Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Viertes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Jur socialen Frage.

Annäherung an den Fortschritt zu ovtiren, so wähle ich aus staatsmän¬
nischen Gründen das Centrum. Dasselbe kann für den Staat sehr un¬
bequem' werden und ist es geworden, aber nicht so gefährlich wie meines Tr¬
achtens der Fortschritt werden kann. ... Da wähle ich als Politiker, der zu
einem Urtheil, zu einer Meinung verpflichtet ist, nothwendig das kleinere Uebel____
Ich will sagen, ich wähle die Seite, durch welche meiner Ansicht nach das Staats-
schiff weniger in seiner Steuerung genirt und gehemmt wird, ohne gerade Ge¬
fahr zu laufen. Wenn ich im Kampfe gegen die ununterbrochen sich drehenden
Strömungen und Wirbel der Parteien am Steuerruder des Staates stehe, kann
ich nicht alle Jahre, alle Tage und in jedem wechselnden Moment wie ein theo¬
retischer Narr dasselbe thun, was ich vor fünfzehn Jahren etwa gethan habe,
während eine vollständig veränderte Situation eingetreten ist, und wenn der Kampf,
den ich pflichtmäßig -- ich weiß nicht wie viele Jahre -- und, ich gestehe gern
zu, mit der mir eignen Lebhaftigkeit geführt habe, nicht mehr am Platze, nicht
mehr nothwendig ist. Ich ordne diese meine Lebhaftigkeit dem mich beherr¬
schenden Gesetze der sÄus publiog, bereitwillig unter."

Wir werden nun sehen, wie das Centrum diesem Entgegenkommen seiner¬
seits entgegenkommt. Daß ein Theil desselben, Windthorst an der Spitze, am
Tage nach dieser Rede gegen die Bewilligung der für den Volkswirthschafts¬
rath verlangten Summe stimmte, läßt das aufkeimende Vertrauen auf die Herren
merklich wieder geringer und kühler werden. Uebrigens liegt die Entscheidung
ja nicht allein beim Centrum und den Conservativen. Das Zünglein der Wage
wird von den Polen, Welsen, Elsaß-Lothringern und Socialdemokraten gebildet;
dahin haben es die Demagogen der Secession und ihre Bundesgenossen vom
Fortschritte gebracht und, setzen wir hinzu, die Verblendung des Philisterthums,
das ihre absurden Phrasen und Lügen für Wahrheit hielt.




Zur socialen Frage.

cum man sich eine Vorstellung verschaffen will von der künftigen
Gestaltung der Verhältnisse, in welchen sich die bürgerliche Ge¬
sellschaft gegenwärtig befindet, so wird die praktischste Methode
wohl die sein, daß man ähnliche Perioden in der Vergangenheit
zum Vergleiche heranzieht und dann zu ermitteln sucht, inwieweit
es wahrscheinlich ist, daß die jetzigen Zustände gleiche Folgen haben werden wie
die vergangenen, oder inwieweit nnter den veränderten Verhältnissen der Ge¬
genwart gleiche Ursachen verschiedene Wirkungen haben dürften.


Jur socialen Frage.

Annäherung an den Fortschritt zu ovtiren, so wähle ich aus staatsmän¬
nischen Gründen das Centrum. Dasselbe kann für den Staat sehr un¬
bequem' werden und ist es geworden, aber nicht so gefährlich wie meines Tr¬
achtens der Fortschritt werden kann. ... Da wähle ich als Politiker, der zu
einem Urtheil, zu einer Meinung verpflichtet ist, nothwendig das kleinere Uebel____
Ich will sagen, ich wähle die Seite, durch welche meiner Ansicht nach das Staats-
schiff weniger in seiner Steuerung genirt und gehemmt wird, ohne gerade Ge¬
fahr zu laufen. Wenn ich im Kampfe gegen die ununterbrochen sich drehenden
Strömungen und Wirbel der Parteien am Steuerruder des Staates stehe, kann
ich nicht alle Jahre, alle Tage und in jedem wechselnden Moment wie ein theo¬
retischer Narr dasselbe thun, was ich vor fünfzehn Jahren etwa gethan habe,
während eine vollständig veränderte Situation eingetreten ist, und wenn der Kampf,
den ich pflichtmäßig — ich weiß nicht wie viele Jahre — und, ich gestehe gern
zu, mit der mir eignen Lebhaftigkeit geführt habe, nicht mehr am Platze, nicht
mehr nothwendig ist. Ich ordne diese meine Lebhaftigkeit dem mich beherr¬
schenden Gesetze der sÄus publiog, bereitwillig unter."

