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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Viertes Quartal.

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Aus der Zeit nach dem Tilsiter Frieden.

nicht durch Almosen -- wie die Invaliden der Wahlstatt, und der Staat hat
zu dieser Versorgung beizutragen, gleichviel, ob das socialistisch aussieht oder
nicht. Die Sache darf nicht übers Knie gebrochen, aber auch nicht durch das
übliche Bemängeln um des Bemängelns willen von Session zu Session ver¬
schleppt werden. Hier haben wir es nicht mit utopischen Redensarten, die sich
nicht verwirklichen lassen, zu thun, sondern es handelt sich um eine mit gutem
Willen sehr wohl ausführbare Erleichterung des Looses von Volksgenossen,
deren einziges Capital in ihrer Arbeitskraft besteht, und die nach dem Schwinden
derselben bisher dem Bettel oder der nicht viel weniger erniedrigenden Versor¬
gung durch Armenanstnlten verfielen. Hier zu helfen darf nicht durch Bedenken
vor Nebendingen versäumt werden. Für manche Industriezweige ist die im Ge¬
setzentwürfe verlangte Beitragspflicht des Arbeitsgebers gewiß ein saurer Apfel,
aber derselbe wird einerseits durch die Betrachtung versüßt, daß durch die Ma߬
regel zukünftigen schweren Gefahren vorgebeugt wird, andrerseits dadurch, daß
sie für die spätere Zeit eine erhebliche Verminderung der in Fabrikdistricten jetzt
fast unerschwinglichen Armenbudgets erwarten läßt. Jedenfalls ist die An¬
schauung, daß eine Gesellschaftsklasse der andern schwesterlich helfen müsse, mensch¬
licher als die, daß sie ihr mnnchesterlich den Rücken zuzukehren habe.

Wem das einleuchtet, der erinnere sich daran, wenn der Wahltag erscheinen
wird, und richte seine Abstimmung darnach ein. Die Frage wird in der nächsten
Session des Reichstags und wahrscheinlich in den weitern Sessionen die oberste
Stelle einnehmen, und der Reichstag wird ohne Zweifel aufgelöst werden, wenn
er die Vorschläge des Kanzlers ablehnt. Man prüfe den Kandidaten daher vor
allem auf diese hin, und zeigt er sich nicht bereit, in ihr bedingungslos mit
dem Kanzler zu gehen, so betrachte man ihn als untauglich zu seinem Ver¬
treter. Keine Beistimmung zum Arbeiterversvrgungsgesetz, kein Mandat.




Aus der Zeit nach dem Tilsiter Frieden.
2.*)

"mittelbar nach dem Empfange der Weisungen Steins hatte Götzen
auf böhmischen Boden, in der Ottendorfer Mühle bei Braunau,
eine Zusammenkunft mit dein Grafen Ferdinand von Bubna, der
als Mitglied des Hofkriegsraths und Generaladjutant des Erz¬
herzogs Karl in den Kreisen der österreichischen Heeresleitung eine
wichtige Stellung einnahm. Nachdem Bubna in den Wortlaut der Mittheilungen



-) Publicationen aus den preußischen Staatsarchiven. Sechster Land. Ge¬
schichte der preußischen Politik von 1807 bis 1,815. Von P. Hnssel. 1. Theil.
Leipzig, S. Hirzel, 1881.
Aus der Zeit nach dem Tilsiter Frieden.

nicht durch Almosen — wie die Invaliden der Wahlstatt, und der Staat hat
zu dieser Versorgung beizutragen, gleichviel, ob das socialistisch aussieht oder
nicht. Die Sache darf nicht übers Knie gebrochen, aber auch nicht durch das
übliche Bemängeln um des Bemängelns willen von Session zu Session ver¬
schleppt werden. Hier haben wir es nicht mit utopischen Redensarten, die sich
nicht verwirklichen lassen, zu thun, sondern es handelt sich um eine mit gutem
Willen sehr wohl ausführbare Erleichterung des Looses von Volksgenossen,
deren einziges Capital in ihrer Arbeitskraft besteht, und die nach dem Schwinden
derselben bisher dem Bettel oder der nicht viel weniger erniedrigenden Versor¬
gung durch Armenanstnlten verfielen. Hier zu helfen darf nicht durch Bedenken
vor Nebendingen versäumt werden. Für manche Industriezweige ist die im Ge¬
setzentwürfe verlangte Beitragspflicht des Arbeitsgebers gewiß ein saurer Apfel,
aber derselbe wird einerseits durch die Betrachtung versüßt, daß durch die Ma߬
regel zukünftigen schweren Gefahren vorgebeugt wird, andrerseits dadurch, daß
sie für die spätere Zeit eine erhebliche Verminderung der in Fabrikdistricten jetzt
fast unerschwinglichen Armenbudgets erwarten läßt. Jedenfalls ist die An¬
schauung, daß eine Gesellschaftsklasse der andern schwesterlich helfen müsse, mensch¬
licher als die, daß sie ihr mnnchesterlich den Rücken zuzukehren habe.

Wem das einleuchtet, der erinnere sich daran, wenn der Wahltag erscheinen
wird, und richte seine Abstimmung darnach ein. Die Frage wird in der nächsten
Session des Reichstags und wahrscheinlich in den weitern Sessionen die oberste
Stelle einnehmen, und der Reichstag wird ohne Zweifel aufgelöst werden, wenn
er die Vorschläge des Kanzlers ablehnt. Man prüfe den Kandidaten daher vor
allem auf diese hin, und zeigt er sich nicht bereit, in ihr bedingungslos mit
dem Kanzler zu gehen, so betrachte man ihn als untauglich zu seinem Ver¬
treter. Keine Beistimmung zum Arbeiterversvrgungsgesetz, kein Mandat.




Aus der Zeit nach dem Tilsiter Frieden.
2.*)

»mittelbar nach dem Empfange der Weisungen Steins hatte Götzen
auf böhmischen Boden, in der Ottendorfer Mühle bei Braunau,
eine Zusammenkunft mit dein Grafen Ferdinand von Bubna, der
als Mitglied des Hofkriegsraths und Generaladjutant des Erz¬
herzogs Karl in den Kreisen der österreichischen Heeresleitung eine
wichtige Stellung einnahm. Nachdem Bubna in den Wortlaut der Mittheilungen



-) Publicationen aus den preußischen Staatsarchiven. Sechster Land. Ge¬
schichte der preußischen Politik von 1807 bis 1,815. Von P. Hnssel. 1. Theil.
Leipzig, S. Hirzel, 1881.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157970/104>, abgerufen am 29.04.2024.