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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal.

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Literatur.

Bruder Goshoru war ein guter Mann, aber Jonas hegte eine große Verachtung
vor ihm. Er war ein Mückenseiher, obwohl ich nicht glaube, daß er Kameele
verschluckte. Bei Liebesiuahlen stand er stets um der Thür und wies jede Frau
mit Goldschmuck oder Edelsteinen, jedes Mädchen, welches eine künstliche Blume
auf ihrem Hute hatte, jede, welche Locken trug, und jeden Mann, dessen
Haare über die nach seiner Meinung von den Regulativen der heiligen Schrift
vorgeschriebene Lauge hinausgingen, von der Teilnahme zurück. Desgleichen jedes
Frauenzimmer, welches einen Schleier trug. Zur Stütze dieses lctzterlvähuten
Verbotes zitirte er Jesaia 3, 23: Zu der Zeit wird der Herr deu Schmuck . . .
wegnehmen, die Hefte, die Spangen, die Kettleiu . . . die Schnnrlein, die Bisam
npfcl, die Ohrringe, die Ringe, die Haarbänder, die Feierkleider, die Mäntel,
die Schleier.

Ihm stellte Cyuthy Ann mit vielem Zittern und Zagen die Sache vor.
Alle ihre Hoffnungen in Betreff dieser Welt hingen hieran. Aber diese Rück¬
sicht berührte den Bruder Goshorn nicht sehr. Hoffnungen und Freuden
galten ihm nichts, wo sichs um die Strenge der Zucht handelte. Die Regeln
der methodistischen Kirchenzucht hatten für einen Geist seines Schlags mehr zu
bedeuten als die zehn Gebote oder die sieben Seligkeiten der Bergpredigt. Er
schüttelte seinen Kopf. Er wüßte es nicht, sagte er. Er müsse sich mit dem
Bruder Hall beraten. Nun aber war der Bruder Hall ein Wanderprediger,
der erst sein zweites Jahr reiste, sehr jung nud sehr unreif. Zehn Jahre der
scharfen Abschleifung des Lebens eines methodistischen Reiseapostels würden seine
Abwendung von den Dingen dieser Welt beseitigt und seinen Sinn für das
Praktische besser entwickelt haben, als sie irgend eine andre Schule dieser Welt
zu entwickeln imstande gewesen wäre. Aber bis jetzt hatte Bruder Hall sich "och
nichts von seiner frommen Strenge abgeschliffen, noch nichts von seinem Glauben
verloren, daß das All nach hohen allgemeinen Grundsätzen ohne Ausnahme
regiert werden müsse.

(Fortsetzung folgt.)




Literatur.
^meer den Kannibalen auf Borneo. Eine Reise auf dieser Insel und ans Sumatra,
^vn Karl Bock. Mit 30 Tafeln in Farbendruck, 7 Holzschnitten und 1 Karte. Jena,
Costenovle, 1882.

Unwillkürlich tauchen Reminiscenzen auf an "Kunibert vou Enlenhvrst" und
die Kapitelüberschriften der Schuudrvmaue unsrer Zeit, wenn der Verfasser
eines jüngst erschienenen Reisewerkes dasselbe mit dem Titel "Unter den Kanni¬
balen auf Borneo" geschmückt hat. Wozu dieser Titel? Der Verfasser hat auf
seinen Reisen in Borneo zwar die Daiaken, denen das Kopfabschlagen eine Lieb-
lingsbeschäftigung sein soll, besucht, vom Stamme der Menschenfresser aber hat er
u"r wenige Individuen in wohlgeschützter Stellung beobachten können. Und das
Amme sich denn "uuter deu Kauuibnleu"? Die Geschmacklosigkeit ist zu bedauern,


Literatur.

Bruder Goshoru war ein guter Mann, aber Jonas hegte eine große Verachtung
vor ihm. Er war ein Mückenseiher, obwohl ich nicht glaube, daß er Kameele
verschluckte. Bei Liebesiuahlen stand er stets um der Thür und wies jede Frau
mit Goldschmuck oder Edelsteinen, jedes Mädchen, welches eine künstliche Blume
auf ihrem Hute hatte, jede, welche Locken trug, und jeden Mann, dessen
Haare über die nach seiner Meinung von den Regulativen der heiligen Schrift
vorgeschriebene Lauge hinausgingen, von der Teilnahme zurück. Desgleichen jedes
Frauenzimmer, welches einen Schleier trug. Zur Stütze dieses lctzterlvähuten
Verbotes zitirte er Jesaia 3, 23: Zu der Zeit wird der Herr deu Schmuck . . .
wegnehmen, die Hefte, die Spangen, die Kettleiu . . . die Schnnrlein, die Bisam
npfcl, die Ohrringe, die Ringe, die Haarbänder, die Feierkleider, die Mäntel,
die Schleier.

Ihm stellte Cyuthy Ann mit vielem Zittern und Zagen die Sache vor.
Alle ihre Hoffnungen in Betreff dieser Welt hingen hieran. Aber diese Rück¬
sicht berührte den Bruder Goshorn nicht sehr. Hoffnungen und Freuden
galten ihm nichts, wo sichs um die Strenge der Zucht handelte. Die Regeln
der methodistischen Kirchenzucht hatten für einen Geist seines Schlags mehr zu
bedeuten als die zehn Gebote oder die sieben Seligkeiten der Bergpredigt. Er
schüttelte seinen Kopf. Er wüßte es nicht, sagte er. Er müsse sich mit dem
Bruder Hall beraten. Nun aber war der Bruder Hall ein Wanderprediger,
der erst sein zweites Jahr reiste, sehr jung nud sehr unreif. Zehn Jahre der
scharfen Abschleifung des Lebens eines methodistischen Reiseapostels würden seine
Abwendung von den Dingen dieser Welt beseitigt und seinen Sinn für das
Praktische besser entwickelt haben, als sie irgend eine andre Schule dieser Welt
zu entwickeln imstande gewesen wäre. Aber bis jetzt hatte Bruder Hall sich »och
nichts von seiner frommen Strenge abgeschliffen, noch nichts von seinem Glauben
verloren, daß das All nach hohen allgemeinen Grundsätzen ohne Ausnahme
regiert werden müsse.

(Fortsetzung folgt.)




Literatur.
^meer den Kannibalen auf Borneo. Eine Reise auf dieser Insel und ans Sumatra,
^vn Karl Bock. Mit 30 Tafeln in Farbendruck, 7 Holzschnitten und 1 Karte. Jena,
Costenovle, 1882.

Unwillkürlich tauchen Reminiscenzen auf an „Kunibert vou Enlenhvrst" und
die Kapitelüberschriften der Schuudrvmaue unsrer Zeit, wenn der Verfasser
eines jüngst erschienenen Reisewerkes dasselbe mit dem Titel „Unter den Kanni¬
balen auf Borneo" geschmückt hat. Wozu dieser Titel? Der Verfasser hat auf
seinen Reisen in Borneo zwar die Daiaken, denen das Kopfabschlagen eine Lieb-
lingsbeschäftigung sein soll, besucht, vom Stamme der Menschenfresser aber hat er
u»r wenige Individuen in wohlgeschützter Stellung beobachten können. Und das
Amme sich denn „uuter deu Kauuibnleu"? Die Geschmacklosigkeit ist zu bedauern,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_359176/107>, abgerufen am 06.05.2024.