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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal.

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Vom Leipziger Theater.

"politischen Aufsatz," wie man damals sagte -- hente würden wir sagen: eine
Notiz im redaktionellen Teil --, in die Zeitung bringen solle. Schließlich wurde
der Gedanke einstimmig verworfen -- aus Schamgefühl. Man meinte, es schicke
sich das nicht, es könne falsch ausgelegt werden. Hütten wir doch heute noch
einen Funken dieses Schamgefühls! Wenn heute der Markthelfer so und so
sein "fünfundzwanzigjähriges Jubiläum" feiert, so sorgen die guten Freunde
gewiß dafür, daß das wichtige Ereignis "in die Presse kommt" und daß die
Verdienste des Biedermanns mit einigen Pharisäerphrasen an die große Glocke
gehängt werden, und die Redaktionen -- nehmen diesen Quark! Noch 1860
kannte man in Leipzig keine eigentliche Reklame. Erst im Laufe der sechziger
Jahre ist sie nufgekommeu, und seit dem deutsch-französischen Kriege hat sie
reißende Fortschritte gemacht, in der Menge wie in der Art, immer massenhafter
und immer unverschämter ist sie geworden. Das wahrhaft gute, große und be¬
deutende macht natürlich auch heute noch von der Reklame keinen Gebrauch;
wirkliches Verdienst errötet ja über öffentliches Lob und öffentliche Anpreisung.
Immer ist es das Kleine, Wert- und Bedeutungslose, was sich hervordrängt.

Wer das geistige Leben Leipzigs vor fünfzig Jahren kennen lernen will
und sich deshalb an die damalige Leipziger Presse wendet, der wird ein ziem¬
lich lückenhaftes Bild erhalten; aber die Züge, die er finden wird, werden im
wesentlichen tren und objektiv sein, er kann sich auf sie verlassen. Wenn jemand
nach abermals fünfzig Jahren die heutige Presse Leipzigs als Quelle für eine
Darstellung unsers gegenwärtigen Leipziger Lebens benutzen wollte -- man er¬
schrickt, wenn man sich diesen Gedanken musterte! "Die beiden Brennpunkte
des übrigens ziemlich darniederliegenden geistigen Lebens der Stadt -- so würde
dieser zukünftige Historiograph Leipzigs schreiben -- bildeten Ende der siebziger
und Anfang der achtziger Jahre der Kosmophileuklub und der Lessingvereiu;
die Seele des ersten war Herr Ernest Hayncl -- daß niemand das e in der
zweiten Silbe von Ernest übersieht! von diesem e an datirt die Größe des
Mannes! --, die Seele des letztern Herr Wilhelm Herzen, der Entdecker Arthur
Nigers und seiner "Hexe." So gut wie erstorben waren in jener bednuerns-
würdigcn Zeit die bildenden Künste. Der einzige Meister, den Leipzig noch
aufzuweisen hatte, war Herr Oskar Krvtzsch, der die wunderbare Kunst besaß,
"ach Photographien die Menschen meuchlings in Öl zu malen. Nicht viel besser
sah es mit der Musik aus. Die ehemals so berühmten Gewandhanskonzerte
waren in traurigem Verfall und zehrten nur noch von ihrem alten Ruhme.
Nur die beiden "königlichen Musikdirektoren" Herr Walther und Herr Berndt
Pflegten noch edle, klassische Musik, außerdem der Knabenchvr des Herrn Berger;
die jährlichen Prüfungen am "königlichen" Konservatorium für Musik erweckten
wenigstens die Hoffnung auf eine bessere Zukunft. Ganz im argen lagen die
Universität, die Gymnasien und die Volksschulen. Nur in: "Lehrerverein" und
in den "Schrebervereiuen" hielten noch einige würdige Männer das Banner


Vom Leipziger Theater.

„politischen Aufsatz," wie man damals sagte — hente würden wir sagen: eine
Notiz im redaktionellen Teil —, in die Zeitung bringen solle. Schließlich wurde
der Gedanke einstimmig verworfen — aus Schamgefühl. Man meinte, es schicke
sich das nicht, es könne falsch ausgelegt werden. Hütten wir doch heute noch
einen Funken dieses Schamgefühls! Wenn heute der Markthelfer so und so
sein „fünfundzwanzigjähriges Jubiläum" feiert, so sorgen die guten Freunde
gewiß dafür, daß das wichtige Ereignis „in die Presse kommt" und daß die
Verdienste des Biedermanns mit einigen Pharisäerphrasen an die große Glocke
gehängt werden, und die Redaktionen — nehmen diesen Quark! Noch 1860
kannte man in Leipzig keine eigentliche Reklame. Erst im Laufe der sechziger
Jahre ist sie nufgekommeu, und seit dem deutsch-französischen Kriege hat sie
reißende Fortschritte gemacht, in der Menge wie in der Art, immer massenhafter
und immer unverschämter ist sie geworden. Das wahrhaft gute, große und be¬
deutende macht natürlich auch heute noch von der Reklame keinen Gebrauch;
wirkliches Verdienst errötet ja über öffentliches Lob und öffentliche Anpreisung.
Immer ist es das Kleine, Wert- und Bedeutungslose, was sich hervordrängt.