Wir werden nun sehen, wie das Centrum diesem Entgegenkommen seiner¬
seits entgegenkommt. Daß ein Theil desselben, Windthorst an der Spitze, am
Tage nach dieser Rede gegen die Bewilligung der für den Volkswirthschafts¬
rath verlangten Summe stimmte, läßt das aufkeimende Vertrauen auf die Herren
merklich wieder geringer und kühler werden. Uebrigens liegt die Entscheidung
ja nicht allein beim Centrum und den Conservativen. Das Zünglein der Wage
wird von den Polen, Welsen, Elsaß-Lothringern und Socialdemokraten gebildet;
dahin haben es die Demagogen der Secession und ihre Bundesgenossen vom
Fortschritte gebracht und, setzen wir hinzu, die Verblendung des Philisterthums,
das ihre absurden Phrasen und Lügen für Wahrheit hielt.




Zur socialen Frage.

cum man sich eine Vorstellung verschaffen will von der künftigen
Gestaltung der Verhältnisse, in welchen sich die bürgerliche Ge¬
sellschaft gegenwärtig befindet, so wird die praktischste Methode
wohl die sein, daß man ähnliche Perioden in der Vergangenheit
zum Vergleiche heranzieht und dann zu ermitteln sucht, inwieweit
es wahrscheinlich ist, daß die jetzigen Zustände gleiche Folgen haben werden wie
die vergangenen, oder inwieweit nnter den veränderten Verhältnissen der Ge¬
genwart gleiche Ursachen verschiedene Wirkungen haben dürften.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0450" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/151172"/>
          <fw type="header" place="top"> Jur socialen Frage.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1481" prev="#ID_1480"> Annäherung an den Fortschritt zu ovtiren, so wähle ich aus staatsmän¬<lb/>
nischen Gründen das Centrum. Dasselbe kann für den Staat sehr un¬<lb/>
bequem' werden und ist es geworden, aber nicht so gefährlich wie meines Tr¬<lb/>
achtens der Fortschritt werden kann. ... Da wähle ich als Politiker, der zu<lb/>
einem Urtheil, zu einer Meinung verpflichtet ist, nothwendig das kleinere Uebel____<lb/>
Ich will sagen, ich wähle die Seite, durch welche meiner Ansicht nach das Staats-<lb/>
schiff weniger in seiner Steuerung genirt und gehemmt wird, ohne gerade Ge¬<lb/>
fahr zu laufen. Wenn ich im Kampfe gegen die ununterbrochen sich drehenden<lb/>
Strömungen und Wirbel der Parteien am Steuerruder des Staates stehe, kann<lb/>
ich nicht alle Jahre, alle Tage und in jedem wechselnden Moment wie ein theo¬<lb/>
retischer Narr dasselbe thun, was ich vor fünfzehn Jahren etwa gethan habe,<lb/>
während eine vollständig veränderte Situation eingetreten ist, und wenn der Kampf,<lb/>
den ich pflichtmäßig &#x2014; ich weiß nicht wie viele Jahre &#x2014; und, ich gestehe gern<lb/>
zu, mit der mir eignen Lebhaftigkeit geführt habe, nicht mehr am Platze, nicht<lb/>
mehr nothwendig ist. Ich ordne diese meine Lebhaftigkeit dem mich beherr¬<lb/>
schenden Gesetze der sÄus publiog, bereitwillig unter."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1482"> Wir werden nun sehen, wie das Centrum diesem Entgegenkommen seiner¬<lb/>
seits entgegenkommt. Daß ein Theil desselben, Windthorst an der Spitze, am<lb/>
Tage nach dieser Rede gegen die Bewilligung der für den Volkswirthschafts¬<lb/>
rath verlangten Summe stimmte, läßt das aufkeimende Vertrauen auf die Herren<lb/>
merklich wieder geringer und kühler werden. Uebrigens liegt die Entscheidung<lb/>
ja nicht allein beim Centrum und den Conservativen. Das Zünglein der Wage<lb/>
wird von den Polen, Welsen, Elsaß-Lothringern und Socialdemokraten gebildet;<lb/>
dahin haben es die Demagogen der Secession und ihre Bundesgenossen vom<lb/>
