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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Viertes Quartal.

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Handelsprivilegien.

diejenige andrer Länder in der Stabilität seiner Negierung liegt, und daß es
diese allein dem Umstände verdankt, daß es keine parlamentarische Regierungs¬
form besitzt." . . . Die parlamentarische Regierungsform kann nur da ersprießlich
wirken, wo nicht mehr als zwei Parteien, die beide gleich national und gleich
conservativ sind, im Besitz der Parlamentsmehrheit abwechseln. In Deutsch¬
land, wo eine starke Minorität rcichsfeindlichcr Elemente stationär ist, wo die
reichstreue Mehrheit in vier oder fünf Fractionen zerfällt und wo ein doctri-
närer Idealismus stets unzufrieden mit dem Gebotenen und ans hyperkritischer
Besserwisserei stets uneinig über die rechten Mittel zum Zwecke ist, würde diese
Regierungsform eine Abgeschmacktheit sein und sich, wenn man sie adoptirte,
sehr bald als ein Fluch erweisen. "Diese Ansicht ist noch fern davon, im Volke
allgemein durchdrungen zu sein; aber sie ist im Begriffe, sich Bahn zu brechen
und dämmert bereits in den dunkelsten Schichten."




Handelsprivilegien.
von Emil Witte.

rcihandel nennt sich das System, welches bis vor kurzem die
Wirthschaftspolitik Europas beherrscht hat und im wesentliche"
noch heute beherrscht. "Wir verlangen vom Staate nichts," pflegen die Anhänger
desselben zu sage", "als daß wir in Ruhe gelassen werden. So¬
gar jede besondre Pflege, welche der Staat dem Handel angedeihen läßt, schä¬
digt denselben. Wir wollen keine Vorzüge genießen, wollen aber natürlich auch
nicht gegen die andern Erwerbszweige zurückgesetzt werden. Wir verlangen nichts
als Freihandel."

Wer sollte diesem Programm nicht beistimmen? Bekannte doch sogar, als
es sich vor zwei Jahren um die Einführung von Schutzzölle" handelte, der Ver¬
treter des deutsche" Reiches, daß ihm der Freihandel sympathischer sei als der
Schutzzoll. Und mußten nicht insbesondre die liberalen Parteien schon um des
Namens willen sich als Vorkämpfer des Freihandels ansehen?

Entspricht denn aber der heutige Freihandel seinem Namen? Ist es ihm
mit dem angedeuteten Programm ernst, und will derselbe wirklich keine beson¬
dern Vorzüge vor den andern Erwerbszweigen genießen?

Wir wollen nicht betonen, daß die Kriegsflotten der modernen Staaten in
erster Linie, ja fast ausschließlich, dem auswärtigen Handel zu Gute kommen,
daß beispielsweise Englands Handelssuprematie in demselben Augenblicke zu Ende


Handelsprivilegien.

diejenige andrer Länder in der Stabilität seiner Negierung liegt, und daß es
diese allein dem Umstände verdankt, daß es keine parlamentarische Regierungs¬
form besitzt." . . . Die parlamentarische Regierungsform kann nur da ersprießlich
wirken, wo nicht mehr als zwei Parteien, die beide gleich national und gleich
conservativ sind, im Besitz der Parlamentsmehrheit abwechseln. In Deutsch¬
land, wo eine starke Minorität rcichsfeindlichcr Elemente stationär ist, wo die
reichstreue Mehrheit in vier oder fünf Fractionen zerfällt und wo ein doctri-
närer Idealismus stets unzufrieden mit dem Gebotenen und ans hyperkritischer
Besserwisserei stets uneinig über die rechten Mittel zum Zwecke ist, würde diese
Regierungsform eine Abgeschmacktheit sein und sich, wenn man sie adoptirte,
sehr bald als ein Fluch erweisen. „Diese Ansicht ist noch fern davon, im Volke
allgemein durchdrungen zu sein; aber sie ist im Begriffe, sich Bahn zu brechen
und dämmert bereits in den dunkelsten Schichten."




