Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Viertes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite

letzte Schicksal, den Tod des landflüchtigcn Atheners dar. Für den oberfläch-
lichen Leser mag es den Anschein gewinnen, als greift der Dichter mit dieser Com-
position, welche nur das letzte Schicksal des durch tausend Schicksale gegangueu
darstellt, zur Form der französischen Tragödie zurück, die aus einem künstlich
gedehnten letzten Act besteht. In Wahrheit ist es eine reiche Handlung voll hoch-
dramatischer Spannung, denn in dem engen Nahmen der Vorgänge eines Tages
wiederholt sich noch einmal das ganze Lebensgeschick des gottbegnadeter Helden. Ein
Schatten der Tvdesmüdigkeit liegt von vornherein über ihm, und wie er im
Zwiespalt einer neuen glänzenden Lebensverheißung und der Treue gegen eine
schlichte Liebe aus Tagen der Noth, nach kurzer Versuchung zu dieser Liebe
zurückkehrt, können ihm die Götter nichts mehr geben als einen raschen Tod an
der Seite der treuen Timandra, Die Tragödie ist reich gesättigt mit einer
Fülle innern Lebens, es liegt der eigenste Glanz einer Empfindung und Geistes-
reifc über ihr, die sich in wenigen deutschen Dramen der Gegenwart findet.
Denn unsre poetisch-dramatischen Anläufe gehen meist von jüngeren Kräften
aus, und den ersten Enttäuschungen folgt entweder der Ekel an dem Treiben
der heutigen Bühne oder die tantismenhuugrige Routine. Hier ist weder vom
einen noch vom andern die Rede.

Die sonstigen Beiträge Hehses sind ein kleines erzählendes Gedicht "Der
Traumgott," formell unmuthig und voll sprachlichen Reizes, und ein Buch Sprüche,
die meist körnig und treffend sind. Zur Probe nur die folgenden:


Wird deu Winden auch zum Raube,
Was >nu Staubessohn geschrieben,
Sei es gleich dem Bliitenstnube,
Der befruchtet im Zerstieben.



Trocken findest Du dieses Buch?
Es gleicht einem tiefen Bronnen;
Wär nur Dein schopffen lang genng,
Hältst wohl einen Trunk gewonnen.



Hüte Dich wahllos einzustimmen,
Wenn Lästerzungen die Frauen kränken,
Man kann nicht schlimm genug von den schlimmen,
Nicht gut genug von den guten denken.



Das Hans ist fest gefügt; inmitten
Der Stürme steht es hoch und hehr;
Nur die Akustik hat gelitten,
Der Muse Ruf vernimmt man drin nicht mehr.

Den Heyseschen Beiträgen an Gehalt lind Werth zunächst stehen die beiden
erzählenden Dichtungen des Buches "Bruder Rausch," ein Klvstermärchen von
Wilhelm Hertz, und "Frau Rada" von Ludwig Laistner, beide durch die


letzte Schicksal, den Tod des landflüchtigcn Atheners dar. Für den oberfläch-
lichen Leser mag es den Anschein gewinnen, als greift der Dichter mit dieser Com-
position, welche nur das letzte Schicksal des durch tausend Schicksale gegangueu
darstellt, zur Form der französischen Tragödie zurück, die aus einem künstlich
gedehnten letzten Act besteht. In Wahrheit ist es eine reiche Handlung voll hoch-
dramatischer Spannung, denn in dem engen Nahmen der Vorgänge eines Tages
wiederholt sich noch einmal das ganze Lebensgeschick des gottbegnadeter Helden. Ein
Schatten der Tvdesmüdigkeit liegt von vornherein über ihm, und wie er im
Zwiespalt einer neuen glänzenden Lebensverheißung und der Treue gegen eine
schlichte Liebe aus Tagen der Noth, nach kurzer Versuchung zu dieser Liebe
zurückkehrt, können ihm die Götter nichts mehr geben als einen raschen Tod an
der Seite der treuen Timandra, Die Tragödie ist reich gesättigt mit einer
Fülle innern Lebens, es liegt der eigenste Glanz einer Empfindung und Geistes-
reifc über ihr, die sich in wenigen deutschen Dramen der Gegenwart findet.
Denn unsre poetisch-dramatischen Anläufe gehen meist von jüngeren Kräften
aus, und den ersten Enttäuschungen folgt entweder der Ekel an dem Treiben
der heutigen Bühne oder die tantismenhuugrige Routine. Hier ist weder vom
einen noch vom andern die Rede.

