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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Viertes Quartal.

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Skizzen aus unserm heutigen Volksleben.
von Fritz Anders.
4. Du sollst nicht stehlen.

> s war in der That höchst unvorsichtig von dein Herrn Cantor ge¬
wesen, daß er bei einer Sitzung des landwirtschaftlichen Vereins,
während man über die Wirkung der Forst- und Feldpolizeigcsetzc
dcbattirte, gesagt hatte: "Und was das Mausen angeht, so ist das
ganz egal -- die Oberdörfer und die Untcrdorfer mausen alle mit
! einander." Dieses ebenso große als gelassen ausgesprochene Wort
hatte allseitige Zustimmung gefunden, selbst bei den Oberdörfern und Unterdorfcrn,
denn zu bestreiten war die Sache nicht, sie mausten allerdings alle, und das mußten
sie ja selber am besten wissen. Und es brauchte sich ja niemand bestimmt getroffen
zu fühlen. Auf der Kölbischen Kirmes aber fingen die getreuen Nachbarn an zu
höhnen und die Ober- und Unterdorfer auszulachen -- das kann kein Bauer ver¬
tragen. Grobheiten berühren ihn nicht sehr, auch sittliche Indignation macht wenig
Eindruck auf sein Gemüth, wer aber den Bauer "blamirt," der macht sich ihn zum
unversöhnlichen Feinde. "Sie haben uns blamirt, und der Cantor wird verklagt" --
das war das Endergebniß.

Wirklich fanden sich auch zwei Nachbarn und Einwohner von Ober- und Unter¬
dorf, die in die Stadt liefen und die Sache anhängig machten -- natürlich min¬
destens beim Staatsanwalte. Dieser wies die Sache ab und an das Schöffengericht,
welches die Privatklage Schwenkfeld-Aupel oonti-g, Stachwitz annahm.

Dem Herrn Cantor Stachwitz war es nicht ganz Wohl zu Muthe. Die ganze
Klage "war zwar Unsinn, es War sogar unverantwortlich, daß sich die Gerichte zu
solchen Sachen hergeben." Indeß ist es mit einem Processe wie mit einem Karten¬
spiele; so wie dort niemand vorhersagen kaun, wie die Karten schlagen, und man
immer erwarten muß, daß das unerwartete geschieht, so spielt man auch seinen Proceß
und gewinnt oder verliert ihn, wie das im unergründlichen Rathschlusse der Juristen
liegt. Als der Cantor aber die Namen Schwcnkfeld und Aupel las, mußte er lachen.
Was? Die beiden größten Lumpen von Ober- und Unterdorf, der eine ein moto¬
rischer Wilddieb, der andre ein Spitzbube, der schon gesessen hat -- die wollen
wegen Ehrenkränkung Klage führen? Auch war es ja weltbekannt und fast ein Sprich¬
wort: "Oberdorf oder Unterdorf, ganz egal, sie mausen alle." Und zum Ueberfluß
versicherte er sich noch der Bundesgenossenschaft eines alten Weibes, welches be¬
schwören konnte, den Aupel beim Wildern getroffen zu haben.

Die Verhandlung begann mit der üblichen Feierlichkeit, der Richter und die
Schöffen machten bedeutsame Mienen. Der Talar des Herrn Amtsrichters und be¬
sonders auch der des Herrn Amtsschreibers machten großen Eindruck, und die
Majestät des Gesetzes flößte unverkennbar tiefe Achtung ein. Der Cnntor hatte es
im Bewußtsein seiner guten Sache unterlassen, einen Anwalt zu nehme", die Kläger
hatten den Justizrath Schlepper, einen berühmten Redner und wahren Schutzengel
aller Lumpen, Schufte und zweifelhaften Persönlichkeiten, zum Anwalt gewonnen.


Skizzen aus unserm heutigen Volksleben.
von Fritz Anders.
4. Du sollst nicht stehlen.

> s war in der That höchst unvorsichtig von dein Herrn Cantor ge¬
wesen, daß er bei einer Sitzung des landwirtschaftlichen Vereins,
während man über die Wirkung der Forst- und Feldpolizeigcsetzc
dcbattirte, gesagt hatte: „Und was das Mausen angeht, so ist das
ganz egal — die Oberdörfer und die Untcrdorfer mausen alle mit
! einander." Dieses ebenso große als gelassen ausgesprochene Wort
hatte allseitige Zustimmung gefunden, selbst bei den Oberdörfern und Unterdorfcrn,
denn zu bestreiten war die Sache nicht, sie mausten allerdings alle, und das mußten
sie ja selber am besten wissen. Und es brauchte sich ja niemand bestimmt getroffen
zu fühlen. Auf der Kölbischen Kirmes aber fingen die getreuen Nachbarn an zu
höhnen und die Ober- und Unterdorfer auszulachen — das kann kein Bauer ver¬
tragen. Grobheiten berühren ihn nicht sehr, auch sittliche Indignation macht wenig
Eindruck auf sein Gemüth, wer aber den Bauer „blamirt," der macht sich ihn zum
unversöhnlichen Feinde. „Sie haben uns blamirt, und der Cantor wird verklagt" —
das war das Endergebniß.

Wirklich fanden sich auch zwei Nachbarn und Einwohner von Ober- und Unter¬
dorf, die in die Stadt liefen und die Sache anhängig machten — natürlich min¬
destens beim Staatsanwalte. Dieser wies die Sache ab und an das Schöffengericht,
welches die Privatklage Schwenkfeld-Aupel oonti-g, Stachwitz annahm.

