Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Viertes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Die Juden in Rumänien.

hin, welche unsre Größten dem Theater gewidmet haben, und wer nach dem
"Geschäft" nur noch für gedankenlosen Genuß oder für Stimulationen durch
scharfes Gewürz empfänglich ist, der möge sich seine Unterhaltung privatim ver¬
anstalten.




Die Juden in Rumänien.*)
>2.

5<MS
IMPin fünften Capitel seiner Schrift führt uns Herr Marbeau nach
Botosiani. Von dieser Stadt bemerkt er: "Botosiani liegt in der
Mitte einer großen Ebne, und seine breiten, staubigen Straßen werden
von kleinen, niedrigen Häusern eingefaßt und verlängern sich nach
allen Richtungen. Diese Stadt hat nicht weniger als 40 000 Ein¬
wohner. Ans den Straßen, in den Läden sah ich fast nur Juden.
Rings um den Hauptplatz reihen sich einige dreißig Leute von israelitischer Ge-
sichtsbildung, die vor kleinen Tischen mit Pulten sitzen. Sie riefen mich eifrig,
einer immer lauter als der andre, wie um die Wette an, um nur Landesmünze
gegen französisches Gold anzubieten. Solche ambulante Wechsler giebt es in allen
Städten Rumäniens, man trifft sie auf den Märkten und vor den Thüren der
Wirthshäuser und Schenken an, aber nirgends blüht dieser Handel so sehr wie in Bo¬
tosiani; denn man befindet sich hier nur wenige Kilometer von der russischen und
der österreichischen Grenze, und wie man es auch einrichten mag, man hat immer
vier oder fünf Sorten Geld, Francs, Gulden, Rubel und Lei im Beutel." . . .

Weiter erzählt der Verfasser von den Armeniern und den Lipowancrn der
Stadt (aus Rußland eingewanderten Skopzen) und fährt dann fort: "In das
Innere der Stadt zurückgekehrt, machte ich einen Besuch auf der Mairie. Ich
verdanke der Gefälligkeit des Maire einige den Registern des Civilstandsamts ent¬
nommene Zahlen, aus denen man auf die Wichtigkeit des hiesigen israelitischen
Elements schließen kann. Ju den drei Jahren 1376, 1377 und 1373 hat man
1752 israelitische und nur 1336 rumänische Geburten, 1334 israelitische und 1854
rumänische Todesfälle und 554 israelitische und 301 rumänische Eheschließungen
gezählt. Erst von: Jahre 1834 an gab es hier Juden, und schon gehört ihnen,
von den Landhäusern einiger reichen Rumänen und der Vorstadt der Lipowaner
abgesehen, die Stadt beinahe ganz. Von den 3000 Hausbesitzern, die in den Listen
geführt werden, sind circa 2700 Juden. Die letztem nehmen die Mitte der Stadt
ein und haben mit Ausnahme einiger Geschäfte mit Colonialwaaren, welche Ru¬
mänen gehören, den gesammten Handel an sich gerissen. Auf 1285 Patent-In¬
haber kommen 1225 Juden, von den 223 Schenkwirthschaften des Ortes werden
203 von Juden gehalten.

Viele Einzelheiten zeigen, wie heiß der Kampf brennt und wie das israeli¬
tische Element die Oberhand gewonnen hat. Ein rumänischer Apotheker hatte eine



*) vn nouvvan ro^anno xar DSou^ra U".i'do",u. (?Mis, "ZorvÄs, 1881).
Grenzboten IV. 1831. 72
Die Juden in Rumänien.

hin, welche unsre Größten dem Theater gewidmet haben, und wer nach dem
„Geschäft" nur noch für gedankenlosen Genuß oder für Stimulationen durch
scharfes Gewürz empfänglich ist, der möge sich seine Unterhaltung privatim ver¬
anstalten.




Die Juden in Rumänien.*)
>2.

5<MS
IMPin fünften Capitel seiner Schrift führt uns Herr Marbeau nach
Botosiani. Von dieser Stadt bemerkt er: „Botosiani liegt in der
Mitte einer großen Ebne, und seine breiten, staubigen Straßen werden
von kleinen, niedrigen Häusern eingefaßt und verlängern sich nach
allen Richtungen. Diese Stadt hat nicht weniger als 40 000 Ein¬
wohner. Ans den Straßen, in den Läden sah ich fast nur Juden.
Rings um den Hauptplatz reihen sich einige dreißig Leute von israelitischer Ge-
sichtsbildung, die vor kleinen Tischen mit Pulten sitzen. Sie riefen mich eifrig,
einer immer lauter als der andre, wie um die Wette an, um nur Landesmünze
gegen französisches Gold anzubieten. Solche ambulante Wechsler giebt es in allen
Städten Rumäniens, man trifft sie auf den Märkten und vor den Thüren der
Wirthshäuser und Schenken an, aber nirgends blüht dieser Handel so sehr wie in Bo¬
tosiani; denn man befindet sich hier nur wenige Kilometer von der russischen und
der österreichischen Grenze, und wie man es auch einrichten mag, man hat immer
vier oder fünf Sorten Geld, Francs, Gulden, Rubel und Lei im Beutel." . . .

