Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Viertes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Friedrich Txielhagen und sein Ich-Roman.

mäßige Kosten machen, gezwungen werden, der neuen Einrichtung zu Liebe ihre
Tertia zu theilen, auch wenn sonst kein Bedürfniß dazu vorhanden ist?

Mehr und mehr nimmt die Zahl der Lehrer ab, welche die Berechtigung
haben, neben dem altsprachigen Unterricht auch Mathematik und Französisch zu
unterrichten. Man mag dies bedauern, es ist aber nicht zu ändern. Nun ist
an jedem Gymnasium Sorge getragen, daß für die einzelnen Lehrgegenstände
die entsprechenden Lehrkräfte vorhanden sind. Eine Vermehrung der mathema¬
tischen und französischen Stunden würde auch eine Verschiebung in den Lehr¬
kräften zur Folge haben, sodaß für diese Disciplinen die Lehrer mangeln, während
sie für die alten Sprachen überschüssig sein würden. Auch dies ist eine Schwierig¬
keit, die in der Praxis sich um so fühlbarer machen würde, weil der Unterricht
in demselben Gegenstände in einer Klasse nicht unter mehrere Lehrer getheilt
werden kann.

Gewiß gilt auch auf dem Gebiete des Schulwesens der Satz, daäsStill-
stand Rückschritt ist, und die Behörden haben immer zu prüfen, ol/die be¬
stehenden Einrichtungen den veränderten Anforderungen der Zeit entsprechen.
Aber auf keinem Gebiete ist auch Experimentiren gefährlicher als auf dem der
Schule.


B. h.


Friedrich ^"pielhagen und sein Ich-Roman.

chon wer die "Problematischen Naturen" von Friedrich Spiel¬
hagen mit Aufmerksamkeit las und sie dabei doch zu Ende brachte,
mußte sich sagen: Dieser Schriftsteller will das Gute, er ist dich¬
terisch veranlagt, er hat sogar eine gewisse Empfänglichkeit für
das Schöne, obwohl sein Empfinden nicht rein ist, aber -- er
ist kein scharfer Denker. Die Conflicte des Lebens lösen sich ihm nicht in Har¬
monie auf, solidem sie verwirren ihn. Er will Helden darstellen, welche räthsel-
hafter Natur sind, und er giebt Leute, welche der geistigen Durchbildung er¬
mangeln. Er möchte jenen scheinbaren innern Zwiespalt beleuchten, welcher
zwischen dem Ideal und der Wirklichkeit besteht, und -- dieser Zwiespalt besteht
für ihn selber. Er ist, bei Lichte besehen, der Meinung, Gott-Vater hätte da
eine Welt geschaffen, in welcher er sich selber nicht mehr recht "anstemmte,"
und man wird in den Krisen des Romans an Mephisto's Wort erinnert:


Wo so ein Köpfchen keinen Ausgang sieht,
Stellt er sich gleich das Ende vor.

Friedrich Txielhagen und sein Ich-Roman.

mäßige Kosten machen, gezwungen werden, der neuen Einrichtung zu Liebe ihre
Tertia zu theilen, auch wenn sonst kein Bedürfniß dazu vorhanden ist?

Mehr und mehr nimmt die Zahl der Lehrer ab, welche die Berechtigung
haben, neben dem altsprachigen Unterricht auch Mathematik und Französisch zu
unterrichten. Man mag dies bedauern, es ist aber nicht zu ändern. Nun ist
an jedem Gymnasium Sorge getragen, daß für die einzelnen Lehrgegenstände
die entsprechenden Lehrkräfte vorhanden sind. Eine Vermehrung der mathema¬
tischen und französischen Stunden würde auch eine Verschiebung in den Lehr¬
kräften zur Folge haben, sodaß für diese Disciplinen die Lehrer mangeln, während
sie für die alten Sprachen überschüssig sein würden. Auch dies ist eine Schwierig¬
keit, die in der Praxis sich um so fühlbarer machen würde, weil der Unterricht
in demselben Gegenstände in einer Klasse nicht unter mehrere Lehrer getheilt
werden kann.