Die sonstigen Beiträge Hehses sind ein kleines erzählendes Gedicht „Der
Traumgott," formell unmuthig und voll sprachlichen Reizes, und ein Buch Sprüche,
die meist körnig und treffend sind. Zur Probe nur die folgenden:


Wird deu Winden auch zum Raube,
Was >nu Staubessohn geschrieben,
Sei es gleich dem Bliitenstnube,
Der befruchtet im Zerstieben.



Trocken findest Du dieses Buch?
Es gleicht einem tiefen Bronnen;
Wär nur Dein schopffen lang genng,
Hältst wohl einen Trunk gewonnen.



Hüte Dich wahllos einzustimmen,
Wenn Lästerzungen die Frauen kränken,
Man kann nicht schlimm genug von den schlimmen,
Nicht gut genug von den guten denken.



Das Hans ist fest gefügt; inmitten
Der Stürme steht es hoch und hehr;
Nur die Akustik hat gelitten,
Der Muse Ruf vernimmt man drin nicht mehr.

Den Heyseschen Beiträgen an Gehalt lind Werth zunächst stehen die beiden
erzählenden Dichtungen des Buches „Bruder Rausch," ein Klvstermärchen von
Wilhelm Hertz, und „Frau Rada" von Ludwig Laistner, beide durch die


