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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Erstes Quartal.

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Sadi-klug, das Liederbuch der Chinesen,

mit wenig Plan und noch weniger Originalität, Der Neubau ist symbolisirt in
dem Palaste in Westminster, dem Plagiat ans allen Zeiten, allen Ländern, Den
venetianischen Palästen ist die Wasserseite abgesehen, die nach der Themse blickt.
Aber sobald das Fundament aus dem Flusse emporgestiegen, sprang das Gebttnde
entsetzt zurück. Denn der Strom, als silberflnthend gepriesen, so lange das gemeine
Recht sorglich die Najaden schützte, ist die große Kloake geworden, während der
Parlamentarismus sich abmüht, zu ersetzen, was er zerstört. Gothisch soll das
Bildwerk sein, aber statt der Mannichfaltigkeit der Formen, welche die Liebe und
der Humor der alten Meister schuf, peinigt uns das Einerlei der Schnörkel, das
Erzeugniß der Maschine, stereotyp wie die Bewohner des Babel, über dessen Rauch-
fciuge die bedeutungslosen Thürme hinwegsehen.

Das Parlament war nie größer, als wenn es abschaffte, wenn es wegfegte,
was sich auf das lebendige Recht gelagert hatte. Seit der Mi ok rigkts vom
13. Februar 1683 ist keine solche Reinigung vorgekommen. Seit 1832 wächst die
Aufschüttung fabricirter Gesetze in einem Jahre höher als sonst in einem Menschen¬
alter, Wird ein neues Element den mechanischen Wust klären? Wird sich eine
neue Staatsform entwickeln, welche die Bequemlichkeit und die Selbstsucht nicht
stört und doch die Freiheit nud Selbstbestimmung nicht gefährdet? Die Vergangenheit
und die Natur des Menschen, sprechen dagegen,"




5chi-king, das Liederbuch der (Chinesen.

Emnnnel Geibel hat einmal die deutsche Uebersetzungslust zu dem uralten Wander-
und Ervberungsdrange germanischer Völker in poetische Beziehung gesetzt:


Die Fremde lockt uns all. Und wem aus Haus
Der Fuß gebannt, der schickt auf luft'ger Schwinge
Den Wolkenpilger, den Gedanken, aus,
Daß forschend er, was draußen liegt, durchdringe.
So zieht noch heut erobernd feruhinnus
Der deutsche Geist, im weitgezognen Ringe
Sich an des fernsten Auslands Wundcrgabcn
Vertraut und nllempfiinglich zu erlaben.
Das Leben aller Wcltgeschlechtcr schlössen
In unsres wir; wir haben, knhugemuth'
Den fremden Geist in deutsch Gefäß ergossen,
Die fremde Form durchströmt mit deutschem Blut,
Da ward, im Ringen tiefer nur genossen,
Zum Eigenthum uns das entlehnte Gut,

Aber wenn der Dichter mit seinem Preis gerade dieser Seite des deutschen Wesens,
des poetischen Aneignuugsvermögcns, in der Hauptsache Recht hat und wir uns
freuen dürfen, daß uns "vor allen Völkern die echorcichc Brust" zu Theil geworden,


Sadi-klug, das Liederbuch der Chinesen,

mit wenig Plan und noch weniger Originalität, Der Neubau ist symbolisirt in
dem Palaste in Westminster, dem Plagiat ans allen Zeiten, allen Ländern, Den
venetianischen Palästen ist die Wasserseite abgesehen, die nach der Themse blickt.
Aber sobald das Fundament aus dem Flusse emporgestiegen, sprang das Gebttnde
entsetzt zurück. Denn der Strom, als silberflnthend gepriesen, so lange das gemeine
Recht sorglich die Najaden schützte, ist die große Kloake geworden, während der
Parlamentarismus sich abmüht, zu ersetzen, was er zerstört. Gothisch soll das
Bildwerk sein, aber statt der Mannichfaltigkeit der Formen, welche die Liebe und
der Humor der alten Meister schuf, peinigt uns das Einerlei der Schnörkel, das
Erzeugniß der Maschine, stereotyp wie die Bewohner des Babel, über dessen Rauch-
fciuge die bedeutungslosen Thürme hinwegsehen.

Das Parlament war nie größer, als wenn es abschaffte, wenn es wegfegte,
was sich auf das lebendige Recht gelagert hatte. Seit der Mi ok rigkts vom
13. Februar 1683 ist keine solche Reinigung vorgekommen. Seit 1832 wächst die
Aufschüttung fabricirter Gesetze in einem Jahre höher als sonst in einem Menschen¬
alter, Wird ein neues Element den mechanischen Wust klären? Wird sich eine
neue Staatsform entwickeln, welche die Bequemlichkeit und die Selbstsucht nicht
stört und doch die Freiheit nud Selbstbestimmung nicht gefährdet? Die Vergangenheit
und die Natur des Menschen, sprechen dagegen,"




5chi-king, das Liederbuch der (Chinesen.

