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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Erstes Quartal.

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Sächsische Reactionsgcliiste.

Leute einen Schluß mache", wem, mau hört, mit welcher despeetirlicheu Aeußerung
ein Vertreter der conservative" Presse die Enthüllung des Gcrmauiadenkmals
verhöhnte, oder wenn mau in einem andern Dresdener Blatte liest, wie Emil
Prudhomme bei dem Bericht über die pöbelhafte Beschimpfung der deutsche"
Fahne i" Müuchc", bei Gelegenheit der 700jährigen Feier der Wittelsbacher
Dynastie, seine Schadenfreude mir mit der Bemerkung bemäntelt: dahin hätten
die Machinationen der Nationalliberaleu das biedre Volk der Naiuvaren gebracht!
Schon der Name der Nativuallibcrale" wirkt auf diese Partieularisten wie das
rothe Tuch auf den Puter. Freilich finden die sreiconservntiven Sachsen, welche
"sich den schlesischen Magnaten angeschlossen haben," die doch militärischer sind
als die Liberale", in den Augen dieser Leute ebensowenig Gnade. Aber solcher
Nativnalconservntiven giebt es hier nnr ein kleines, schüchternes Häuflein, sie sind
nur vereinzelte vom Gros versprengte Reiter und zählen und wirken bei der
conservativen Partei als solcher in Sachsen nicht mit. Außer der Masse der
mehr indifferenten und wankelmüthigen VourgeoiSphilister und Vierbankpolitiker,
die für liberal und conservativ, sür particular und national zugleich gelten wollen,
sind es besonders unsre Hofdemvkratcn von der Fortschrittspartei und unsre Hoch-
kirchler von den Strengevuservative", welche deu Pnrticularismus im Herzen,
wenn auch nicht immer auf der Zunge tragen. Bei den Frommen im Lande
versteht sichs von selbst, daß sie den Culturkampf, den das Reich unnöthiger-
weise angezettelt, als die Wurzel allen Uebels darstellen. Diejenigen gar, welche
sich von dem in allen Chamäleonsfarben schillernden Dresdner Stndtbarbicr be¬
dienen lassen, begründen ihre Opposition z. B. gegen die preußische Kirchcuvor-
lagc von 1880 gerade damit, daß dnrch dieselbe die ultramontane Ccntrnmspartei
habe zersprengt werden sollen, während doch der Fortbestand dieses Centrums
als einer unabhängigen einheitsstaats-feindlichen Partei auch uns Protestautc"
in Sachsen die Hauptsache sei. Sie werfen dem Abg. Windthorst nur das eine
als unwürdige Schwäche vor, daß er der Rcichsregierung seine Unterstützung
für den Fall angetragen hat, daß sie im Kampfe mit der römischen Kirche nach¬
gebe, und wissen dnrch nichts andres zu bezeugen, daß sie sich als Deutsche
fühlen, als indem sie in das Horn der Antisemiten blasen. In dieser gemischten
fortschrittlich-conservative" Gesellschaft gehört es zum guten Ton, möglichst wenig
national zu sein, aber anch möglichst wenig pnrtienlnristisch zu heißen. Diese
Leute zeigen sich empört, wenn ihre reichsfrenndliche Gesinnung von den nationalen
angezweifelt wird, aber wenn man ihnen schärfer auf den Zahn fühlt, so unter¬
scheiden sie stets sofort vorsichtig zwischen engerm und weiteren Vaterland,
und man merkt, daß sie dabei a" den Spruch denken: Das Hemd ist nur näher
als der Rock. Es bleibt aber bei diesem engern oder Reservat-Patriotismus


Sächsische Reactionsgcliiste.