Wer das geistige Leben Leipzigs vor fünfzig Jahren kennen lernen will
und sich deshalb an die damalige Leipziger Presse wendet, der wird ein ziem¬
lich lückenhaftes Bild erhalten; aber die Züge, die er finden wird, werden im
wesentlichen tren und objektiv sein, er kann sich auf sie verlassen. Wenn jemand
nach abermals fünfzig Jahren die heutige Presse Leipzigs als Quelle für eine
Darstellung unsers gegenwärtigen Leipziger Lebens benutzen wollte — man er¬
schrickt, wenn man sich diesen Gedanken musterte! „Die beiden Brennpunkte
des übrigens ziemlich darniederliegenden geistigen Lebens der Stadt — so würde
dieser zukünftige Historiograph Leipzigs schreiben — bildeten Ende der siebziger
und Anfang der achtziger Jahre der Kosmophileuklub und der Lessingvereiu;
die Seele des ersten war Herr Ernest Hayncl — daß niemand das e in der
zweiten Silbe von Ernest übersieht! von diesem e an datirt die Größe des
Mannes! —, die Seele des letztern Herr Wilhelm Herzen, der Entdecker Arthur
Nigers und seiner »Hexe.« So gut wie erstorben waren in jener bednuerns-
würdigcn Zeit die bildenden Künste. Der einzige Meister, den Leipzig noch
aufzuweisen hatte, war Herr Oskar Krvtzsch, der die wunderbare Kunst besaß,
»ach Photographien die Menschen meuchlings in Öl zu malen. Nicht viel besser
sah es mit der Musik aus. Die ehemals so berühmten Gewandhanskonzerte
waren in traurigem Verfall und zehrten nur noch von ihrem alten Ruhme.
Nur die beiden „königlichen Musikdirektoren" Herr Walther und Herr Berndt
Pflegten noch edle, klassische Musik, außerdem der Knabenchvr des Herrn Berger;
die jährlichen Prüfungen am „königlichen" Konservatorium für Musik erweckten
wenigstens die Hoffnung auf eine bessere Zukunft. Ganz im argen lagen die
Universität, die Gymnasien und die Volksschulen. Nur in: „Lehrerverein" und
in den „Schrebervereiuen" hielten noch einige würdige Männer das Banner


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[0231] Vom Leipziger Theater. „politischen Aufsatz," wie man damals sagte — hente würden wir sagen: eine Notiz im redaktionellen Teil —, in die Zeitung bringen solle. Schließlich wurde der Gedanke einstimmig verworfen — aus Schamgefühl. Man meinte, es schicke sich das nicht, es könne falsch ausgelegt werden. Hütten wir doch heute noch einen Funken dieses Schamgefühls! Wenn heute der Markthelfer so und so sein „fünfundzwanzigjähriges Jubiläum" feiert, so sorgen die guten Freunde gewiß dafür, daß das wichtige Ereignis „in die Presse kommt" und daß die Verdienste des Biedermanns mit einigen Pharisäerphrasen an die große Glocke gehängt werden, und die Redaktionen — nehmen diesen Quark! Noch 1860 kannte man in Leipzig keine eigentliche Reklame. Erst im Laufe der sechziger Jahre ist sie nufgekommeu, und seit dem deutsch-französischen Kriege hat sie reißende Fortschritte gemacht, in der Menge wie in der Art, immer massenhafter und immer unverschämter ist sie geworden. Das wahrhaft gute, große und be¬ deutende macht natürlich auch heute noch von der Reklame keinen Gebrauch; wirkliches Verdienst errötet ja über öffentliches Lob und öffentliche Anpreisung. Immer ist es das Kleine, Wert- und Bedeutungslose, was sich hervordrängt. Wer das geistige Leben Leipzigs vor fünfzig Jahren kennen lernen will und sich deshalb an die damalige Leipziger Presse wendet, der wird ein ziem¬ lich lückenhaftes Bild erhalten; aber die Züge, die er finden wird, werden im wesentlichen tren und objektiv sein, er kann sich auf sie verlassen. Wenn jemand nach abermals fünfzig Jahren die heutige Presse Leipzigs als Quelle für eine Darstellung unsers gegenwärtigen Leipziger Lebens benutzen wollte — man er¬ schrickt, wenn man sich diesen Gedanken musterte! „Die beiden Brennpunkte des übrigens ziemlich darniederliegenden geistigen Lebens der Stadt — so würde dieser zukünftige Historiograph Leipzigs schreiben — bildeten Ende der siebziger und Anfang der achtziger Jahre der Kosmophileuklub und der Lessingvereiu; die Seele des ersten war Herr Ernest Hayncl — daß niemand das e in der zweiten Silbe von Ernest übersieht! von diesem e an datirt die Größe des Mannes! —, die Seele des letztern Herr Wilhelm Herzen, der Entdecker Arthur Nigers und seiner »Hexe.« So gut wie erstorben waren in jener bednuerns- würdigcn Zeit die bildenden Künste. Der einzige Meister, den Leipzig noch aufzuweisen hatte, war Herr Oskar Krvtzsch, der die wunderbare Kunst besaß, »ach Photographien die Menschen meuchlings in Öl zu malen. Nicht viel besser sah es mit der Musik aus. Die ehemals so berühmten Gewandhanskonzerte waren in traurigem Verfall und zehrten nur noch von ihrem alten Ruhme. Nur die beiden „königlichen Musikdirektoren" Herr Walther und Herr Berndt Pflegten noch edle, klassische Musik, außerdem der Knabenchvr des Herrn Berger; die jährlichen Prüfungen am „königlichen" Konservatorium für Musik erweckten wenigstens die Hoffnung auf eine bessere Zukunft. Ganz im argen lagen die Universität, die Gymnasien und die Volksschulen. Nur in: „Lehrerverein" und in den „Schrebervereiuen" hielten noch einige würdige Männer das Banner

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_193340/231>, abgerufen am 26.05.2024.