Weiter erzählt der Verfasser von den Armeniern und den Lipowancrn der
Stadt (aus Rußland eingewanderten Skopzen) und fährt dann fort: „In das
Innere der Stadt zurückgekehrt, machte ich einen Besuch auf der Mairie. Ich
verdanke der Gefälligkeit des Maire einige den Registern des Civilstandsamts ent¬
nommene Zahlen, aus denen man auf die Wichtigkeit des hiesigen israelitischen
Elements schließen kann. Ju den drei Jahren 1376, 1377 und 1373 hat man
1752 israelitische und nur 1336 rumänische Geburten, 1334 israelitische und 1854
rumänische Todesfälle und 554 israelitische und 301 rumänische Eheschließungen
gezählt. Erst von: Jahre 1834 an gab es hier Juden, und schon gehört ihnen,
von den Landhäusern einiger reichen Rumänen und der Vorstadt der Lipowaner
abgesehen, die Stadt beinahe ganz. Von den 3000 Hausbesitzern, die in den Listen
geführt werden, sind circa 2700 Juden. Die letztem nehmen die Mitte der Stadt
ein und haben mit Ausnahme einiger Geschäfte mit Colonialwaaren, welche Ru¬
mänen gehören, den gesammten Handel an sich gerissen. Auf 1285 Patent-In¬
haber kommen 1225 Juden, von den 223 Schenkwirthschaften des Ortes werden
203 von Juden gehalten.

Viele Einzelheiten zeigen, wie heiß der Kampf brennt und wie das israeli¬
tische Element die Oberhand gewonnen hat. Ein rumänischer Apotheker hatte eine



