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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Erstes Quartal.

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Sächsische Reactionsgelnste.

und die destructive Ansicht aufkommen, daß die Sittlichkeit und das Recht über¬
haupt keinen Werth haben.

Erscheinungen wie die Cmnorra in Italien und Irland oder wie das russische
Nitroglycerin mögen excentrische Beispiele sein, aber der Zündstoff zu solchen
traurigen Ausbrüchen des Volksgeistes läßt sich in etwas bei allen Staaten
Europas in der Willkür ihrer geschlossenen Beamtenorganisationen und in der
Mangelhaftigkeit ihrer Disciplinargcsetze nachweisen. Uebrigens hat jeder ein¬
zelne in seinem Kreise die Pflicht, dem Unrechte muthig entgegenzutreten. Wir
erinnern bei dieser Gelegenheit an ein treffliches Buch, an Iherings "Kampf
ums Recht." Ueberall im privaten Leben sieht Jhering die Fahne des Rechts
aus Bequemlichkeit feige und schmählich verlassen. Da fordert er mit impera¬
tivischen Worte die eastrirte Generation auf, sich gegen das Unrecht bis an die
Zähne zu rüsten und, selbst in den geringfügigsten Fällen, es rücksichtslos zu
zertreten, sollte auch der Ruin des eignen Vermögens, ja der Tod die Folge
der aufreibenden Anstrengungen sein. Wer das Unrecht ungestraft Angriffe
gegen das Recht unternehmen läßt, giebt nicht Geringeres als die Idee "des
Rechts" preis, und wenn sichs nur um ein paar Groschen handelt, die der
Fiaker über seine Taxe gefordert hat.




sächsische Reactionsgelüste.

ehr Jahre erst besteht das lauge ersehnte nud schwer erkämpfte
neue Deutsche Reich, und schou ist der thntenmuthigc Enthusias¬
mus, der es gründen half, zum größten Theile verflogen. Der
ErinnerungStag der Gründling wird mit Begeisterung fast nur
noch in den Kreisen der Hochschulen begangen. Eine rückläufige
Welle partienlaristischer Sonderthümelei rinnt dnrch die Lande, und Unmuth oder
Kleinmuth beherrscht die treuesten Freunde des Vaterlands. In München er¬
scheint das "Bairische Vaterland" am Tage des ReichsjubiläumS mit einem Trauer¬
rande, in Hannover trinkt man auf die Wiederherstellung des Welfenthrones. Auch
in Dresden giebt es der Sonderbündler noch genug. Zwar geben sie ihrer Reichs-
feindlichkcit nicht so offen Ausdruck; mau kann aber auf die Gesinnung dieser


Sächsische Reactionsgelnste.

und die destructive Ansicht aufkommen, daß die Sittlichkeit und das Recht über¬
haupt keinen Werth haben.

Erscheinungen wie die Cmnorra in Italien und Irland oder wie das russische
Nitroglycerin mögen excentrische Beispiele sein, aber der Zündstoff zu solchen
traurigen Ausbrüchen des Volksgeistes läßt sich in etwas bei allen Staaten
Europas in der Willkür ihrer geschlossenen Beamtenorganisationen und in der
Mangelhaftigkeit ihrer Disciplinargcsetze nachweisen. Uebrigens hat jeder ein¬
zelne in seinem Kreise die Pflicht, dem Unrechte muthig entgegenzutreten. Wir
erinnern bei dieser Gelegenheit an ein treffliches Buch, an Iherings „Kampf
ums Recht." Ueberall im privaten Leben sieht Jhering die Fahne des Rechts
aus Bequemlichkeit feige und schmählich verlassen. Da fordert er mit impera¬
tivischen Worte die eastrirte Generation auf, sich gegen das Unrecht bis an die
Zähne zu rüsten und, selbst in den geringfügigsten Fällen, es rücksichtslos zu
zertreten, sollte auch der Ruin des eignen Vermögens, ja der Tod die Folge
der aufreibenden Anstrengungen sein. Wer das Unrecht ungestraft Angriffe
gegen das Recht unternehmen läßt, giebt nicht Geringeres als die Idee „des
Rechts" preis, und wenn sichs nur um ein paar Groschen handelt, die der
Fiaker über seine Taxe gefordert hat.




