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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Viertes Quartal.

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Theater und Polizei.

er dämonische Reiz, welche" die "schöne Welt des Scheins" ans
die Mehrzahl der Menschen ausübt, ist unzähligemal geschildert
worden, besonders in Novellen und Autobiographien. Aber was
will es sagen, daß Tausende, nachdem sie einmal jene stand- und
duustgcschwängerte Atmosphäre hinter den Coulissen eingeathmet
haben, außerhalb derselben nicht mehr leben zu können glauben, daß so viel
Friede und Glück und Ehre jenem Dämon zum Opfer gebracht wird, was will
das sagen neben der Thatsache, welche eben jetzt wieder so grell beleuchtet worden
ist! Jedes Theater brennt einmal ab -- das ist Glaubens-, nein Erfahrungssatz
und wird von jedermann citirt. Die Mehrzahl der Theater aber ist so gebaut,
daß mau beim Betreten eines solchen unwillkürlich die Frage aufwirft, was denn
geschähe, falls da ein Feuer ausbräche. Und die Antwort kann nicht zweifel¬
haft sein angesichts des Ueberflusses an Flammen und brennbaren Stoffen, an¬
gesichts der Lvgengänge, in welchen sich nur eine Person bewegen kann, der
Treppen, die nicht zum Steigen, sondern nnr zum Stürzen eingerichtet zu sein
scheinen, der sich todt laufenden Corridore und Winkel, der wenigen engen Aus-
günge. Aber der Gebildete spricht: "Daran darf man nicht denken," und drängt
und zwängt sich hinein. "Es wird ja kein Unglück geschehen!"

Natürlich behält er in den meisten Fällen Recht, aber endlich einmal giebt
das Schicksal eine fürchterliche Antwort.

In einem Jahre ist nun der Fall zum zweitenmal eingetreten. Die Welt
wird von Grauen erfaßt, so sagen die Zeitungen, und referiren nebenher in
trockenem Tone: "Am Tage nach dem Brande des Ringtheaters in Wien drängte
sich das Publikum zu der Vorstellung im Theater an der Wien, und die auf
die Oeffnung der Cassen wartenden vertrieben sich die Zeit mit der Lectüre der
Abendblätter, in welchen das Unglück geschildert und die Zahl der Vermißten
bekannt gemacht wurde." Die Art von Muth, welche dazu gehört, ist also
nicht erschüttert, der Dämon ist doch stärker als die Sorge um das Leben.

Dennoch ist der Schreck vielen Leuten ins Gebein gefahren, und wie nach
einer Verlornen Schlacht suchen sie den Sündenbock. Plötzlich bemerkt man, daß
Bau und Einrichtung der Theater nicht im mindesten den Anforderungen ent¬
sprechen, welche im Namen der Sicherheit des Lebens gestellt werden müssen,
und jedermann bringt guten Rath herbei. Da wird offenbar, daß die Theater-
baukuust in den letzten vierzig Jahren fast nur Rückschritte gemacht hat, daß
Sempers erster Bau in Dresden nicht nur der schönste, sondern auch der zweck-


Theater und Polizei.

er dämonische Reiz, welche» die „schöne Welt des Scheins" ans
die Mehrzahl der Menschen ausübt, ist unzähligemal geschildert
worden, besonders in Novellen und Autobiographien. Aber was
will es sagen, daß Tausende, nachdem sie einmal jene stand- und
duustgcschwängerte Atmosphäre hinter den Coulissen eingeathmet
haben, außerhalb derselben nicht mehr leben zu können glauben, daß so viel
Friede und Glück und Ehre jenem Dämon zum Opfer gebracht wird, was will
das sagen neben der Thatsache, welche eben jetzt wieder so grell beleuchtet worden
ist! Jedes Theater brennt einmal ab — das ist Glaubens-, nein Erfahrungssatz
und wird von jedermann citirt. Die Mehrzahl der Theater aber ist so gebaut,
daß mau beim Betreten eines solchen unwillkürlich die Frage aufwirft, was denn
geschähe, falls da ein Feuer ausbräche. Und die Antwort kann nicht zweifel¬
haft sein angesichts des Ueberflusses an Flammen und brennbaren Stoffen, an¬
gesichts der Lvgengänge, in welchen sich nur eine Person bewegen kann, der
Treppen, die nicht zum Steigen, sondern nnr zum Stürzen eingerichtet zu sein
scheinen, der sich todt laufenden Corridore und Winkel, der wenigen engen Aus-
günge. Aber der Gebildete spricht: „Daran darf man nicht denken," und drängt
und zwängt sich hinein. „Es wird ja kein Unglück geschehen!"

