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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal.

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Der zweite Pariser Krach.

gewonnen, aber den Gegnern das Vorrücken mit Zähigkeit und Geschick er¬
schwert. Er war der einzige französische General, der bei einem neuen Kriege
mit Deutschland der Nation und der Armee einiges Vertrauen eingeflößt haben
würde. Denn es ist ziemlich gewiß, daß Frankreich diesen Krieg, wenn er über¬
haupt einmal ausbricht, mit sehr andern Gefühlen beginnen wird als die Kriege
unter dem ersten und dem zweiten Kaiserreiche. Napoleon der Erste zog mit
Heeren aus, die zuversichtlich zu siegen hofften, auch Napoleon der Dritte galt
nach dem Falle Sebastopols als ein Mann des sichern Erfolges. Aber von
1816 bis 18S4 wirkte der Einfluß von Waterloo nach, der wie eine Wolke
über den Franzosen und ihren Herrschern hing, und die letztern wagten kein
Unternehmen, bei dem sie alleinstanden. 1823 schritten die Bourbonen in
Spanien ein, aber nur als Beauftragte der heiligen Allianz, und 1854 hatte
Ludwig Napoleon England, 1859 Italien zur Seite. Die Erinnerung an Sedan
wird ebenso lange nachwirken. Frankreich wird, seit Gambetta und Chcmzy tot
sind, schwerlich wieder ohne Bundesgenossen kämpfen, und die Republik mit ihren
Ephemeren-Ministerien wird als unzuverlässig und unstet nicht leicht Bundes¬
genossen gewinnen. So verknüpfte Gambetta zwar die Republik mit der Re¬
vanche, aber das Schicksal trennt beide von einander und scheint den Franzosen
. eine schwankende Politik im Innern beschieden zu haben, deren Unerfreulichkeit
durch Frieden in auswärtigen Dingen ausgeglichen wird. Hierin mag der Hin¬
geschiedene Staatsmann seinem Vaterlande besser gedient haben, als er wußte
und beabsichtigte.




9er zweite pariser Krach,
i.

le bedeutungsvollen Verschiebungen, welche die Verhältnisse der
internationalen Beziehungen innerhalb der letzten zwei Dezennien
mit sich gebracht haben, erheischen die Aufmerksamkeit und spannen
das Interesse des Nationalökonomen fast noch mehr als die des
Politikers. Das furchtbare Anschwellen der sozialen Mißwirt¬
schaft, das zuerst in einer seltsamen Weichgiltigkeit und oft sogar in einer un¬
begreiflichen Unterstützung der bloßen Gewinnspeknlation auf wirtschaftlichem
Boden begünstigt wurde, und durch das nunmehr alle nationalen und inter¬
nationalen Beziehungen überflutet werden, erfüllt längst alle einsichtigen und
gewissenhaften Finanzpolitiker mit der höchsten Besorgnis. Denn wenn es auch


Der zweite Pariser Krach.

gewonnen, aber den Gegnern das Vorrücken mit Zähigkeit und Geschick er¬
schwert. Er war der einzige französische General, der bei einem neuen Kriege
mit Deutschland der Nation und der Armee einiges Vertrauen eingeflößt haben
würde. Denn es ist ziemlich gewiß, daß Frankreich diesen Krieg, wenn er über¬
haupt einmal ausbricht, mit sehr andern Gefühlen beginnen wird als die Kriege
unter dem ersten und dem zweiten Kaiserreiche. Napoleon der Erste zog mit
Heeren aus, die zuversichtlich zu siegen hofften, auch Napoleon der Dritte galt
nach dem Falle Sebastopols als ein Mann des sichern Erfolges. Aber von
1816 bis 18S4 wirkte der Einfluß von Waterloo nach, der wie eine Wolke
über den Franzosen und ihren Herrschern hing, und die letztern wagten kein
Unternehmen, bei dem sie alleinstanden. 1823 schritten die Bourbonen in
Spanien ein, aber nur als Beauftragte der heiligen Allianz, und 1854 hatte
Ludwig Napoleon England, 1859 Italien zur Seite. Die Erinnerung an Sedan
wird ebenso lange nachwirken. Frankreich wird, seit Gambetta und Chcmzy tot
sind, schwerlich wieder ohne Bundesgenossen kämpfen, und die Republik mit ihren
Ephemeren-Ministerien wird als unzuverlässig und unstet nicht leicht Bundes¬
genossen gewinnen. So verknüpfte Gambetta zwar die Republik mit der Re¬
vanche, aber das Schicksal trennt beide von einander und scheint den Franzosen
. eine schwankende Politik im Innern beschieden zu haben, deren Unerfreulichkeit
durch Frieden in auswärtigen Dingen ausgeglichen wird. Hierin mag der Hin¬
geschiedene Staatsmann seinem Vaterlande besser gedient haben, als er wußte
und beabsichtigte.




