Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Zweites Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Der Linftmz der MarKusöibttotheK im Jahre 1545.

In den dreißiger und vierziger Jahren des sechzehnten Jahrhunderts wurden
die künstlerischen und literarischen Kreise Venedig's von einem merkwürdigen
Triumvirat beherrscht, dessen Glieder, unter einander durch eine scheinbar innige
und aufrichtige Freundschaft verbunden, auch im Falle der Noth mit auffallender
Selbstlosigkeit für einander eintraten: Tizian, der Maler, Jacopo Tadel, genannt
Sansovino, der Bildhauer und Baumeister der Markusrepublik, und Pietro Aretino,
der Vater der modernen Publizistik. Obgleich alle drei Ausländer waren, Tizian
ein Kind der sriaulischen Alpen aus Cadore, Pietro Aretino, wie sein Zuname
besagt, aus Arezzo und Sansovino gar aus dem von den Venetianern nicht
eben mit günstigen Augen angesehenen Florenz, so gelang es ihnen doch, in
überraschend kurzer Zeit über alle Nebenbuhler und alle Hindernisse zu trium-
phiren und sich eine angesehene, einflußreiche und vor allen Dingen einträgliche
Stellung zu erobern. Crowe und Cavalcafelle haben die Freundschaft Tizian's
und Arelim's in ihrer Biographie des "Königs der Maler" unerklärlich und
"räthselhaft" gefunden. Und doch haben gerade diese beiden Forscher eine Fülle
von Dokumenten an den Tag gezogen, aus denen ein Helles Licht auf den
Charakter Tizian's fällt. Wir gewinnen daraus eine Anschauung von dem
Wesen des großen Malers, welche uns seine Freundschaft mit Aretino nur zu
erklärlich macht. Crowe und Cavalcafelle haben sich aus leicht begreiflicher
Rücksicht für ihren Helden gescheut, aus dem von ihnen gesammelten Material
die letzten Konsequenzen zu ziehen, die für Tizian's Charakter nichts weniger
als schmeichelhaft sind. Tizian war ein Sohn der Berge, der, wie Josicch
Gilbert in seiner interessanten Schilderung von Tizian's Heimat treffend be¬
merkt, die "Findigkeit des Schotten und die Durchtriebenheit des Schweizers"
mit einander verband. Unsere Bewunderung und Verehrung des größten
Malers, den die Welt bis auf unsere Tage gesehen, wird nicht verringert, wenn
wir die Schwächen und Flecken seines Charakters kennen lernen. Tizian war
das Kind einer bereits völlig korrumpirten Zeit. Geldgier und Habsucht, der
kein Mittel zu schlecht war, um zu ihrem Ziele zu gelangen, waren hervor¬
stechende Charakterzüge der meisten Künstler damaliger Zeit und vornehmlich
der venetianischen, die im Luxus und Wohlleben hinter der Lebensweise ihrer
patrizischen Freunde und Protektoren nicht zurückbleiben wollten.

Am 25. Mürz 1527 war Aretino nach Venedig gekommen, um dort ein
Asyl zu suchen, und vom 22. Juni desselben Jahres liegt uns bereits ein Brief
von Tizian vor, welcher zeigt, daß der Maler den Dichter porträtirt hatte,
und daß ersterer von Bewunderung des letzteren überfloß. Beide hatten sich


Der Linftmz der MarKusöibttotheK im Jahre 1545.