Dem Herrn Cantor Stachwitz war es nicht ganz Wohl zu Muthe. Die ganze
Klage „war zwar Unsinn, es War sogar unverantwortlich, daß sich die Gerichte zu
solchen Sachen hergeben." Indeß ist es mit einem Processe wie mit einem Karten¬
spiele; so wie dort niemand vorhersagen kaun, wie die Karten schlagen, und man
immer erwarten muß, daß das unerwartete geschieht, so spielt man auch seinen Proceß
und gewinnt oder verliert ihn, wie das im unergründlichen Rathschlusse der Juristen
liegt. Als der Cantor aber die Namen Schwcnkfeld und Aupel las, mußte er lachen.
Was? Die beiden größten Lumpen von Ober- und Unterdorf, der eine ein moto¬
rischer Wilddieb, der andre ein Spitzbube, der schon gesessen hat — die wollen
wegen Ehrenkränkung Klage führen? Auch war es ja weltbekannt und fast ein Sprich¬
wort: „Oberdorf oder Unterdorf, ganz egal, sie mausen alle." Und zum Ueberfluß
versicherte er sich noch der Bundesgenossenschaft eines alten Weibes, welches be¬
schwören konnte, den Aupel beim Wildern getroffen zu haben.

Die Verhandlung begann mit der üblichen Feierlichkeit, der Richter und die
Schöffen machten bedeutsame Mienen. Der Talar des Herrn Amtsrichters und be¬
sonders auch der des Herrn Amtsschreibers machten großen Eindruck, und die
Majestät des Gesetzes flößte unverkennbar tiefe Achtung ein. Der Cnntor hatte es
im Bewußtsein seiner guten Sache unterlassen, einen Anwalt zu nehme», die Kläger
hatten den Justizrath Schlepper, einen berühmten Redner und wahren Schutzengel
aller Lumpen, Schufte und zweifelhaften Persönlichkeiten, zum Anwalt gewonnen.


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[0289] Skizzen aus unserm heutigen Volksleben. von Fritz Anders. 4. Du sollst nicht stehlen. > s war in der That höchst unvorsichtig von dein Herrn Cantor ge¬ wesen, daß er bei einer Sitzung des landwirtschaftlichen Vereins, während man über die Wirkung der Forst- und Feldpolizeigcsetzc dcbattirte, gesagt hatte: „Und was das Mausen angeht, so ist das ganz egal — die Oberdörfer und die Untcrdorfer mausen alle mit ! einander." Dieses ebenso große als gelassen ausgesprochene Wort hatte allseitige Zustimmung gefunden, selbst bei den Oberdörfern und Unterdorfcrn, denn zu bestreiten war die Sache nicht, sie mausten allerdings alle, und das mußten sie ja selber am besten wissen. Und es brauchte sich ja niemand bestimmt getroffen zu fühlen. Auf der Kölbischen Kirmes aber fingen die getreuen Nachbarn an zu höhnen und die Ober- und Unterdorfer auszulachen — das kann kein Bauer ver¬ tragen. Grobheiten berühren ihn nicht sehr, auch sittliche Indignation macht wenig Eindruck auf sein Gemüth, wer aber den Bauer „blamirt," der macht sich ihn zum unversöhnlichen Feinde. „Sie haben uns blamirt, und der Cantor wird verklagt" — das war das Endergebniß. Wirklich fanden sich auch zwei Nachbarn und Einwohner von Ober- und Unter¬ dorf, die in die Stadt liefen und die Sache anhängig machten — natürlich min¬ destens beim Staatsanwalte. Dieser wies die Sache ab und an das Schöffengericht, welches die Privatklage Schwenkfeld-Aupel oonti-g, Stachwitz annahm. Dem Herrn Cantor Stachwitz war es nicht ganz Wohl zu Muthe. Die ganze Klage „war zwar Unsinn, es War sogar unverantwortlich, daß sich die Gerichte zu solchen Sachen hergeben." Indeß ist es mit einem Processe wie mit einem Karten¬ spiele; so wie dort niemand vorhersagen kaun, wie die Karten schlagen, und man immer erwarten muß, daß das unerwartete geschieht, so spielt man auch seinen Proceß und gewinnt oder verliert ihn, wie das im unergründlichen Rathschlusse der Juristen liegt. Als der Cantor aber die Namen Schwcnkfeld und Aupel las, mußte er lachen. Was? Die beiden größten Lumpen von Ober- und Unterdorf, der eine ein moto¬ rischer Wilddieb, der andre ein Spitzbube, der schon gesessen hat — die wollen wegen Ehrenkränkung Klage führen? Auch war es ja weltbekannt und fast ein Sprich¬ wort: „Oberdorf oder Unterdorf, ganz egal, sie mausen alle." Und zum Ueberfluß versicherte er sich noch der Bundesgenossenschaft eines alten Weibes, welches be¬ schwören konnte, den Aupel beim Wildern getroffen zu haben. Die Verhandlung begann mit der üblichen Feierlichkeit, der Richter und die Schöffen machten bedeutsame Mienen. Der Talar des Herrn Amtsrichters und be¬ sonders auch der des Herrn Amtsschreibers machten großen Eindruck, und die Majestät des Gesetzes flößte unverkennbar tiefe Achtung ein. Der Cnntor hatte es im Bewußtsein seiner guten Sache unterlassen, einen Anwalt zu nehme», die Kläger hatten den Justizrath Schlepper, einen berühmten Redner und wahren Schutzengel aller Lumpen, Schufte und zweifelhaften Persönlichkeiten, zum Anwalt gewonnen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157970/289>, abgerufen am 28.04.2024.