Handelsprivilegien.
von Emil Witte.

rcihandel nennt sich das System, welches bis vor kurzem die
Wirthschaftspolitik Europas beherrscht hat und im wesentliche»
noch heute beherrscht. „Wir verlangen vom Staate nichts," pflegen die Anhänger
desselben zu sage», „als daß wir in Ruhe gelassen werden. So¬
gar jede besondre Pflege, welche der Staat dem Handel angedeihen läßt, schä¬
digt denselben. Wir wollen keine Vorzüge genießen, wollen aber natürlich auch
nicht gegen die andern Erwerbszweige zurückgesetzt werden. Wir verlangen nichts
als Freihandel."

Wer sollte diesem Programm nicht beistimmen? Bekannte doch sogar, als
es sich vor zwei Jahren um die Einführung von Schutzzölle» handelte, der Ver¬
treter des deutsche» Reiches, daß ihm der Freihandel sympathischer sei als der
Schutzzoll. Und mußten nicht insbesondre die liberalen Parteien schon um des
Namens willen sich als Vorkämpfer des Freihandels ansehen?

Entspricht denn aber der heutige Freihandel seinem Namen? Ist es ihm
mit dem angedeuteten Programm ernst, und will derselbe wirklich keine beson¬
dern Vorzüge vor den andern Erwerbszweigen genießen?

Wir wollen nicht betonen, daß die Kriegsflotten der modernen Staaten in
erster Linie, ja fast ausschließlich, dem auswärtigen Handel zu Gute kommen,
daß beispielsweise Englands Handelssuprematie in demselben Augenblicke zu Ende


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[0548] Handelsprivilegien. diejenige andrer Länder in der Stabilität seiner Negierung liegt, und daß es diese allein dem Umstände verdankt, daß es keine parlamentarische Regierungs¬ form besitzt." . . . Die parlamentarische Regierungsform kann nur da ersprießlich wirken, wo nicht mehr als zwei Parteien, die beide gleich national und gleich conservativ sind, im Besitz der Parlamentsmehrheit abwechseln. In Deutsch¬ land, wo eine starke Minorität rcichsfeindlichcr Elemente stationär ist, wo die reichstreue Mehrheit in vier oder fünf Fractionen zerfällt und wo ein doctri- närer Idealismus stets unzufrieden mit dem Gebotenen und ans hyperkritischer Besserwisserei stets uneinig über die rechten Mittel zum Zwecke ist, würde diese Regierungsform eine Abgeschmacktheit sein und sich, wenn man sie adoptirte, sehr bald als ein Fluch erweisen. „Diese Ansicht ist noch fern davon, im Volke allgemein durchdrungen zu sein; aber sie ist im Begriffe, sich Bahn zu brechen und dämmert bereits in den dunkelsten Schichten." Handelsprivilegien. von Emil Witte. rcihandel nennt sich das System, welches bis vor kurzem die Wirthschaftspolitik Europas beherrscht hat und im wesentliche» noch heute beherrscht. „Wir verlangen vom Staate nichts," pflegen die Anhänger desselben zu sage», „als daß wir in Ruhe gelassen werden. So¬ gar jede besondre Pflege, welche der Staat dem Handel angedeihen läßt, schä¬ digt denselben. Wir wollen keine Vorzüge genießen, wollen aber natürlich auch nicht gegen die andern Erwerbszweige zurückgesetzt werden. Wir verlangen nichts als Freihandel." Wer sollte diesem Programm nicht beistimmen? Bekannte doch sogar, als es sich vor zwei Jahren um die Einführung von Schutzzölle» handelte, der Ver¬ treter des deutsche» Reiches, daß ihm der Freihandel sympathischer sei als der Schutzzoll. Und mußten nicht insbesondre die liberalen Parteien schon um des Namens willen sich als Vorkämpfer des Freihandels ansehen? Entspricht denn aber der heutige Freihandel seinem Namen? Ist es ihm mit dem angedeuteten Programm ernst, und will derselbe wirklich keine beson¬ dern Vorzüge vor den andern Erwerbszweigen genießen? Wir wollen nicht betonen, daß die Kriegsflotten der modernen Staaten in erster Linie, ja fast ausschließlich, dem auswärtigen Handel zu Gute kommen, daß beispielsweise Englands Handelssuprematie in demselben Augenblicke zu Ende

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157970/548>, abgerufen am 29.04.2024.