In den dreißiger und vierziger Jahren des sechzehnten Jahrhunderts wurden
die künstlerischen und literarischen Kreise Venedig's von einem merkwürdigen
Triumvirat beherrscht, dessen Glieder, unter einander durch eine scheinbar innige
und aufrichtige Freundschaft verbunden, auch im Falle der Noth mit auffallender
Selbstlosigkeit für einander eintraten: Tizian, der Maler, Jacopo Tadel, genannt
Sansovino, der Bildhauer und Baumeister der Markusrepublik, und Pietro Aretino,
der Vater der modernen Publizistik. Obgleich alle drei Ausländer waren, Tizian
ein Kind der sriaulischen Alpen aus Cadore, Pietro Aretino, wie sein Zuname
besagt, aus Arezzo und Sansovino gar aus dem von den Venetianern nicht
eben mit günstigen Augen angesehenen Florenz, so gelang es ihnen doch, in
überraschend kurzer Zeit über alle Nebenbuhler und alle Hindernisse zu trium-
phiren und sich eine angesehene, einflußreiche und vor allen Dingen einträgliche
Stellung zu erobern. Crowe und Cavalcafelle haben die Freundschaft Tizian's
und Arelim's in ihrer Biographie des „Königs der Maler" unerklärlich und
„räthselhaft" gefunden. Und doch haben gerade diese beiden Forscher eine Fülle
von Dokumenten an den Tag gezogen, aus denen ein Helles Licht auf den
Charakter Tizian's fällt. Wir gewinnen daraus eine Anschauung von dem
Wesen des großen Malers, welche uns seine Freundschaft mit Aretino nur zu
erklärlich macht. Crowe und Cavalcafelle haben sich aus leicht begreiflicher
Rücksicht für ihren Helden gescheut, aus dem von ihnen gesammelten Material
die letzten Konsequenzen zu ziehen, die für Tizian's Charakter nichts weniger
als schmeichelhaft sind. Tizian war ein Sohn der Berge, der, wie Josicch
Gilbert in seiner interessanten Schilderung von Tizian's Heimat treffend be¬
merkt, die „Findigkeit des Schotten und die Durchtriebenheit des Schweizers"
mit einander verband. Unsere Bewunderung und Verehrung des größten
Malers, den die Welt bis auf unsere Tage gesehen, wird nicht verringert, wenn
wir die Schwächen und Flecken seines Charakters kennen lernen. Tizian war
das Kind einer bereits völlig korrumpirten Zeit. Geldgier und Habsucht, der
kein Mittel zu schlecht war, um zu ihrem Ziele zu gelangen, waren hervor¬
stechende Charakterzüge der meisten Künstler damaliger Zeit und vornehmlich
der venetianischen, die im Luxus und Wohlleben hinter der Lebensweise ihrer
patrizischen Freunde und Protektoren nicht zurückbleiben wollten.

Am 25. Mürz 1527 war Aretino nach Venedig gekommen, um dort ein
Asyl zu suchen, und vom 22. Juni desselben Jahres liegt uns bereits ein Brief
von Tizian vor, welcher zeigt, daß der Maler den Dichter porträtirt hatte,
und daß ersterer von Bewunderung des letzteren überfloß. Beide hatten sich