Emnnnel Geibel hat einmal die deutsche Uebersetzungslust zu dem uralten Wander-
und Ervberungsdrange germanischer Völker in poetische Beziehung gesetzt:


Die Fremde lockt uns all. Und wem aus Haus
Der Fuß gebannt, der schickt auf luft'ger Schwinge
Den Wolkenpilger, den Gedanken, aus,
Daß forschend er, was draußen liegt, durchdringe.
So zieht noch heut erobernd feruhinnus
Der deutsche Geist, im weitgezognen Ringe
Sich an des fernsten Auslands Wundcrgabcn
Vertraut und nllempfiinglich zu erlaben.
Das Leben aller Wcltgeschlechtcr schlössen
In unsres wir; wir haben, knhugemuth'
Den fremden Geist in deutsch Gefäß ergossen,
Die fremde Form durchströmt mit deutschem Blut,
Da ward, im Ringen tiefer nur genossen,
Zum Eigenthum uns das entlehnte Gut,

Aber wenn der Dichter mit seinem Preis gerade dieser Seite des deutschen Wesens,
des poetischen Aneignuugsvermögcns, in der Hauptsache Recht hat und wir uns
freuen dürfen, daß uns „vor allen Völkern die echorcichc Brust" zu Theil geworden,


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[0326] Sadi-klug, das Liederbuch der Chinesen, mit wenig Plan und noch weniger Originalität, Der Neubau ist symbolisirt in dem Palaste in Westminster, dem Plagiat ans allen Zeiten, allen Ländern, Den venetianischen Palästen ist die Wasserseite abgesehen, die nach der Themse blickt. Aber sobald das Fundament aus dem Flusse emporgestiegen, sprang das Gebttnde entsetzt zurück. Denn der Strom, als silberflnthend gepriesen, so lange das gemeine Recht sorglich die Najaden schützte, ist die große Kloake geworden, während der Parlamentarismus sich abmüht, zu ersetzen, was er zerstört. Gothisch soll das Bildwerk sein, aber statt der Mannichfaltigkeit der Formen, welche die Liebe und der Humor der alten Meister schuf, peinigt uns das Einerlei der Schnörkel, das Erzeugniß der Maschine, stereotyp wie die Bewohner des Babel, über dessen Rauch- fciuge die bedeutungslosen Thürme hinwegsehen. Das Parlament war nie größer, als wenn es abschaffte, wenn es wegfegte, was sich auf das lebendige Recht gelagert hatte. Seit der Mi ok rigkts vom 13. Februar 1683 ist keine solche Reinigung vorgekommen. Seit 1832 wächst die Aufschüttung fabricirter Gesetze in einem Jahre höher als sonst in einem Menschen¬ alter, Wird ein neues Element den mechanischen Wust klären? Wird sich eine neue Staatsform entwickeln, welche die Bequemlichkeit und die Selbstsucht nicht stört und doch die Freiheit nud Selbstbestimmung nicht gefährdet? Die Vergangenheit und die Natur des Menschen, sprechen dagegen," 5chi-king, das Liederbuch der (Chinesen. Emnnnel Geibel hat einmal die deutsche Uebersetzungslust zu dem uralten Wander- und Ervberungsdrange germanischer Völker in poetische Beziehung gesetzt: Die Fremde lockt uns all. Und wem aus Haus Der Fuß gebannt, der schickt auf luft'ger Schwinge Den Wolkenpilger, den Gedanken, aus, Daß forschend er, was draußen liegt, durchdringe. So zieht noch heut erobernd feruhinnus Der deutsche Geist, im weitgezognen Ringe Sich an des fernsten Auslands Wundcrgabcn Vertraut und nllempfiinglich zu erlaben. Das Leben aller Wcltgeschlechtcr schlössen In unsres wir; wir haben, knhugemuth' Den fremden Geist in deutsch Gefäß ergossen, Die fremde Form durchströmt mit deutschem Blut, Da ward, im Ringen tiefer nur genossen, Zum Eigenthum uns das entlehnte Gut, Aber wenn der Dichter mit seinem Preis gerade dieser Seite des deutschen Wesens, des poetischen Aneignuugsvermögcns, in der Hauptsache Recht hat und wir uns freuen dürfen, daß uns „vor allen Völkern die echorcichc Brust" zu Theil geworden,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157697/326>, abgerufen am 29.04.2024.