9er zweite pariser Krach,
i.

le bedeutungsvollen Verschiebungen, welche die Verhältnisse der
internationalen Beziehungen innerhalb der letzten zwei Dezennien
mit sich gebracht haben, erheischen die Aufmerksamkeit und spannen
das Interesse des Nationalökonomen fast noch mehr als die des
Politikers. Das furchtbare Anschwellen der sozialen Mißwirt¬
schaft, das zuerst in einer seltsamen Weichgiltigkeit und oft sogar in einer un¬
begreiflichen Unterstützung der bloßen Gewinnspeknlation auf wirtschaftlichem
Boden begünstigt wurde, und durch das nunmehr alle nationalen und inter¬
nationalen Beziehungen überflutet werden, erfüllt längst alle einsichtigen und
gewissenhaften Finanzpolitiker mit der höchsten Besorgnis. Denn wenn es auch


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[0187] Der zweite Pariser Krach. gewonnen, aber den Gegnern das Vorrücken mit Zähigkeit und Geschick er¬ schwert. Er war der einzige französische General, der bei einem neuen Kriege mit Deutschland der Nation und der Armee einiges Vertrauen eingeflößt haben würde. Denn es ist ziemlich gewiß, daß Frankreich diesen Krieg, wenn er über¬ haupt einmal ausbricht, mit sehr andern Gefühlen beginnen wird als die Kriege unter dem ersten und dem zweiten Kaiserreiche. Napoleon der Erste zog mit Heeren aus, die zuversichtlich zu siegen hofften, auch Napoleon der Dritte galt nach dem Falle Sebastopols als ein Mann des sichern Erfolges. Aber von 1816 bis 18S4 wirkte der Einfluß von Waterloo nach, der wie eine Wolke über den Franzosen und ihren Herrschern hing, und die letztern wagten kein Unternehmen, bei dem sie alleinstanden. 1823 schritten die Bourbonen in Spanien ein, aber nur als Beauftragte der heiligen Allianz, und 1854 hatte Ludwig Napoleon England, 1859 Italien zur Seite. Die Erinnerung an Sedan wird ebenso lange nachwirken. Frankreich wird, seit Gambetta und Chcmzy tot sind, schwerlich wieder ohne Bundesgenossen kämpfen, und die Republik mit ihren Ephemeren-Ministerien wird als unzuverlässig und unstet nicht leicht Bundes¬ genossen gewinnen. So verknüpfte Gambetta zwar die Republik mit der Re¬ vanche, aber das Schicksal trennt beide von einander und scheint den Franzosen . eine schwankende Politik im Innern beschieden zu haben, deren Unerfreulichkeit durch Frieden in auswärtigen Dingen ausgeglichen wird. Hierin mag der Hin¬ geschiedene Staatsmann seinem Vaterlande besser gedient haben, als er wußte und beabsichtigte. 9er zweite pariser Krach, i. le bedeutungsvollen Verschiebungen, welche die Verhältnisse der internationalen Beziehungen innerhalb der letzten zwei Dezennien mit sich gebracht haben, erheischen die Aufmerksamkeit und spannen das Interesse des Nationalökonomen fast noch mehr als die des Politikers. Das furchtbare Anschwellen der sozialen Mißwirt¬ schaft, das zuerst in einer seltsamen Weichgiltigkeit und oft sogar in einer un¬ begreiflichen Unterstützung der bloßen Gewinnspeknlation auf wirtschaftlichem Boden begünstigt wurde, und durch das nunmehr alle nationalen und inter¬ nationalen Beziehungen überflutet werden, erfüllt längst alle einsichtigen und gewissenhaften Finanzpolitiker mit der höchsten Besorgnis. Denn wenn es auch

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_151310/187>, abgerufen am 05.05.2024.