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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Viertes Quartal.

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Die neuen Erwerbungen der Dresdener Galerie.

lebendige Frische, mit welcher alte Mären hier neu belebt sind, und durch deu
leichten Fluß der Darstellung und des Verses ausgezeichnet. Namentlich die
drei Abenteuer des "Bruder Rausch" rufen den Eindruck jugendlicher Heiterkeit
und farbenfrischer Anschaulichkeit hervor und lassen bedauern, daß wir nicht das
ganze vortrefflich angelegte Gedicht kennen lernen. In bemerkenswerthen Gegen¬
satze dazu stehen die "den Manen seines Bruders" gewidmeten lyrische" Gedichte
von Wilhelm Hertz. Ferner finden wir "Freie Rhythmen" von Hermann Lingg,
Gedichte des Grafen Adolf Friedrich von Schack, nnter denen wir den
Terzinen "Allerseelen-Nacht" den Vorzug geben, vberbairischc Gedichte von
dem greisen Franz von Kobell, Gedichte von fünf neuen, in dem ersten
Münchner Dichterbuch nicht vertretenen Namen: vou Max Kalbcck (besonders
schön und einfach anmuthig die "Erinnerung"), von Amelie Godin, Frieda
Port, Ludwig Schneegans (in Straßburger Mundart, unter ihnen die präch¬
tigen "Der wo fiir Befehls zum Befehle gilt," "Ich habb emol zwei Katze
ghctt," "Mir zwischa Basel im Lenden d'heim,") Karl Stieler (frische Wander¬
lieder und einen männlich ernsten poetischen Nachruf an General von der Tann)
und wie schon oben gesagt die vier Gäste aus dem Kreise vou ehedem. Emanuel
Geibel ergeht sich in antiken Maßen in Jugenderinnerungen, von Fr. Boden-
stedt finden wir mir ein Gedicht "In californischer Wildniß," Julius Grosse
giebt "Jugendlieder," "Herbstblätter" und "Tagebuchblätter" in jener verall¬
gemeinernd poetischen Weise, bei der schwer unterscheidbar ist, was man für
eigenste Poesie und was für Reminiscenz erachten soll, von I. V. Scheffel
finden wir "Thüringer Geschichtsbilder" aus dem für eine weimarische fürst¬
liche Vermählung gedichteten Festspiel "Die Linde am Ettersberg."

Alles in allem legen auch die schwächern Dichtungen dieses Bandes Zeugniß
davon ab, daß die Pflege eines künstlerischen Sinnes weder so gleichgiltig noch
für "unsre Zeit" so resultatlos ist, wie es im Gewirr des Tages und einer
täglich mehr verwitternden Tagesliteratur zu Zeiten scheinen will. Das "Neue
Münchner Dichterbuch" wird wie das erste voraussichtlich einen gewissen Werth
behaupten und sei einstweilen der Theilnahme der Empfänglichen empfohlen.




Die neuen Erwerbungen der Dresdener Galerie.

er Berliner Rnbensstrcit hat in seinem Verlaufe recht unerquick¬
liche Erscheinungen zu Tage gefördert. Er verlor sehr bald den
sachlichen Charakter und wurde auf ein persönliches Gebiet über¬
tragen, ans dem sich nicht mehr Vertheidiger und Zweifler gegen¬
überstanden, sondern Künstler und Kunstgelehrte. Die Persön¬
lichkeit, welche den. Streite diese Wendung gab, war der Director der Kasseler


Die neuen Erwerbungen der Dresdener Galerie.

lebendige Frische, mit welcher alte Mären hier neu belebt sind, und durch deu
leichten Fluß der Darstellung und des Verses ausgezeichnet. Namentlich die
drei Abenteuer des „Bruder Rausch" rufen den Eindruck jugendlicher Heiterkeit
und farbenfrischer Anschaulichkeit hervor und lassen bedauern, daß wir nicht das
ganze vortrefflich angelegte Gedicht kennen lernen. In bemerkenswerthen Gegen¬
satze dazu stehen die „den Manen seines Bruders" gewidmeten lyrische» Gedichte
von Wilhelm Hertz. Ferner finden wir „Freie Rhythmen" von Hermann Lingg,
Gedichte des Grafen Adolf Friedrich von Schack, nnter denen wir den
Terzinen „Allerseelen-Nacht" den Vorzug geben, vberbairischc Gedichte von
dem greisen Franz von Kobell, Gedichte von fünf neuen, in dem ersten
Münchner Dichterbuch nicht vertretenen Namen: vou Max Kalbcck (besonders
schön und einfach anmuthig die „Erinnerung"), von Amelie Godin, Frieda
Port, Ludwig Schneegans (in Straßburger Mundart, unter ihnen die präch¬
tigen „Der wo fiir Befehls zum Befehle gilt," „Ich habb emol zwei Katze
ghctt," „Mir zwischa Basel im Lenden d'heim,") Karl Stieler (frische Wander¬
lieder und einen männlich ernsten poetischen Nachruf an General von der Tann)
und wie schon oben gesagt die vier Gäste aus dem Kreise vou ehedem. Emanuel
Geibel ergeht sich in antiken Maßen in Jugenderinnerungen, von Fr. Boden-
stedt finden wir mir ein Gedicht „In californischer Wildniß," Julius Grosse
giebt „Jugendlieder," „Herbstblätter" und „Tagebuchblätter" in jener verall¬
gemeinernd poetischen Weise, bei der schwer unterscheidbar ist, was man für
eigenste Poesie und was für Reminiscenz erachten soll, von I. V. Scheffel
finden wir „Thüringer Geschichtsbilder" aus dem für eine weimarische fürst¬
liche Vermählung gedichteten Festspiel „Die Linde am Ettersberg."