Gewiß gilt auch auf dem Gebiete des Schulwesens der Satz, daäsStill-
stand Rückschritt ist, und die Behörden haben immer zu prüfen, ol/die be¬
stehenden Einrichtungen den veränderten Anforderungen der Zeit entsprechen.
Aber auf keinem Gebiete ist auch Experimentiren gefährlicher als auf dem der
Schule.


B. h.


Friedrich ^»pielhagen und sein Ich-Roman.

chon wer die „Problematischen Naturen" von Friedrich Spiel¬
hagen mit Aufmerksamkeit las und sie dabei doch zu Ende brachte,
mußte sich sagen: Dieser Schriftsteller will das Gute, er ist dich¬
terisch veranlagt, er hat sogar eine gewisse Empfänglichkeit für
das Schöne, obwohl sein Empfinden nicht rein ist, aber — er
ist kein scharfer Denker. Die Conflicte des Lebens lösen sich ihm nicht in Har¬
monie auf, solidem sie verwirren ihn. Er will Helden darstellen, welche räthsel-
hafter Natur sind, und er giebt Leute, welche der geistigen Durchbildung er¬
mangeln. Er möchte jenen scheinbaren innern Zwiespalt beleuchten, welcher
zwischen dem Ideal und der Wirklichkeit besteht, und — dieser Zwiespalt besteht
für ihn selber. Er ist, bei Lichte besehen, der Meinung, Gott-Vater hätte da
eine Welt geschaffen, in welcher er sich selber nicht mehr recht „anstemmte,"
und man wird in den Krisen des Romans an Mephisto's Wort erinnert:


