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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal.

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Vom Leipziger Theater.

in 30. Juni ist am Leipziger Stadttheater die sechsjährige Förstersche
oder richtiger Neumnnusche Ära -- denn Förster war ja nur ein
schöner Name, der Macher war Herr Neumann -- zu Eude ge¬
gangen, und am 1. August wird der neue Direktor, Herr Stäge-
maun, sein Amt antreten. Während des Monats Juli würde
die Stadt Leipzig -- was wirklich einmal eine Wohlthat gewesen wäre, die eine
Art kathartischer Wirkung hätte ausüben können -- ohne Theater gewesen sein,
wenn uicht die Meininger deu günstigen Augenblick erspäht und zu einem kurzeu
Interregnum in Leipzig ihren Einzug gehalten hätten.

Die Periode Neumann wird in der Geschichte des Leipziger Theaters uicht
eben ein glänzendes Blatt bilden. Mit Kabale und Liebe hat sie vor sechs
Jahren begonnen, mit der Götterdämmerung hat sie aufgehört -- ihr Zuhält
liegt in diesem Anfangs- und diesem Endpunkte ziemlich deutlich ausgesprochen.
Ein größeres Verdienst wäre es gewesen, wenn sie mit Wagner begonnen und
mit Schiller geendet hätte. Für wen die erste, vornehmste und edelste Aufgabe
des Theaters in der Pflege eines guten Schauspiels besteht, für den waren diese
sechs Neumannschen Jahre sechs magere Jahre, trotz der in aller Eile noch
zu guter letzt arrangirten Cyklen Shakespearescher Königsdramen und Goethischer
Schauspiele, unter denen der Götz von Berlichingen wieder als "romantisches
Gemälde aus der Ritterzeit in sechs Alten" erschien -- ein unausrottbares Erb¬
stück aus der Wirsingschen oder uoch früherer Zeit. Die Oper hat während
der Neumannschen Ära durchaus das große Wort geführt, wie es ebeu gnr
nicht anders sein konnte, wo der "Operndirektvr" thatsächlich der Theaterdirektor
war; insbesondre hat der Wagnerhumbug in diesen sechs Jahren in Leipzig
wahre Orgien gefeiert, und für noch eine Errungenschaft kann sich Leipzig bei
Herrn Neumann bedanken, für die wirklich schamlose Theaterreklame, die in den
letzten sechs Jahren in der Leipziger Lokalpresse emporgewuchert ist.

Die Entwicklung der Theaterreklaine leimst zwar einigermaßen parallel mit
der Entwicklung der Reklame überhaupt, die in der letzten Zeit auch in der
Leipziger Presse wie in aller Tagespresse wahrhaft schreckenerregende Fortschritte
gemacht hat. Dem Verfasser dieser Zeilen ging kürzlich ein charakteristisches
kleines Dokument zur Geschichte der Reklame durch die Hände. Eude der dreißiger
Jahre starb in Leipzig ein wirklich hervorragender Bürger, der sich um seine
Vaterstadt unleugbare Verdienste erworben hatte. Ein Freund regte im Kreise
der übrigen Freunde und Amtsgenossen des Verstorbenen die Frage an, ob man
nicht neben der von der Familie zu erwartenden Todesanzeige einen kleinen


Vom Leipziger Theater.

in 30. Juni ist am Leipziger Stadttheater die sechsjährige Förstersche
oder richtiger Neumnnusche Ära — denn Förster war ja nur ein
schöner Name, der Macher war Herr Neumann — zu Eude ge¬
gangen, und am 1. August wird der neue Direktor, Herr Stäge-
maun, sein Amt antreten. Während des Monats Juli würde
die Stadt Leipzig — was wirklich einmal eine Wohlthat gewesen wäre, die eine
Art kathartischer Wirkung hätte ausüben können — ohne Theater gewesen sein,
wenn uicht die Meininger deu günstigen Augenblick erspäht und zu einem kurzeu
Interregnum in Leipzig ihren Einzug gehalten hätten.

Die Periode Neumann wird in der Geschichte des Leipziger Theaters uicht
eben ein glänzendes Blatt bilden. Mit Kabale und Liebe hat sie vor sechs
Jahren begonnen, mit der Götterdämmerung hat sie aufgehört — ihr Zuhält
liegt in diesem Anfangs- und diesem Endpunkte ziemlich deutlich ausgesprochen.
Ein größeres Verdienst wäre es gewesen, wenn sie mit Wagner begonnen und
mit Schiller geendet hätte. Für wen die erste, vornehmste und edelste Aufgabe
des Theaters in der Pflege eines guten Schauspiels besteht, für den waren diese
sechs Neumannschen Jahre sechs magere Jahre, trotz der in aller Eile noch
zu guter letzt arrangirten Cyklen Shakespearescher Königsdramen und Goethischer
Schauspiele, unter denen der Götz von Berlichingen wieder als „romantisches
Gemälde aus der Ritterzeit in sechs Alten" erschien — ein unausrottbares Erb¬
stück aus der Wirsingschen oder uoch früherer Zeit. Die Oper hat während
der Neumannschen Ära durchaus das große Wort geführt, wie es ebeu gnr
nicht anders sein konnte, wo der „Operndirektvr" thatsächlich der Theaterdirektor
war; insbesondre hat der Wagnerhumbug in diesen sechs Jahren in Leipzig
wahre Orgien gefeiert, und für noch eine Errungenschaft kann sich Leipzig bei
Herrn Neumann bedanken, für die wirklich schamlose Theaterreklame, die in den
letzten sechs Jahren in der Leipziger Lokalpresse emporgewuchert ist.

