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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Viertes Quartal.

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Zwei Moliere-Biographien,

Auf diesem Gebiete stehen Volksvertretung und Regierung gleich; sie müssen
sich beide verständigen, und bei gutem Willen wird es an eiuer solchen Verstän¬
digung nicht fehle". Die Krone wird dann den festen Stützpunkt bilden, der
anch die Macht hat und haben muß -- wie wir es erlebt haben --, eine Zeit
lang einer Parlanicntsmehrhcit widerstehen zu können, um dann um so kräftiger
die Unterstützung desselben zu finden. Auf diesen deutschen Staat in seiner ge¬
schichtlichen Entstehung sind die parlamentarischen Schablonen andrer Länder
unanwendbar. Das sollte man endlich einsehen. So wie Deutschland sich uach
außen hin unabhängig zu stellen gewußt hat, so muß es auch nach innen seine
eignen Wege gehen.




Zwei Moliöre - Biographien.
2.

rst mit den ?r6czikri86Z riclioulös, dem ersten Stück, das Moliore
in Paris schrieb und ein Jahr nach seiner Rückkehr dorthin im
Alter von 37 Jahren zur Aufführung brachte, verläßt er die
ausgetretenen Geleise der italienischen Modekomödie und lenkt mit
dem Charaktcrlustspicl in eine neue Bahn ein. Er ist zugleich
der erste, der, was selbst Shakespeare in seinen Lustspielen nicht gethan hat, mit
bewußter Absicht seine eigne Zeit schildert. Von da an beginnt er in seinen
Stücken mit glühendem sittlichen Hasse einen unermüdlichen Kampf gegen die
Verkehrtheiten und Gemeinheiten des menschlichen Lebens.

Trotzdem hat man dem Dichter öfter den Vorwurf der Unmoralität ge¬
macht, insbesondre hat Rousseau diese Vorwürfe erhoben, weil in Mvliöres Lust¬
spielen bisweilen die gewissenlose Schlauheit auf Kosten der beschränkten Tugend
die Zuschauer amüsirt, Mahrcuholtz sucht Mvliöre verschiedentlich gegen Rousseaus
Kritik zu vertheidigen, da er die thatsächliche Richtigkeit der Rousseauschen Ein¬
wendungen nicht ganz in Abrede stellen kann. Das richtige trifft wohl anch
hier Lotheißen, wenn er ausführt, daß frühere Zeiten in diesem Punkte über¬
haupt etwas naiver waren als wir, und beim lauten Gelächter über die tollen



*) Molivrc, Sein Loben und seine Werke von Ferdinand Lotheißcn. Frank¬
furt a. M., Literarische Anstalt lRütten >K Loening), 1880, VII u, 418 S, Mit dein Por¬
trät des Dichters in Kupfer gestochen. -- Moliures Leben und Werke vom Standpunkt
der heutige" Forschung von R, Mahrenholtz, Heilbronn, Verlag von Gebr, Henninger,
1881. VII u. 398 S,
Zwei Moliere-Biographien,

Auf diesem Gebiete stehen Volksvertretung und Regierung gleich; sie müssen
sich beide verständigen, und bei gutem Willen wird es an eiuer solchen Verstän¬
digung nicht fehle». Die Krone wird dann den festen Stützpunkt bilden, der
anch die Macht hat und haben muß — wie wir es erlebt haben —, eine Zeit
lang einer Parlanicntsmehrhcit widerstehen zu können, um dann um so kräftiger
die Unterstützung desselben zu finden. Auf diesen deutschen Staat in seiner ge¬
schichtlichen Entstehung sind die parlamentarischen Schablonen andrer Länder
unanwendbar. Das sollte man endlich einsehen. So wie Deutschland sich uach
außen hin unabhängig zu stellen gewußt hat, so muß es auch nach innen seine
eignen Wege gehen.




Zwei Moliöre - Biographien.
2.

rst mit den ?r6czikri86Z riclioulös, dem ersten Stück, das Moliore
in Paris schrieb und ein Jahr nach seiner Rückkehr dorthin im
Alter von 37 Jahren zur Aufführung brachte, verläßt er die
ausgetretenen Geleise der italienischen Modekomödie und lenkt mit
dem Charaktcrlustspicl in eine neue Bahn ein. Er ist zugleich
der erste, der, was selbst Shakespeare in seinen Lustspielen nicht gethan hat, mit
bewußter Absicht seine eigne Zeit schildert. Von da an beginnt er in seinen
Stücken mit glühendem sittlichen Hasse einen unermüdlichen Kampf gegen die
Verkehrtheiten und Gemeinheiten des menschlichen Lebens.