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0468" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/142423"/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Der Linftmz der MarKusöibttotheK im Jahre 1545.</head><lb/>
          <p xml:id="ID_1420"> In den dreißiger und vierziger Jahren des sechzehnten Jahrhunderts wurden<lb/>
die künstlerischen und literarischen Kreise Venedig's von einem merkwürdigen<lb/>
Triumvirat beherrscht, dessen Glieder, unter einander durch eine scheinbar innige<lb/>
und aufrichtige Freundschaft verbunden, auch im Falle der Noth mit auffallender<lb/>
Selbstlosigkeit für einander eintraten: Tizian, der Maler, Jacopo Tadel, genannt<lb/>
Sansovino, der Bildhauer und Baumeister der Markusrepublik, und Pietro Aretino,<lb/>
der Vater der modernen Publizistik. Obgleich alle drei Ausländer waren, Tizian<lb/>
ein Kind der sriaulischen Alpen aus Cadore, Pietro Aretino, wie sein Zuname<lb/>
besagt, aus Arezzo und Sansovino gar aus dem von den Venetianern nicht<lb/>
eben mit günstigen Augen angesehenen Florenz, so gelang es ihnen doch, in<lb/>
überraschend kurzer Zeit über alle Nebenbuhler und alle Hindernisse zu trium-<lb/>
phiren und sich eine angesehene, einflußreiche und vor allen Dingen einträgliche<lb/>
Stellung zu erobern. Crowe und Cavalcafelle haben die Freundschaft Tizian's<lb/>
und Arelim's in ihrer Biographie des &#x201E;Königs der Maler" unerklärlich und<lb/>
&#x201E;räthselhaft" gefunden. Und doch haben gerade diese beiden Forscher eine Fülle<lb/>
von Dokumenten an den Tag gezogen, aus denen ein Helles Licht auf den<lb/>
Charakter Tizian's fällt. Wir gewinnen daraus eine Anschauung von dem<lb/>
Wesen des großen Malers, welche uns seine Freundschaft mit Aretino nur zu<lb/>
erklärlich macht. Crowe und Cavalcafelle haben sich aus leicht begreiflicher<lb/>
Rücksicht für ihren Helden gescheut, aus dem von ihnen gesammelten Material<lb/>
die letzten Konsequenzen zu ziehen, die für Tizian's Charakter nichts weniger<lb/>
als schmeichelhaft sind. Tizian war ein Sohn der Berge, der, wie Josicch<lb/>
Gilbert in seiner interessanten Schilderung von Tizian's Heimat treffend be¬<lb/>
merkt, die &#x201E;Findigkeit des Schotten und die Durchtriebenheit des Schweizers"<lb/>
mit einander verband. Unsere Bewunderung und Verehrung des größten<lb/>
Malers, den die Welt bis auf unsere Tage gesehen, wird nicht verringert, wenn<lb/>
wir die Schwächen und Flecken seines Charakters kennen lernen. Tizian war<lb/>
das Kind einer bereits völlig korrumpirten Zeit. Geldgier und Habsucht, der<lb/>
kein Mittel zu schlecht war, um zu ihrem Ziele zu gelangen, waren hervor¬<lb/>
stechende Charakterzüge der meisten Künstler damaliger Zeit und vornehmlich<lb/>
der venetianischen, die im Luxus und Wohlleben hinter der Lebensweise ihrer<lb/>
patrizischen Freunde und Protektoren nicht zurückbleiben wollten.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1421" next="#ID_1422"> Am 25. Mürz 1527 war Aretino nach Venedig gekommen, um dort ein<lb/>
Asyl zu suchen, und vom 22. Juni desselben Jahres liegt uns bereits ein Brief<lb/>
von Tizian vor, welcher zeigt, daß der Maler den Dichter porträtirt hatte,<lb/>
und daß ersterer von Bewunderung des letzteren überfloß. Beide hatten sich</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0468] Der Linftmz der MarKusöibttotheK im Jahre 1545. In den dreißiger und vierziger Jahren des sechzehnten Jahrhunderts wurden die künstlerischen und literarischen Kreise Venedig's von einem merkwürdigen Triumvirat beherrscht, dessen Glieder, unter einander durch eine scheinbar innige und aufrichtige Freundschaft verbunden, auch im Falle der Noth mit auffallender Selbstlosigkeit für einander eintraten: Tizian, der Maler, Jacopo Tadel, genannt Sansovino, der Bildhauer und Baumeister der Markusrepublik, und Pietro Aretino, der Vater der modernen Publizistik. Obgleich alle drei Ausländer waren, Tizian ein Kind der sriaulischen Alpen aus Cadore, Pietro Aretino, wie sein Zuname besagt, aus Arezzo und Sansovino gar aus dem von den Venetianern nicht eben mit günstigen Augen angesehenen Florenz, so gelang es ihnen doch, in überraschend kurzer Zeit über alle Nebenbuhler und alle Hindernisse zu trium- phiren und sich eine angesehene, einflußreiche und vor allen Dingen einträgliche Stellung zu erobern. Crowe und Cavalcafelle haben die Freundschaft Tizian's und Arelim's in ihrer Biographie des „Königs der Maler" unerklärlich und „räthselhaft" gefunden. Und doch haben gerade diese beiden Forscher eine Fülle von Dokumenten an den Tag gezogen, aus denen ein Helles Licht auf den Charakter Tizian's fällt. Wir gewinnen daraus eine Anschauung von dem Wesen des großen Malers, welche uns seine Freundschaft mit Aretino nur zu erklärlich macht. Crowe und Cavalcafelle haben sich aus leicht begreiflicher Rücksicht für ihren Helden gescheut, aus dem von ihnen gesammelten Material die letzten Konsequenzen zu ziehen, die für Tizian's Charakter nichts weniger als schmeichelhaft sind. Tizian war ein Sohn der Berge, der, wie Josicch Gilbert in seiner interessanten Schilderung von Tizian's Heimat treffend be¬ merkt, die „Findigkeit des Schotten und die Durchtriebenheit des Schweizers" mit einander verband. Unsere Bewunderung und Verehrung des größten Malers, den die Welt bis auf unsere Tage gesehen, wird nicht verringert, wenn wir die Schwächen und Flecken seines Charakters kennen lernen. Tizian war das Kind einer bereits völlig korrumpirten Zeit. Geldgier und Habsucht, der kein Mittel zu schlecht war, um zu ihrem Ziele zu gelangen, waren hervor¬ stechende Charakterzüge der meisten Künstler damaliger Zeit und vornehmlich der venetianischen, die im Luxus und Wohlleben hinter der Lebensweise ihrer patrizischen Freunde und Protektoren nicht zurückbleiben wollten. Am 25. Mürz 1527 war Aretino nach Venedig gekommen, um dort ein Asyl zu suchen, und vom 22. Juni desselben Jahres liegt uns bereits ein Brief von Tizian vor, welcher zeigt, daß der Maler den Dichter porträtirt hatte, und daß ersterer von Bewunderung des letzteren überfloß. Beide hatten sich

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157663
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157663/468
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157663/468>, abgerufen am 01.05.2024.