Alles in allem legen auch die schwächern Dichtungen dieses Bandes Zeugniß
davon ab, daß die Pflege eines künstlerischen Sinnes weder so gleichgiltig noch
für „unsre Zeit" so resultatlos ist, wie es im Gewirr des Tages und einer
täglich mehr verwitternden Tagesliteratur zu Zeiten scheinen will. Das „Neue
Münchner Dichterbuch" wird wie das erste voraussichtlich einen gewissen Werth
behaupten und sei einstweilen der Theilnahme der Empfänglichen empfohlen.




Die neuen Erwerbungen der Dresdener Galerie.

er Berliner Rnbensstrcit hat in seinem Verlaufe recht unerquick¬
liche Erscheinungen zu Tage gefördert. Er verlor sehr bald den
sachlichen Charakter und wurde auf ein persönliches Gebiet über¬
tragen, ans dem sich nicht mehr Vertheidiger und Zweifler gegen¬
überstanden, sondern Künstler und Kunstgelehrte. Die Persön¬
lichkeit, welche den. Streite diese Wendung gab, war der Director der Kasseler


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[0519] Die neuen Erwerbungen der Dresdener Galerie. lebendige Frische, mit welcher alte Mären hier neu belebt sind, und durch deu leichten Fluß der Darstellung und des Verses ausgezeichnet. Namentlich die drei Abenteuer des „Bruder Rausch" rufen den Eindruck jugendlicher Heiterkeit und farbenfrischer Anschaulichkeit hervor und lassen bedauern, daß wir nicht das ganze vortrefflich angelegte Gedicht kennen lernen. In bemerkenswerthen Gegen¬ satze dazu stehen die „den Manen seines Bruders" gewidmeten lyrische» Gedichte von Wilhelm Hertz. Ferner finden wir „Freie Rhythmen" von Hermann Lingg, Gedichte des Grafen Adolf Friedrich von Schack, nnter denen wir den Terzinen „Allerseelen-Nacht" den Vorzug geben, vberbairischc Gedichte von dem greisen Franz von Kobell, Gedichte von fünf neuen, in dem ersten Münchner Dichterbuch nicht vertretenen Namen: vou Max Kalbcck (besonders schön und einfach anmuthig die „Erinnerung"), von Amelie Godin, Frieda Port, Ludwig Schneegans (in Straßburger Mundart, unter ihnen die präch¬ tigen „Der wo fiir Befehls zum Befehle gilt," „Ich habb emol zwei Katze ghctt," „Mir zwischa Basel im Lenden d'heim,") Karl Stieler (frische Wander¬ lieder und einen männlich ernsten poetischen Nachruf an General von der Tann) und wie schon oben gesagt die vier Gäste aus dem Kreise vou ehedem. Emanuel Geibel ergeht sich in antiken Maßen in Jugenderinnerungen, von Fr. Boden- stedt finden wir mir ein Gedicht „In californischer Wildniß," Julius Grosse giebt „Jugendlieder," „Herbstblätter" und „Tagebuchblätter" in jener verall¬ gemeinernd poetischen Weise, bei der schwer unterscheidbar ist, was man für eigenste Poesie und was für Reminiscenz erachten soll, von I. V. Scheffel finden wir „Thüringer Geschichtsbilder" aus dem für eine weimarische fürst¬ liche Vermählung gedichteten Festspiel „Die Linde am Ettersberg." Alles in allem legen auch die schwächern Dichtungen dieses Bandes Zeugniß davon ab, daß die Pflege eines künstlerischen Sinnes weder so gleichgiltig noch für „unsre Zeit" so resultatlos ist, wie es im Gewirr des Tages und einer täglich mehr verwitternden Tagesliteratur zu Zeiten scheinen will. Das „Neue Münchner Dichterbuch" wird wie das erste voraussichtlich einen gewissen Werth behaupten und sei einstweilen der Theilnahme der Empfänglichen empfohlen. Die neuen Erwerbungen der Dresdener Galerie. er Berliner Rnbensstrcit hat in seinem Verlaufe recht unerquick¬ liche Erscheinungen zu Tage gefördert. Er verlor sehr bald den sachlichen Charakter und wurde auf ein persönliches Gebiet über¬ tragen, ans dem sich nicht mehr Vertheidiger und Zweifler gegen¬ überstanden, sondern Künstler und Kunstgelehrte. Die Persön¬ lichkeit, welche den. Streite diese Wendung gab, war der Director der Kasseler

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157970/519>, abgerufen am 29.04.2024.