterrichtsgesetzfrage betraf, wenngleich sie formell auf nur zwei Punkte des¬
selben gerichtet war. Es ist in der That eine seltsame Erscheinung, daß so
lange nach Beseitigung des von Muster'schen Systems das ersehnte Unterrichts¬
gesetz noch nicht hat zu Stande kommen können; aber es ist ja bekannt, daß
die Verzögerung nicht auf Minister Falk, sondern wie so manches Andere
was uicht vom Fleck rücken kann, auf die von der Regierung beim Reiche ge¬
plante Finanzreform warten muß. Der Entwurf ist im vorigen Jahre aus¬
gearbeitet und ein Theil desselben, die Rechtsverhältnisse der Studirenden be¬
treffend, dem Landtage als besondere Vorlage schon unterbreitet. Hinsichtlich
des übrigen Theiles hatte die Regierung in der Eröffnungsrede erklärt, daß
sie sich ihrer Verpflichtung, denselben auch ferner mit allen Kräften zu fördern,
völlig bewußt sei, zugleich hatte sie angedeutet, daß selbst auf demjenigen Ge¬
biete, auf welchem die Neuregelung der Verhältnisse am dringendsten sei, dem
der Unterhaltung der öffentlichen Volksschulen, eine befriedigende Lösung der
Aufgabe nicht ohne noch zu beschaffende erhebliche Mehraufwendungen des
Staats möglich sein werde. Wenn nun Parr jetzt noch zwei Punkte heraus¬
griff, deren baldige Erledigung allerdings ebenfalls sehr erwünscht wäre, so war
doch eine Verweisung auf die noch nicht erfolgte Beschaffung der Mittel vor¬
auszusehen. Trotzdem fand es Interpellant angezeigt, das Unzulängliche des
Gehalts der ausgedienter Elementarlehrer sowie die Dürftigkeit der Pensionen
der Lehrerwittwen auszumalen. Er sagte damit niemandem etwas Neues;
seiner Anregung der Frage aber, ob die Lage jener Personen selbst bei weiterer
Verzögerung des Unterrichtsgesetzes jetzt schon verbessert werden könne, würde
sich nur dann einige Bedeutung haben beilegen lassen, wenn er anzugeben ver¬
mocht hätte, wie dies überhaupt möglich sei. Doch, da gab Richter plötzlich
dahin Aufklärung, die Fortschrittspartei habe die Anfrage nur eingebracht, um
sich die populären Fragen nicht sämmtlich vom Zentrum wegschnappen zu


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[0518] Ile fünfte Woche des preußischen Landtags. Die Arbeiten des Landtags sind in dieser Woche keineswegs im Verhält¬ niß zu der ihm durch die Umstände zugemessenen Zeit fortgeschritten. Das Herrenhaus ist zwar fleißig gewesen: es erledigte, nachdem es am 17. Dezember mit neun neuen Gesetzentwürfen bedacht war, deren sechs, am 18. Dezember fünf und am 20. Dezember neun. Die meisten waren freilich nicht von allge¬ meiner Bedeutung, doch befinden sich unter den erledigten auch schon einige der Justizgesetze. Mit dem Abgeordnetenhause geht es jedoch viel langsamer. Der fortschrittliche Abgeordnete Paur stellte am 17. Dezember an den Kultusminister eine Anfrage, welche nach Lage der Dinge den Stand der Unterrichtsgesetzfrage betraf, wenngleich sie formell auf nur zwei Punkte des¬ selben gerichtet war. Es ist in der That eine seltsame Erscheinung, daß so lange nach Beseitigung des von Muster'schen Systems das ersehnte Unterrichts¬ gesetz noch nicht hat zu Stande kommen können; aber es ist ja bekannt, daß die Verzögerung nicht auf Minister Falk, sondern wie so manches Andere was uicht vom Fleck rücken kann, auf die von der Regierung beim Reiche ge¬ plante Finanzreform warten muß. Der Entwurf ist im vorigen Jahre aus¬ gearbeitet und ein Theil desselben, die Rechtsverhältnisse der Studirenden be¬ treffend, dem Landtage als besondere Vorlage schon unterbreitet. Hinsichtlich des übrigen Theiles hatte die Regierung in der Eröffnungsrede erklärt, daß sie sich ihrer Verpflichtung, denselben auch ferner mit allen Kräften zu fördern, völlig bewußt sei, zugleich hatte sie angedeutet, daß selbst auf demjenigen Ge¬ biete, auf welchem die Neuregelung der Verhältnisse am dringendsten sei, dem der Unterhaltung der öffentlichen Volksschulen, eine befriedigende Lösung der Aufgabe nicht ohne noch zu beschaffende erhebliche Mehraufwendungen des Staats möglich sein werde. Wenn nun Parr jetzt noch zwei Punkte heraus¬ griff, deren baldige Erledigung allerdings ebenfalls sehr erwünscht wäre, so war doch eine Verweisung auf die noch nicht erfolgte Beschaffung der Mittel vor¬ auszusehen. Trotzdem fand es Interpellant angezeigt, das Unzulängliche des Gehalts der ausgedienter Elementarlehrer sowie die Dürftigkeit der Pensionen der Lehrerwittwen auszumalen. Er sagte damit niemandem etwas Neues; seiner Anregung der Frage aber, ob die Lage jener Personen selbst bei weiterer Verzögerung des Unterrichtsgesetzes jetzt schon verbessert werden könne, würde sich nur dann einige Bedeutung haben beilegen lassen, wenn er anzugeben ver¬ mocht hätte, wie dies überhaupt möglich sei. Doch, da gab Richter plötzlich dahin Aufklärung, die Fortschrittspartei habe die Anfrage nur eingebracht, um sich die populären Fragen nicht sämmtlich vom Zentrum wegschnappen zu

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157670/518>, abgerufen am 29.04.2024.