*) vn nouvvan ro^anno xar DSou^ra U«.i'do«,u. (?Mis, «ZorvÄs, 1881).
Grenzboten IV. 1831. 72
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0571" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/151293"/>
          <fw type="header" place="top"> Die Juden in Rumänien.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1859" prev="#ID_1858"> hin, welche unsre Größten dem Theater gewidmet haben, und wer nach dem<lb/>
&#x201E;Geschäft" nur noch für gedankenlosen Genuß oder für Stimulationen durch<lb/>
scharfes Gewürz empfänglich ist, der möge sich seine Unterhaltung privatim ver¬<lb/>
anstalten.</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Die Juden in Rumänien.*)<lb/>
&gt;2.</head><lb/>
          <p xml:id="ID_1860"> 5&lt;MS<lb/>
IMPin fünften Capitel seiner Schrift führt uns Herr Marbeau nach<lb/>
Botosiani. Von dieser Stadt bemerkt er: &#x201E;Botosiani liegt in der<lb/>
Mitte einer großen Ebne, und seine breiten, staubigen Straßen werden<lb/>
von kleinen, niedrigen Häusern eingefaßt und verlängern sich nach<lb/>
allen Richtungen. Diese Stadt hat nicht weniger als 40 000 Ein¬<lb/>
wohner. Ans den Straßen, in den Läden sah ich fast nur Juden.<lb/>
Rings um den Hauptplatz reihen sich einige dreißig Leute von israelitischer Ge-<lb/>
sichtsbildung, die vor kleinen Tischen mit Pulten sitzen. Sie riefen mich eifrig,<lb/>
einer immer lauter als der andre, wie um die Wette an, um nur Landesmünze<lb/>
gegen französisches Gold anzubieten. Solche ambulante Wechsler giebt es in allen<lb/>
Städten Rumäniens, man trifft sie auf den Märkten und vor den Thüren der<lb/>
Wirthshäuser und Schenken an, aber nirgends blüht dieser Handel so sehr wie in Bo¬<lb/>
tosiani; denn man befindet sich hier nur wenige Kilometer von der russischen und<lb/>
der österreichischen Grenze, und wie man es auch einrichten mag, man hat immer<lb/>
vier oder fünf Sorten Geld, Francs, Gulden, Rubel und Lei im Beutel." . . .</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1861"> Weiter erzählt der Verfasser von den Armeniern und den Lipowancrn der<lb/>
Stadt (aus Rußland eingewanderten Skopzen) und fährt dann fort: &#x201E;In das<lb/>
Innere der Stadt zurückgekehrt, machte ich einen Besuch auf der Mairie. Ich<lb/>
verdanke der Gefälligkeit des Maire einige den Registern des Civilstandsamts ent¬<lb/>
nommene Zahlen, aus denen man auf die Wichtigkeit des hiesigen israelitischen<lb/>
Elements schließen kann. Ju den drei Jahren 1376, 1377 und 1373 hat man<lb/>
1752 israelitische und nur 1336 rumänische Geburten, 1334 israelitische und 1854<lb/>
rumänische Todesfälle und 554 israelitische und 301 rumänische Eheschließungen<lb/>
gezählt. Erst von: Jahre 1834 an gab es hier Juden, und schon gehört ihnen,<lb/>
von den Landhäusern einiger reichen Rumänen und der Vorstadt der Lipowaner<lb/>
abgesehen, die Stadt beinahe ganz. Von den 3000 Hausbesitzern, die in den Listen<lb/>
geführt werden, sind circa 2700 Juden. Die letztem nehmen die Mitte der Stadt<lb/>
ein und haben mit Ausnahme einiger Geschäfte mit Colonialwaaren, welche Ru¬<lb/>
mänen gehören, den gesammten Handel an sich gerissen. Auf 1285 Patent-In¬<lb/>
haber kommen 1225 Juden, von den 223 Schenkwirthschaften des Ortes werden<lb/>
203 von Juden gehalten.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1862" next="#ID_1863"> Viele Einzelheiten zeigen, wie heiß der Kampf brennt und wie das israeli¬<lb/>
tische Element die Oberhand gewonnen hat. Ein rumänischer Apotheker hatte eine</p><lb/>
          <note xml:id="FID_84" place="foot"> *) vn nouvvan ro^anno xar DSou^ra U«.i'do«,u. (?Mis, «ZorvÄs, 1881).</note><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten IV. 1831. 72</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0571] Die Juden in Rumänien. hin, welche unsre Größten dem Theater gewidmet haben, und wer nach dem „Geschäft" nur noch für gedankenlosen Genuß oder für Stimulationen durch scharfes Gewürz empfänglich ist, der möge sich seine Unterhaltung privatim ver¬ anstalten. Die Juden in Rumänien.*) >2. 5<MS IMPin fünften Capitel seiner Schrift führt uns Herr Marbeau nach Botosiani. Von dieser Stadt bemerkt er: „Botosiani liegt in der Mitte einer großen Ebne, und seine breiten, staubigen Straßen werden von kleinen, niedrigen Häusern eingefaßt und verlängern sich nach allen Richtungen. Diese Stadt hat nicht weniger als 40 000 Ein¬ wohner. Ans den Straßen, in den Läden sah ich fast nur Juden. Rings um den Hauptplatz reihen sich einige dreißig Leute von israelitischer Ge- sichtsbildung, die vor kleinen Tischen mit Pulten sitzen. Sie riefen mich eifrig, einer immer lauter als der andre, wie um die Wette an, um nur Landesmünze gegen französisches Gold anzubieten. Solche ambulante Wechsler giebt es in allen Städten Rumäniens, man trifft sie auf den Märkten und vor den Thüren der Wirthshäuser und Schenken an, aber nirgends blüht dieser Handel so sehr wie in Bo¬ tosiani; denn man befindet sich hier nur wenige Kilometer von der russischen und der österreichischen Grenze, und wie man es auch einrichten mag, man hat immer vier oder fünf Sorten Geld, Francs, Gulden, Rubel und Lei im Beutel." . . . Weiter erzählt der Verfasser von den Armeniern und den Lipowancrn der Stadt (aus Rußland eingewanderten Skopzen) und fährt dann fort: „In das Innere der Stadt zurückgekehrt, machte ich einen Besuch auf der Mairie. Ich verdanke der Gefälligkeit des Maire einige den Registern des Civilstandsamts ent¬ nommene Zahlen, aus denen man auf die Wichtigkeit des hiesigen israelitischen Elements schließen kann. Ju den drei Jahren 1376, 1377 und 1373 hat man 1752 israelitische und nur 1336 rumänische Geburten, 1334 israelitische und 1854 rumänische Todesfälle und 554 israelitische und 301 rumänische Eheschließungen gezählt. Erst von: Jahre 1834 an gab es hier Juden, und schon gehört ihnen, von den Landhäusern einiger reichen Rumänen und der Vorstadt der Lipowaner abgesehen, die Stadt beinahe ganz. Von den 3000 Hausbesitzern, die in den Listen geführt werden, sind circa 2700 Juden. Die letztem nehmen die Mitte der Stadt ein und haben mit Ausnahme einiger Geschäfte mit Colonialwaaren, welche Ru¬ mänen gehören, den gesammten Handel an sich gerissen. Auf 1285 Patent-In¬ haber kommen 1225 Juden, von den 223 Schenkwirthschaften des Ortes werden 203 von Juden gehalten. Viele Einzelheiten zeigen, wie heiß der Kampf brennt und wie das israeli¬ tische Element die Oberhand gewonnen hat. Ein rumänischer Apotheker hatte eine *) vn nouvvan ro^anno xar DSou^ra U«.i'do«,u. (?Mis, «ZorvÄs, 1881). Grenzboten IV. 1831. 72

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157970
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157970/571
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157970/571>, abgerufen am 28.04.2024.