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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. II. Band.

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namentlich in ihren Kämpfen und ihrer gesetzgeberischen TlMgkeit bezüglich
der staatlich-kirchlichen Fragen. Wir wollen jetzt nicht eingehender untersuchen,
ob und wie weit das, was man einen Verflüchtigungsprvzeß nennt, bei der
nationalen und liberalen Partei in Baden bereits eingetreten und fortgeschritten
ist. Ein gewisser konservativer Zug, eine Strömung jener Art, von welcher
in diesen Tagen im preußischen Abgeordnetenhaus der Kultusminister sagte,
daß die Regierung nöthigenfalls auch wider sie ihre im Kampf gegen Rom ge¬
wonnene Position behaupten werde, ist nicht erst seit gestern wahrnehmbar.
Gar Manche sehen dem arglos zu, lassen sich sogar ab und zu auch einmal
eine Strecke weit von der Strömung tragen, indem sie, die Getragenen, in
heiterer Naivetät dabei noch wähnen, aufrecht zu gehen auf eigenen Füßen.
Man bleibt national, man bleibt auch liberal. Aber man will möglichst
Mäßigung walten lassen, man weist weit zurück, Prinzipien konsequent zu ver¬
wirklichen. Das wäre Doktrinarismus. Bei Beginn der gegenwärtigen Land¬
tagssession haben sich Stimmen dahin vernehmen lassen, als ob das Fortbe¬
stehen einer selbständigen nationalliberalen Landtagsfraktion an der Seite einer
durchaus nationalliberal gesinnten Regierung zwecklos sei. Der scharf Zu¬
sehende glaubte in den letzten Wochen und zwar nicht nur ein- oder zweimal
zu gewahren, daß eine solche Anschauung, Manchem der Betreffenden vielleicht
unbewußt, auch in unserer zweiten Kammer ihre Anhänger habe. Der strenge,
Prinzipiell feste Zusammenhalt der nationalliberalen Landtagsfraktion wurde
vermißt. Das, was ein und das anderemal aus ihrer Mitte heraus einen
Sonderkopf erhoben hat, schien fast nach dein Bilde einer Regiernngspartei
sens xnrass geschaffen. Es ist vielleicht gut, daß Kiefer's Rücktritt gerade
in diese Zeit fällt. Besser, draußen auf dem weiten Terrain für sich allein
festen Fuß fassen, als daß mitten im Lager die mattbewegte naßkalte Fluth
hemmend die Knöchel umransche. Es kommen auch andere Zeiten wieder,
und dann wird Kiefer zweifellos auch wieder zur Stelle sein. Da mit dem
Rücktritt des seitherigen Vorstandes auch die übrigen sechs Mitglieder des
nationalliberalen Landesausschusses ihr Mandat niederlegten, so fand durch die
nationalliberalen Abgeordneten der zweiten Kammer eine Neuwahl statt, in der
die bisherigen Mitglieder wiedergewählt wurden, und als siebentes Mitglied,
an Stelle Kiefer's, der Abgeordnete Bürklin von Heidelberg hinzutrat.
Ein Mitglied des Ausschusses, Poravicini von Breiten, früher auch Reichs¬
tagsabgeordneter, ist eben in diesen Tagen gestorben. Das Land hat in ihm
einen seiner treuesten, bewährtesten und tüchtigsten bürgerlichen Abgeordneten
verloren. Der Landesausschnß besteht nun dermalen noch aus den Abgeord¬
neten Bär, Bürklin von Heidelberg, Fauler, Finser, Fridrich, Pflüger.


Hr.


Grmzbvton IV. 1L73.