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0518" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/151240"/>
          <fw type="header" place="top"/><lb/>
          <p xml:id="ID_1690" prev="#ID_1689"> letzte Schicksal, den Tod des landflüchtigcn Atheners dar. Für den oberfläch-<lb/>
lichen Leser mag es den Anschein gewinnen, als greift der Dichter mit dieser Com-<lb/>
position, welche nur das letzte Schicksal des durch tausend Schicksale gegangueu<lb/>
darstellt, zur Form der französischen Tragödie zurück, die aus einem künstlich<lb/>
gedehnten letzten Act besteht. In Wahrheit ist es eine reiche Handlung voll hoch-<lb/>
dramatischer Spannung, denn in dem engen Nahmen der Vorgänge eines Tages<lb/>
wiederholt sich noch einmal das ganze Lebensgeschick des gottbegnadeter Helden. Ein<lb/>
Schatten der Tvdesmüdigkeit liegt von vornherein über ihm, und wie er im<lb/>
Zwiespalt einer neuen glänzenden Lebensverheißung und der Treue gegen eine<lb/>
schlichte Liebe aus Tagen der Noth, nach kurzer Versuchung zu dieser Liebe<lb/>
zurückkehrt, können ihm die Götter nichts mehr geben als einen raschen Tod an<lb/>
der Seite der treuen Timandra, Die Tragödie ist reich gesättigt mit einer<lb/>
Fülle innern Lebens, es liegt der eigenste Glanz einer Empfindung und Geistes-<lb/>
reifc über ihr, die sich in wenigen deutschen Dramen der Gegenwart findet.<lb/>
Denn unsre poetisch-dramatischen Anläufe gehen meist von jüngeren Kräften<lb/>
aus, und den ersten Enttäuschungen folgt entweder der Ekel an dem Treiben<lb/>
der heutigen Bühne oder die tantismenhuugrige Routine. Hier ist weder vom<lb/>
einen noch vom andern die Rede.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1691"> Die sonstigen Beiträge Hehses sind ein kleines erzählendes Gedicht &#x201E;Der<lb/>
Traumgott," formell unmuthig und voll sprachlichen Reizes, und ein Buch Sprüche,<lb/>
die meist körnig und treffend sind. Zur Probe nur die folgenden:</p><lb/>
          <quote>
            <lg xml:id="POEMID_22" type="poem">
              <l> Wird deu Winden auch zum Raube,<lb/>
Was &gt;nu Staubessohn geschrieben,<lb/>
Sei es gleich dem Bliitenstnube,<lb/>
Der befruchtet im Zerstieben.</l>
            </lg>
          </quote><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
          <quote>
            <lg xml:id="POEMID_23" type="poem">
              <l> Trocken findest Du dieses Buch?<lb/>
Es gleicht einem tiefen Bronnen;<lb/>
Wär nur Dein schopffen lang genng,<lb/>
Hältst wohl einen Trunk gewonnen.</l>
            </lg>
          </quote><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
          <quote>
            <lg xml:id="POEMID_24" type="poem">
              <l> Hüte Dich wahllos einzustimmen,<lb/>
Wenn Lästerzungen die Frauen kränken,<lb/>
Man kann nicht schlimm genug von den schlimmen,<lb/>
Nicht gut genug von den guten denken.</l>
            </lg>
          </quote><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
          <quote>
            <lg xml:id="POEMID_25" type="poem">
              <l> Das Hans ist fest gefügt; inmitten<lb/>
Der Stürme steht es hoch und hehr;<lb/>
Nur die Akustik hat gelitten,<lb/>
Der Muse Ruf vernimmt man drin nicht mehr.</l>
            </lg>
          </quote><lb/>
          <p xml:id="ID_1692" next="#ID_1693"> Den Heyseschen Beiträgen an Gehalt lind Werth zunächst stehen die beiden<lb/>
erzählenden Dichtungen des Buches &#x201E;Bruder Rausch," ein Klvstermärchen von<lb/>
Wilhelm Hertz, und &#x201E;Frau Rada" von Ludwig Laistner, beide durch die</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0518] letzte Schicksal, den Tod des landflüchtigcn Atheners dar. Für den oberfläch- lichen Leser mag es den Anschein gewinnen, als greift der Dichter mit dieser Com- position, welche nur das letzte Schicksal des durch tausend Schicksale gegangueu darstellt, zur Form der französischen Tragödie zurück, die aus einem künstlich gedehnten letzten Act besteht. In Wahrheit ist es eine reiche Handlung voll hoch- dramatischer Spannung, denn in dem engen Nahmen der Vorgänge eines Tages wiederholt sich noch einmal das ganze Lebensgeschick des gottbegnadeter Helden. Ein Schatten der Tvdesmüdigkeit liegt von vornherein über ihm, und wie er im Zwiespalt einer neuen glänzenden Lebensverheißung und der Treue gegen eine schlichte Liebe aus Tagen der Noth, nach kurzer Versuchung zu dieser Liebe zurückkehrt, können ihm die Götter nichts mehr geben als einen raschen Tod an der Seite der treuen Timandra, Die Tragödie ist reich gesättigt mit einer Fülle innern Lebens, es liegt der eigenste Glanz einer Empfindung und Geistes- reifc über ihr, die sich in wenigen deutschen Dramen der Gegenwart findet. Denn unsre poetisch-dramatischen Anläufe gehen meist von jüngeren Kräften aus, und den ersten Enttäuschungen folgt entweder der Ekel an dem Treiben der heutigen Bühne oder die tantismenhuugrige Routine. Hier ist weder vom einen noch vom andern die Rede. Die sonstigen Beiträge Hehses sind ein kleines erzählendes Gedicht „Der Traumgott," formell unmuthig und voll sprachlichen Reizes, und ein Buch Sprüche, die meist körnig und treffend sind. Zur Probe nur die folgenden: Wird deu Winden auch zum Raube, Was >nu Staubessohn geschrieben, Sei es gleich dem Bliitenstnube, Der befruchtet im Zerstieben. Trocken findest Du dieses Buch? Es gleicht einem tiefen Bronnen; Wär nur Dein schopffen lang genng, Hältst wohl einen Trunk gewonnen. Hüte Dich wahllos einzustimmen, Wenn Lästerzungen die Frauen kränken, Man kann nicht schlimm genug von den schlimmen, Nicht gut genug von den guten denken. Das Hans ist fest gefügt; inmitten Der Stürme steht es hoch und hehr; Nur die Akustik hat gelitten, Der Muse Ruf vernimmt man drin nicht mehr. Den Heyseschen Beiträgen an Gehalt lind Werth zunächst stehen die beiden erzählenden Dichtungen des Buches „Bruder Rausch," ein Klvstermärchen von Wilhelm Hertz, und „Frau Rada" von Ludwig Laistner, beide durch die

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157970
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157970/518
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157970/518>, abgerufen am 15.05.2024.