sächsische Reactionsgelüste.

ehr Jahre erst besteht das lauge ersehnte nud schwer erkämpfte
neue Deutsche Reich, und schou ist der thntenmuthigc Enthusias¬
mus, der es gründen half, zum größten Theile verflogen. Der
ErinnerungStag der Gründling wird mit Begeisterung fast nur
noch in den Kreisen der Hochschulen begangen. Eine rückläufige
Welle partienlaristischer Sonderthümelei rinnt dnrch die Lande, und Unmuth oder
Kleinmuth beherrscht die treuesten Freunde des Vaterlands. In München er¬
scheint das „Bairische Vaterland" am Tage des ReichsjubiläumS mit einem Trauer¬
rande, in Hannover trinkt man auf die Wiederherstellung des Welfenthrones. Auch
in Dresden giebt es der Sonderbündler noch genug. Zwar geben sie ihrer Reichs-
feindlichkcit nicht so offen Ausdruck; mau kann aber auf die Gesinnung dieser


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[0363] Sächsische Reactionsgelnste. und die destructive Ansicht aufkommen, daß die Sittlichkeit und das Recht über¬ haupt keinen Werth haben. Erscheinungen wie die Cmnorra in Italien und Irland oder wie das russische Nitroglycerin mögen excentrische Beispiele sein, aber der Zündstoff zu solchen traurigen Ausbrüchen des Volksgeistes läßt sich in etwas bei allen Staaten Europas in der Willkür ihrer geschlossenen Beamtenorganisationen und in der Mangelhaftigkeit ihrer Disciplinargcsetze nachweisen. Uebrigens hat jeder ein¬ zelne in seinem Kreise die Pflicht, dem Unrechte muthig entgegenzutreten. Wir erinnern bei dieser Gelegenheit an ein treffliches Buch, an Iherings „Kampf ums Recht." Ueberall im privaten Leben sieht Jhering die Fahne des Rechts aus Bequemlichkeit feige und schmählich verlassen. Da fordert er mit impera¬ tivischen Worte die eastrirte Generation auf, sich gegen das Unrecht bis an die Zähne zu rüsten und, selbst in den geringfügigsten Fällen, es rücksichtslos zu zertreten, sollte auch der Ruin des eignen Vermögens, ja der Tod die Folge der aufreibenden Anstrengungen sein. Wer das Unrecht ungestraft Angriffe gegen das Recht unternehmen läßt, giebt nicht Geringeres als die Idee „des Rechts" preis, und wenn sichs nur um ein paar Groschen handelt, die der Fiaker über seine Taxe gefordert hat. sächsische Reactionsgelüste. ehr Jahre erst besteht das lauge ersehnte nud schwer erkämpfte neue Deutsche Reich, und schou ist der thntenmuthigc Enthusias¬ mus, der es gründen half, zum größten Theile verflogen. Der ErinnerungStag der Gründling wird mit Begeisterung fast nur noch in den Kreisen der Hochschulen begangen. Eine rückläufige Welle partienlaristischer Sonderthümelei rinnt dnrch die Lande, und Unmuth oder Kleinmuth beherrscht die treuesten Freunde des Vaterlands. In München er¬ scheint das „Bairische Vaterland" am Tage des ReichsjubiläumS mit einem Trauer¬ rande, in Hannover trinkt man auf die Wiederherstellung des Welfenthrones. Auch in Dresden giebt es der Sonderbündler noch genug. Zwar geben sie ihrer Reichs- feindlichkcit nicht so offen Ausdruck; mau kann aber auf die Gesinnung dieser

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157697/363>, abgerufen am 28.04.2024.