Fortschritte gebracht und, setzen wir hinzu, die Verblendung des Philisterthums,<lb/>
das ihre absurden Phrasen und Lügen für Wahrheit hielt.</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Zur socialen Frage.</head><lb/>
          <p xml:id="ID_1483"> cum man sich eine Vorstellung verschaffen will von der künftigen<lb/>
Gestaltung der Verhältnisse, in welchen sich die bürgerliche Ge¬<lb/>
sellschaft gegenwärtig befindet, so wird die praktischste Methode<lb/>
wohl die sein, daß man ähnliche Perioden in der Vergangenheit<lb/>
zum Vergleiche heranzieht und dann zu ermitteln sucht, inwieweit<lb/>
es wahrscheinlich ist, daß die jetzigen Zustände gleiche Folgen haben werden wie<lb/>
die vergangenen, oder inwieweit nnter den veränderten Verhältnissen der Ge¬<lb/>
genwart gleiche Ursachen verschiedene Wirkungen haben dürften.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0450] Jur socialen Frage. Annäherung an den Fortschritt zu ovtiren, so wähle ich aus staatsmän¬ nischen Gründen das Centrum. Dasselbe kann für den Staat sehr un¬ bequem' werden und ist es geworden, aber nicht so gefährlich wie meines Tr¬ achtens der Fortschritt werden kann. ... Da wähle ich als Politiker, der zu einem Urtheil, zu einer Meinung verpflichtet ist, nothwendig das kleinere Uebel____ Ich will sagen, ich wähle die Seite, durch welche meiner Ansicht nach das Staats- schiff weniger in seiner Steuerung genirt und gehemmt wird, ohne gerade Ge¬ fahr zu laufen. Wenn ich im Kampfe gegen die ununterbrochen sich drehenden Strömungen und Wirbel der Parteien am Steuerruder des Staates stehe, kann ich nicht alle Jahre, alle Tage und in jedem wechselnden Moment wie ein theo¬ retischer Narr dasselbe thun, was ich vor fünfzehn Jahren etwa gethan habe, während eine vollständig veränderte Situation eingetreten ist, und wenn der Kampf, den ich pflichtmäßig — ich weiß nicht wie viele Jahre — und, ich gestehe gern zu, mit der mir eignen Lebhaftigkeit geführt habe, nicht mehr am Platze, nicht mehr nothwendig ist. Ich ordne diese meine Lebhaftigkeit dem mich beherr¬ schenden Gesetze der sÄus publiog, bereitwillig unter." Wir werden nun sehen, wie das Centrum diesem Entgegenkommen seiner¬ seits entgegenkommt. Daß ein Theil desselben, Windthorst an der Spitze, am Tage nach dieser Rede gegen die Bewilligung der für den Volkswirthschafts¬ rath verlangten Summe stimmte, läßt das aufkeimende Vertrauen auf die Herren merklich wieder geringer und kühler werden. Uebrigens liegt die Entscheidung ja nicht allein beim Centrum und den Conservativen. Das Zünglein der Wage wird von den Polen, Welsen, Elsaß-Lothringern und Socialdemokraten gebildet; dahin haben es die Demagogen der Secession und ihre Bundesgenossen vom Fortschritte gebracht und, setzen wir hinzu, die Verblendung des Philisterthums, das ihre absurden Phrasen und Lügen für Wahrheit hielt. Zur socialen Frage. cum man sich eine Vorstellung verschaffen will von der künftigen Gestaltung der Verhältnisse, in welchen sich die bürgerliche Ge¬ sellschaft gegenwärtig befindet, so wird die praktischste Methode wohl die sein, daß man ähnliche Perioden in der Vergangenheit zum Vergleiche heranzieht und dann zu ermitteln sucht, inwieweit es wahrscheinlich ist, daß die jetzigen Zustände gleiche Folgen haben werden wie die vergangenen, oder inwieweit nnter den veränderten Verhältnissen der Ge¬ genwart gleiche Ursachen verschiedene Wirkungen haben dürften.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157970
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157970/450
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157970/450>, abgerufen am 28.04.2024.