Natürlich behält er in den meisten Fällen Recht, aber endlich einmal giebt
das Schicksal eine fürchterliche Antwort.

In einem Jahre ist nun der Fall zum zweitenmal eingetreten. Die Welt
wird von Grauen erfaßt, so sagen die Zeitungen, und referiren nebenher in
trockenem Tone: „Am Tage nach dem Brande des Ringtheaters in Wien drängte
sich das Publikum zu der Vorstellung im Theater an der Wien, und die auf
die Oeffnung der Cassen wartenden vertrieben sich die Zeit mit der Lectüre der
Abendblätter, in welchen das Unglück geschildert und die Zahl der Vermißten
bekannt gemacht wurde." Die Art von Muth, welche dazu gehört, ist also
nicht erschüttert, der Dämon ist doch stärker als die Sorge um das Leben.

Dennoch ist der Schreck vielen Leuten ins Gebein gefahren, und wie nach
einer Verlornen Schlacht suchen sie den Sündenbock. Plötzlich bemerkt man, daß
Bau und Einrichtung der Theater nicht im mindesten den Anforderungen ent¬
sprechen, welche im Namen der Sicherheit des Lebens gestellt werden müssen,
und jedermann bringt guten Rath herbei. Da wird offenbar, daß die Theater-
baukuust in den letzten vierzig Jahren fast nur Rückschritte gemacht hat, daß
Sempers erster Bau in Dresden nicht nur der schönste, sondern auch der zweck-


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[0567] Theater und Polizei. er dämonische Reiz, welche» die „schöne Welt des Scheins" ans die Mehrzahl der Menschen ausübt, ist unzähligemal geschildert worden, besonders in Novellen und Autobiographien. Aber was will es sagen, daß Tausende, nachdem sie einmal jene stand- und duustgcschwängerte Atmosphäre hinter den Coulissen eingeathmet haben, außerhalb derselben nicht mehr leben zu können glauben, daß so viel Friede und Glück und Ehre jenem Dämon zum Opfer gebracht wird, was will das sagen neben der Thatsache, welche eben jetzt wieder so grell beleuchtet worden ist! Jedes Theater brennt einmal ab — das ist Glaubens-, nein Erfahrungssatz und wird von jedermann citirt. Die Mehrzahl der Theater aber ist so gebaut, daß mau beim Betreten eines solchen unwillkürlich die Frage aufwirft, was denn geschähe, falls da ein Feuer ausbräche. Und die Antwort kann nicht zweifel¬ haft sein angesichts des Ueberflusses an Flammen und brennbaren Stoffen, an¬ gesichts der Lvgengänge, in welchen sich nur eine Person bewegen kann, der Treppen, die nicht zum Steigen, sondern nnr zum Stürzen eingerichtet zu sein scheinen, der sich todt laufenden Corridore und Winkel, der wenigen engen Aus- günge. Aber der Gebildete spricht: „Daran darf man nicht denken," und drängt und zwängt sich hinein. „Es wird ja kein Unglück geschehen!" Natürlich behält er in den meisten Fällen Recht, aber endlich einmal giebt das Schicksal eine fürchterliche Antwort. In einem Jahre ist nun der Fall zum zweitenmal eingetreten. Die Welt wird von Grauen erfaßt, so sagen die Zeitungen, und referiren nebenher in trockenem Tone: „Am Tage nach dem Brande des Ringtheaters in Wien drängte sich das Publikum zu der Vorstellung im Theater an der Wien, und die auf die Oeffnung der Cassen wartenden vertrieben sich die Zeit mit der Lectüre der Abendblätter, in welchen das Unglück geschildert und die Zahl der Vermißten bekannt gemacht wurde." Die Art von Muth, welche dazu gehört, ist also nicht erschüttert, der Dämon ist doch stärker als die Sorge um das Leben. Dennoch ist der Schreck vielen Leuten ins Gebein gefahren, und wie nach einer Verlornen Schlacht suchen sie den Sündenbock. Plötzlich bemerkt man, daß Bau und Einrichtung der Theater nicht im mindesten den Anforderungen ent¬ sprechen, welche im Namen der Sicherheit des Lebens gestellt werden müssen, und jedermann bringt guten Rath herbei. Da wird offenbar, daß die Theater- baukuust in den letzten vierzig Jahren fast nur Rückschritte gemacht hat, daß Sempers erster Bau in Dresden nicht nur der schönste, sondern auch der zweck-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157970/567>, abgerufen am 29.04.2024.