Wo so ein Köpfchen keinen Ausgang sieht,
Stellt er sich gleich das Ende vor.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0561" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/151283"/>
          <fw type="header" place="top"> Friedrich Txielhagen und sein Ich-Roman.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1816" prev="#ID_1815"> mäßige Kosten machen, gezwungen werden, der neuen Einrichtung zu Liebe ihre<lb/>
Tertia zu theilen, auch wenn sonst kein Bedürfniß dazu vorhanden ist?</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1817"> Mehr und mehr nimmt die Zahl der Lehrer ab, welche die Berechtigung<lb/>
haben, neben dem altsprachigen Unterricht auch Mathematik und Französisch zu<lb/>
unterrichten. Man mag dies bedauern, es ist aber nicht zu ändern. Nun ist<lb/>
an jedem Gymnasium Sorge getragen, daß für die einzelnen Lehrgegenstände<lb/>
die entsprechenden Lehrkräfte vorhanden sind. Eine Vermehrung der mathema¬<lb/>
tischen und französischen Stunden würde auch eine Verschiebung in den Lehr¬<lb/>
kräften zur Folge haben, sodaß für diese Disciplinen die Lehrer mangeln, während<lb/>
sie für die alten Sprachen überschüssig sein würden. Auch dies ist eine Schwierig¬<lb/>
keit, die in der Praxis sich um so fühlbarer machen würde, weil der Unterricht<lb/>
in demselben Gegenstände in einer Klasse nicht unter mehrere Lehrer getheilt<lb/>
werden kann.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1818"> Gewiß gilt auch auf dem Gebiete des Schulwesens der Satz, daäsStill-<lb/>
stand Rückschritt ist, und die Behörden haben immer zu prüfen, ol/die be¬<lb/>
stehenden Einrichtungen den veränderten Anforderungen der Zeit entsprechen.<lb/>
Aber auf keinem Gebiete ist auch Experimentiren gefährlicher als auf dem der<lb/>
Schule.</p><lb/>
          <note type="byline"> B. h.</note><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Friedrich ^»pielhagen und sein Ich-Roman.</head><lb/>
          <p xml:id="ID_1819" next="#ID_1820"> chon wer die &#x201E;Problematischen Naturen" von Friedrich Spiel¬<lb/>
hagen mit Aufmerksamkeit las und sie dabei doch zu Ende brachte,<lb/>
mußte sich sagen: Dieser Schriftsteller will das Gute, er ist dich¬<lb/>
terisch veranlagt, er hat sogar eine gewisse Empfänglichkeit für<lb/>
das Schöne, obwohl sein Empfinden nicht rein ist, aber &#x2014; er<lb/>
ist kein scharfer Denker. Die Conflicte des Lebens lösen sich ihm nicht in Har¬<lb/>
monie auf, solidem sie verwirren ihn. Er will Helden darstellen, welche räthsel-<lb/>
hafter Natur sind, und er giebt Leute, welche der geistigen Durchbildung er¬<lb/>
mangeln. Er möchte jenen scheinbaren innern Zwiespalt beleuchten, welcher<lb/>
zwischen dem Ideal und der Wirklichkeit besteht, und &#x2014; dieser Zwiespalt besteht<lb/>
für ihn selber. Er ist, bei Lichte besehen, der Meinung, Gott-Vater hätte da<lb/>
eine Welt geschaffen, in welcher er sich selber nicht mehr recht &#x201E;anstemmte,"<lb/>
und man wird in den Krisen des Romans an Mephisto's Wort erinnert:</p><lb/>
          <quote> Wo so ein Köpfchen keinen Ausgang sieht,<lb/>
Stellt er sich gleich das Ende vor.</quote><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0561] Friedrich Txielhagen und sein Ich-Roman. mäßige Kosten machen, gezwungen werden, der neuen Einrichtung zu Liebe ihre Tertia zu theilen, auch wenn sonst kein Bedürfniß dazu vorhanden ist? Mehr und mehr nimmt die Zahl der Lehrer ab, welche die Berechtigung haben, neben dem altsprachigen Unterricht auch Mathematik und Französisch zu unterrichten. Man mag dies bedauern, es ist aber nicht zu ändern. Nun ist an jedem Gymnasium Sorge getragen, daß für die einzelnen Lehrgegenstände die entsprechenden Lehrkräfte vorhanden sind. Eine Vermehrung der mathema¬ tischen und französischen Stunden würde auch eine Verschiebung in den Lehr¬ kräften zur Folge haben, sodaß für diese Disciplinen die Lehrer mangeln, während sie für die alten Sprachen überschüssig sein würden. Auch dies ist eine Schwierig¬ keit, die in der Praxis sich um so fühlbarer machen würde, weil der Unterricht in demselben Gegenstände in einer Klasse nicht unter mehrere Lehrer getheilt werden kann. Gewiß gilt auch auf dem Gebiete des Schulwesens der Satz, daäsStill- stand Rückschritt ist, und die Behörden haben immer zu prüfen, ol/die be¬ stehenden Einrichtungen den veränderten Anforderungen der Zeit entsprechen. Aber auf keinem Gebiete ist auch Experimentiren gefährlicher als auf dem der Schule. B. h. Friedrich ^»pielhagen und sein Ich-Roman. chon wer die „Problematischen Naturen" von Friedrich Spiel¬ hagen mit Aufmerksamkeit las und sie dabei doch zu Ende brachte, mußte sich sagen: Dieser Schriftsteller will das Gute, er ist dich¬ terisch veranlagt, er hat sogar eine gewisse Empfänglichkeit für das Schöne, obwohl sein Empfinden nicht rein ist, aber — er ist kein scharfer Denker. Die Conflicte des Lebens lösen sich ihm nicht in Har¬ monie auf, solidem sie verwirren ihn. Er will Helden darstellen, welche räthsel- hafter Natur sind, und er giebt Leute, welche der geistigen Durchbildung er¬ mangeln. Er möchte jenen scheinbaren innern Zwiespalt beleuchten, welcher zwischen dem Ideal und der Wirklichkeit besteht, und — dieser Zwiespalt besteht für ihn selber. Er ist, bei Lichte besehen, der Meinung, Gott-Vater hätte da eine Welt geschaffen, in welcher er sich selber nicht mehr recht „anstemmte," und man wird in den Krisen des Romans an Mephisto's Wort erinnert: Wo so ein Köpfchen keinen Ausgang sieht, Stellt er sich gleich das Ende vor.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157970
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157970/561
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157970/561>, abgerufen am 29.04.2024.