namentlich in ihren Kämpfen und ihrer gesetzgeberischen TlMgkeit bezüglich
der staatlich-kirchlichen Fragen. Wir wollen jetzt nicht eingehender untersuchen,
ob und wie weit das, was man einen Verflüchtigungsprvzeß nennt, bei der
nationalen und liberalen Partei in Baden bereits eingetreten und fortgeschritten
ist. Ein gewisser konservativer Zug, eine Strömung jener Art, von welcher
in diesen Tagen im preußischen Abgeordnetenhaus der Kultusminister sagte,
daß die Regierung nöthigenfalls auch wider sie ihre im Kampf gegen Rom ge¬
wonnene Position behaupten werde, ist nicht erst seit gestern wahrnehmbar.
Gar Manche sehen dem arglos zu, lassen sich sogar ab und zu auch einmal
eine Strecke weit von der Strömung tragen, indem sie, die Getragenen, in
heiterer Naivetät dabei noch wähnen, aufrecht zu gehen auf eigenen Füßen.
Man bleibt national, man bleibt auch liberal. Aber man will möglichst
Mäßigung walten lassen, man weist weit zurück, Prinzipien konsequent zu ver¬
wirklichen. Das wäre Doktrinarismus. Bei Beginn der gegenwärtigen Land¬
tagssession haben sich Stimmen dahin vernehmen lassen, als ob das Fortbe¬
stehen einer selbständigen nationalliberalen Landtagsfraktion an der Seite einer
durchaus nationalliberal gesinnten Regierung zwecklos sei. Der scharf Zu¬
sehende glaubte in den letzten Wochen und zwar nicht nur ein- oder zweimal
zu gewahren, daß eine solche Anschauung, Manchem der Betreffenden vielleicht
unbewußt, auch in unserer zweiten Kammer ihre Anhänger habe. Der strenge,
Prinzipiell feste Zusammenhalt der nationalliberalen Landtagsfraktion wurde
vermißt. Das, was ein und das anderemal aus ihrer Mitte heraus einen
Sonderkopf erhoben hat, schien fast nach dein Bilde einer Regiernngspartei
sens xnrass geschaffen. Es ist vielleicht gut, daß Kiefer's Rücktritt gerade
in diese Zeit fällt. Besser, draußen auf dem weiten Terrain für sich allein
festen Fuß fassen, als daß mitten im Lager die mattbewegte naßkalte Fluth
hemmend die Knöchel umransche. Es kommen auch andere Zeiten wieder,
und dann wird Kiefer zweifellos auch wieder zur Stelle sein. Da mit dem
Rücktritt des seitherigen Vorstandes auch die übrigen sechs Mitglieder des
nationalliberalen Landesausschusses ihr Mandat niederlegten, so fand durch die
nationalliberalen Abgeordneten der zweiten Kammer eine Neuwahl statt, in der
die bisherigen Mitglieder wiedergewählt wurden, und als siebentes Mitglied,
an Stelle Kiefer's, der Abgeordnete Bürklin von Heidelberg hinzutrat.
Ein Mitglied des Ausschusses, Poravicini von Breiten, früher auch Reichs¬
tagsabgeordneter, ist eben in diesen Tagen gestorben. Das Land hat in ihm
einen seiner treuesten, bewährtesten und tüchtigsten bürgerlichen Abgeordneten
verloren. Der Landesausschnß besteht nun dermalen noch aus den Abgeord¬
neten Bär, Bürklin von Heidelberg, Fauler, Finser, Fridrich, Pflüger.


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Grmzbvton IV. 1L73.
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[0517] namentlich in ihren Kämpfen und ihrer gesetzgeberischen TlMgkeit bezüglich der staatlich-kirchlichen Fragen. Wir wollen jetzt nicht eingehender untersuchen, ob und wie weit das, was man einen Verflüchtigungsprvzeß nennt, bei der nationalen und liberalen Partei in Baden bereits eingetreten und fortgeschritten ist. Ein gewisser konservativer Zug, eine Strömung jener Art, von welcher in diesen Tagen im preußischen Abgeordnetenhaus der Kultusminister sagte, daß die Regierung nöthigenfalls auch wider sie ihre im Kampf gegen Rom ge¬ wonnene Position behaupten werde, ist nicht erst seit gestern wahrnehmbar. Gar Manche sehen dem arglos zu, lassen sich sogar ab und zu auch einmal eine Strecke weit von der Strömung tragen, indem sie, die Getragenen, in heiterer Naivetät dabei noch wähnen, aufrecht zu gehen auf eigenen Füßen. Man bleibt national, man bleibt auch liberal. Aber man will möglichst Mäßigung walten lassen, man weist weit zurück, Prinzipien konsequent zu ver¬ wirklichen. Das wäre Doktrinarismus. Bei Beginn der gegenwärtigen Land¬ tagssession haben sich Stimmen dahin vernehmen lassen, als ob das Fortbe¬ stehen einer selbständigen nationalliberalen Landtagsfraktion an der Seite einer durchaus nationalliberal gesinnten Regierung zwecklos sei. Der scharf Zu¬ sehende glaubte in den letzten Wochen und zwar nicht nur ein- oder zweimal zu gewahren, daß eine solche Anschauung, Manchem der Betreffenden vielleicht unbewußt, auch in unserer zweiten Kammer ihre Anhänger habe. Der strenge, Prinzipiell feste Zusammenhalt der nationalliberalen Landtagsfraktion wurde vermißt. Das, was ein und das anderemal aus ihrer Mitte heraus einen Sonderkopf erhoben hat, schien fast nach dein Bilde einer Regiernngspartei sens xnrass geschaffen. Es ist vielleicht gut, daß Kiefer's Rücktritt gerade in diese Zeit fällt. Besser, draußen auf dem weiten Terrain für sich allein festen Fuß fassen, als daß mitten im Lager die mattbewegte naßkalte Fluth hemmend die Knöchel umransche. Es kommen auch andere Zeiten wieder, und dann wird Kiefer zweifellos auch wieder zur Stelle sein. Da mit dem Rücktritt des seitherigen Vorstandes auch die übrigen sechs Mitglieder des nationalliberalen Landesausschusses ihr Mandat niederlegten, so fand durch die nationalliberalen Abgeordneten der zweiten Kammer eine Neuwahl statt, in der die bisherigen Mitglieder wiedergewählt wurden, und als siebentes Mitglied, an Stelle Kiefer's, der Abgeordnete Bürklin von Heidelberg hinzutrat. Ein Mitglied des Ausschusses, Poravicini von Breiten, früher auch Reichs¬ tagsabgeordneter, ist eben in diesen Tagen gestorben. Das Land hat in ihm einen seiner treuesten, bewährtesten und tüchtigsten bürgerlichen Abgeordneten verloren. Der Landesausschnß besteht nun dermalen noch aus den Abgeord¬ neten Bär, Bürklin von Heidelberg, Fauler, Finser, Fridrich, Pflüger. Hr. Grmzbvton IV. 1L73.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157670/517>, abgerufen am 15.05.2024.