Die Entwicklung der Theaterreklaine leimst zwar einigermaßen parallel mit
der Entwicklung der Reklame überhaupt, die in der letzten Zeit auch in der
Leipziger Presse wie in aller Tagespresse wahrhaft schreckenerregende Fortschritte
gemacht hat. Dem Verfasser dieser Zeilen ging kürzlich ein charakteristisches
kleines Dokument zur Geschichte der Reklame durch die Hände. Eude der dreißiger
Jahre starb in Leipzig ein wirklich hervorragender Bürger, der sich um seine
Vaterstadt unleugbare Verdienste erworben hatte. Ein Freund regte im Kreise
der übrigen Freunde und Amtsgenossen des Verstorbenen die Frage an, ob man
nicht neben der von der Familie zu erwartenden Todesanzeige einen kleinen


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[0230] Vom Leipziger Theater. in 30. Juni ist am Leipziger Stadttheater die sechsjährige Förstersche oder richtiger Neumnnusche Ära — denn Förster war ja nur ein schöner Name, der Macher war Herr Neumann — zu Eude ge¬ gangen, und am 1. August wird der neue Direktor, Herr Stäge- maun, sein Amt antreten. Während des Monats Juli würde die Stadt Leipzig — was wirklich einmal eine Wohlthat gewesen wäre, die eine Art kathartischer Wirkung hätte ausüben können — ohne Theater gewesen sein, wenn uicht die Meininger deu günstigen Augenblick erspäht und zu einem kurzeu Interregnum in Leipzig ihren Einzug gehalten hätten. Die Periode Neumann wird in der Geschichte des Leipziger Theaters uicht eben ein glänzendes Blatt bilden. Mit Kabale und Liebe hat sie vor sechs Jahren begonnen, mit der Götterdämmerung hat sie aufgehört — ihr Zuhält liegt in diesem Anfangs- und diesem Endpunkte ziemlich deutlich ausgesprochen. Ein größeres Verdienst wäre es gewesen, wenn sie mit Wagner begonnen und mit Schiller geendet hätte. Für wen die erste, vornehmste und edelste Aufgabe des Theaters in der Pflege eines guten Schauspiels besteht, für den waren diese sechs Neumannschen Jahre sechs magere Jahre, trotz der in aller Eile noch zu guter letzt arrangirten Cyklen Shakespearescher Königsdramen und Goethischer Schauspiele, unter denen der Götz von Berlichingen wieder als „romantisches Gemälde aus der Ritterzeit in sechs Alten" erschien — ein unausrottbares Erb¬ stück aus der Wirsingschen oder uoch früherer Zeit. Die Oper hat während der Neumannschen Ära durchaus das große Wort geführt, wie es ebeu gnr nicht anders sein konnte, wo der „Operndirektvr" thatsächlich der Theaterdirektor war; insbesondre hat der Wagnerhumbug in diesen sechs Jahren in Leipzig wahre Orgien gefeiert, und für noch eine Errungenschaft kann sich Leipzig bei Herrn Neumann bedanken, für die wirklich schamlose Theaterreklame, die in den letzten sechs Jahren in der Leipziger Lokalpresse emporgewuchert ist. Die Entwicklung der Theaterreklaine leimst zwar einigermaßen parallel mit der Entwicklung der Reklame überhaupt, die in der letzten Zeit auch in der Leipziger Presse wie in aller Tagespresse wahrhaft schreckenerregende Fortschritte gemacht hat. Dem Verfasser dieser Zeilen ging kürzlich ein charakteristisches kleines Dokument zur Geschichte der Reklame durch die Hände. Eude der dreißiger Jahre starb in Leipzig ein wirklich hervorragender Bürger, der sich um seine Vaterstadt unleugbare Verdienste erworben hatte. Ein Freund regte im Kreise der übrigen Freunde und Amtsgenossen des Verstorbenen die Frage an, ob man nicht neben der von der Familie zu erwartenden Todesanzeige einen kleinen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_193340/230>, abgerufen am 05.05.2024.