Leute einen Schluß mache», wem, mau hört, mit welcher despeetirlicheu Aeußerung
ein Vertreter der conservative» Presse die Enthüllung des Gcrmauiadenkmals
verhöhnte, oder wenn mau in einem andern Dresdener Blatte liest, wie Emil
Prudhomme bei dem Bericht über die pöbelhafte Beschimpfung der deutsche»
Fahne i» Müuchc», bei Gelegenheit der 700jährigen Feier der Wittelsbacher
Dynastie, seine Schadenfreude mir mit der Bemerkung bemäntelt: dahin hätten
die Machinationen der Nationalliberaleu das biedre Volk der Naiuvaren gebracht!
Schon der Name der Nativuallibcrale» wirkt auf diese Partieularisten wie das
rothe Tuch auf den Puter. Freilich finden die sreiconservntiven Sachsen, welche
„sich den schlesischen Magnaten angeschlossen haben," die doch militärischer sind
als die Liberale», in den Augen dieser Leute ebensowenig Gnade. Aber solcher
Nativnalconservntiven giebt es hier nnr ein kleines, schüchternes Häuflein, sie sind
nur vereinzelte vom Gros versprengte Reiter und zählen und wirken bei der
conservativen Partei als solcher in Sachsen nicht mit. Außer der Masse der
mehr indifferenten und wankelmüthigen VourgeoiSphilister und Vierbankpolitiker,
die für liberal und conservativ, sür particular und national zugleich gelten wollen,
sind es besonders unsre Hofdemvkratcn von der Fortschrittspartei und unsre Hoch-
kirchler von den Strengevuservative», welche deu Pnrticularismus im Herzen,
wenn auch nicht immer auf der Zunge tragen. Bei den Frommen im Lande
versteht sichs von selbst, daß sie den Culturkampf, den das Reich unnöthiger-
weise angezettelt, als die Wurzel allen Uebels darstellen. Diejenigen gar, welche
sich von dem in allen Chamäleonsfarben schillernden Dresdner Stndtbarbicr be¬
dienen lassen, begründen ihre Opposition z. B. gegen die preußische Kirchcuvor-
lagc von 1880 gerade damit, daß dnrch dieselbe die ultramontane Ccntrnmspartei
habe zersprengt werden sollen, während doch der Fortbestand dieses Centrums
als einer unabhängigen einheitsstaats-feindlichen Partei auch uns Protestautc»
in Sachsen die Hauptsache sei. Sie werfen dem Abg. Windthorst nur das eine
als unwürdige Schwäche vor, daß er der Rcichsregierung seine Unterstützung
für den Fall angetragen hat, daß sie im Kampfe mit der römischen Kirche nach¬
gebe, und wissen dnrch nichts andres zu bezeugen, daß sie sich als Deutsche
fühlen, als indem sie in das Horn der Antisemiten blasen. In dieser gemischten
fortschrittlich-conservative» Gesellschaft gehört es zum guten Ton, möglichst wenig
national zu sein, aber anch möglichst wenig pnrtienlnristisch zu heißen. Diese
Leute zeigen sich empört, wenn ihre reichsfrenndliche Gesinnung von den nationalen
angezweifelt wird, aber wenn man ihnen schärfer auf den Zahn fühlt, so unter¬
scheiden sie stets sofort vorsichtig zwischen engerm und weiteren Vaterland,
und man merkt, daß sie dabei a» den Spruch denken: Das Hemd ist nur näher
als der Rock. Es bleibt aber bei diesem engern oder Reservat-Patriotismus


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[0364] Sächsische Reactionsgcliiste. Leute einen Schluß mache», wem, mau hört, mit welcher despeetirlicheu Aeußerung ein Vertreter der conservative» Presse die Enthüllung des Gcrmauiadenkmals verhöhnte, oder wenn mau in einem andern Dresdener Blatte liest, wie Emil Prudhomme bei dem Bericht über die pöbelhafte Beschimpfung der deutsche» Fahne i» Müuchc», bei Gelegenheit der 700jährigen Feier der Wittelsbacher Dynastie, seine Schadenfreude mir mit der Bemerkung bemäntelt: dahin hätten die Machinationen der Nationalliberaleu das biedre Volk der Naiuvaren gebracht! Schon der Name der Nativuallibcrale» wirkt auf diese Partieularisten wie das rothe Tuch auf den Puter. Freilich finden die sreiconservntiven Sachsen, welche „sich den schlesischen Magnaten angeschlossen haben," die doch militärischer sind als die Liberale», in den Augen dieser Leute ebensowenig Gnade. Aber solcher Nativnalconservntiven giebt es hier nnr ein kleines, schüchternes Häuflein, sie sind nur vereinzelte vom Gros versprengte Reiter und zählen und wirken bei der conservativen Partei als solcher in Sachsen nicht mit. Außer der Masse der mehr indifferenten und wankelmüthigen VourgeoiSphilister und Vierbankpolitiker, die für liberal und conservativ, sür particular und national zugleich gelten wollen, sind es besonders unsre Hofdemvkratcn von der Fortschrittspartei und unsre Hoch- kirchler von den Strengevuservative», welche deu Pnrticularismus im Herzen, wenn auch nicht immer auf der Zunge tragen. Bei den Frommen im Lande versteht sichs von selbst, daß sie den Culturkampf, den das Reich unnöthiger- weise angezettelt, als die Wurzel allen Uebels darstellen. Diejenigen gar, welche sich von dem in allen Chamäleonsfarben schillernden Dresdner Stndtbarbicr be¬ dienen lassen, begründen ihre Opposition z. B. gegen die preußische Kirchcuvor- lagc von 1880 gerade damit, daß dnrch dieselbe die ultramontane Ccntrnmspartei habe zersprengt werden sollen, während doch der Fortbestand dieses Centrums als einer unabhängigen einheitsstaats-feindlichen Partei auch uns Protestautc» in Sachsen die Hauptsache sei. Sie werfen dem Abg. Windthorst nur das eine als unwürdige Schwäche vor, daß er der Rcichsregierung seine Unterstützung für den Fall angetragen hat, daß sie im Kampfe mit der römischen Kirche nach¬ gebe, und wissen dnrch nichts andres zu bezeugen, daß sie sich als Deutsche fühlen, als indem sie in das Horn der Antisemiten blasen. In dieser gemischten fortschrittlich-conservative» Gesellschaft gehört es zum guten Ton, möglichst wenig national zu sein, aber anch möglichst wenig pnrtienlnristisch zu heißen. Diese Leute zeigen sich empört, wenn ihre reichsfrenndliche Gesinnung von den nationalen angezweifelt wird, aber wenn man ihnen schärfer auf den Zahn fühlt, so unter¬ scheiden sie stets sofort vorsichtig zwischen engerm und weiteren Vaterland, und man merkt, daß sie dabei a» den Spruch denken: Das Hemd ist nur näher als der Rock. Es bleibt aber bei diesem engern oder Reservat-Patriotismus

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157697/364>, abgerufen am 14.05.2024.