Trotzdem hat man dem Dichter öfter den Vorwurf der Unmoralität ge¬
macht, insbesondre hat Rousseau diese Vorwürfe erhoben, weil in Mvliöres Lust¬
spielen bisweilen die gewissenlose Schlauheit auf Kosten der beschränkten Tugend
die Zuschauer amüsirt, Mahrcuholtz sucht Mvliöre verschiedentlich gegen Rousseaus
Kritik zu vertheidigen, da er die thatsächliche Richtigkeit der Rousseauschen Ein¬
wendungen nicht ganz in Abrede stellen kann. Das richtige trifft wohl anch
hier Lotheißen, wenn er ausführt, daß frühere Zeiten in diesem Punkte über¬
haupt etwas naiver waren als wir, und beim lauten Gelächter über die tollen



*) Molivrc, Sein Loben und seine Werke von Ferdinand Lotheißcn. Frank¬
furt a. M., Literarische Anstalt lRütten >K Loening), 1880, VII u, 418 S, Mit dein Por¬
trät des Dichters in Kupfer gestochen. — Moliures Leben und Werke vom Standpunkt
der heutige» Forschung von R, Mahrenholtz, Heilbronn, Verlag von Gebr, Henninger,
1881. VII u. 398 S,
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[0506] Zwei Moliere-Biographien, Auf diesem Gebiete stehen Volksvertretung und Regierung gleich; sie müssen sich beide verständigen, und bei gutem Willen wird es an eiuer solchen Verstän¬ digung nicht fehle». Die Krone wird dann den festen Stützpunkt bilden, der anch die Macht hat und haben muß — wie wir es erlebt haben —, eine Zeit lang einer Parlanicntsmehrhcit widerstehen zu können, um dann um so kräftiger die Unterstützung desselben zu finden. Auf diesen deutschen Staat in seiner ge¬ schichtlichen Entstehung sind die parlamentarischen Schablonen andrer Länder unanwendbar. Das sollte man endlich einsehen. So wie Deutschland sich uach außen hin unabhängig zu stellen gewußt hat, so muß es auch nach innen seine eignen Wege gehen. Zwei Moliöre - Biographien. 2. rst mit den ?r6czikri86Z riclioulös, dem ersten Stück, das Moliore in Paris schrieb und ein Jahr nach seiner Rückkehr dorthin im Alter von 37 Jahren zur Aufführung brachte, verläßt er die ausgetretenen Geleise der italienischen Modekomödie und lenkt mit dem Charaktcrlustspicl in eine neue Bahn ein. Er ist zugleich der erste, der, was selbst Shakespeare in seinen Lustspielen nicht gethan hat, mit bewußter Absicht seine eigne Zeit schildert. Von da an beginnt er in seinen Stücken mit glühendem sittlichen Hasse einen unermüdlichen Kampf gegen die Verkehrtheiten und Gemeinheiten des menschlichen Lebens. Trotzdem hat man dem Dichter öfter den Vorwurf der Unmoralität ge¬ macht, insbesondre hat Rousseau diese Vorwürfe erhoben, weil in Mvliöres Lust¬ spielen bisweilen die gewissenlose Schlauheit auf Kosten der beschränkten Tugend die Zuschauer amüsirt, Mahrcuholtz sucht Mvliöre verschiedentlich gegen Rousseaus Kritik zu vertheidigen, da er die thatsächliche Richtigkeit der Rousseauschen Ein¬ wendungen nicht ganz in Abrede stellen kann. Das richtige trifft wohl anch hier Lotheißen, wenn er ausführt, daß frühere Zeiten in diesem Punkte über¬ haupt etwas naiver waren als wir, und beim lauten Gelächter über die tollen *) Molivrc, Sein Loben und seine Werke von Ferdinand Lotheißcn. Frank¬ furt a. M., Literarische Anstalt lRütten >K Loening), 1880, VII u, 418 S, Mit dein Por¬ trät des Dichters in Kupfer gestochen. — Moliures Leben und Werke vom Standpunkt der heutige» Forschung von R, Mahrenholtz, Heilbronn, Verlag von Gebr, Henninger, 1881. VII u. 398 S,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157970/506>, abgerufen am 29.04.2024.