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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal.

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Frankreich nach Gambettas Tode.

Hauptgrundsatz ist Opposition gegen persönliche Herrschaft, gegen die Autorität
des einzelnen Talentes oder Genies. Im ganzen politischen Leben Athens giebt
es kaum ein so charakteristisches Ereignis als die Verbannung des Aristides.
In Amerika darf niemand den Prüsidentenftuhl mehr als zweimal einnehmen.
Im parlamentarischen England sehen wir die Regierung nicht in den Händen
eines Parteiführers, sondern in denen einer Gruppe ruhen. Auch hier soll kein
einzelner als solcher wesentlich und unentbehrlich werden, und so ist die Arbeit
für den Staat über zwölf oder vierzehn Minister verteilt, die wieder politische
Lehrlinge unter sich haben, welche später in das Kabinet aufrücken, und unter
denen wieder zahlreiche Beamte als Ersatz für den Wegfall ihrer Vorgesetzten
stehen.

Vergleichen wir damit Frankreich, so begegnen wir einem wesentlichen Unter¬
schiede. Es hat einen großen Mann, an dem aller Augen hängen, auf den die
große Mehrzahl des Volkes vertraut und hofft. Scheidet er von der Welt,
und wird er durch ein andres Talent ersetzt, das der öffentlichen Meinung im-
ponirt, so wird das Spiel fortgesetzt, und von einer Republik ist im Ernste
nicht die Rede. Anders, wenn er keinen ebenbürtigen Nachfolger findet, wie
das jetzt der Fall zu sein scheint. Seit der einzige große Mann, den das jetzige
Frankreich besaß, hinweggenommen ist, wird die Republik sich vermutlich binnen
kurzem mehr nach dem englischen oder amerikanischen Muster gestalten, d. h. sie
wird nicht von einem Staatsmanne, sondern von einem Dutzend abhängen, sie
wird sich der klugen Müßigung Grevys weiter erfreuen, und das übrige, was
notwendig ist, werden zwanzig oder dreißig andre Herren besorgen, die als be¬
fähigte, wenn auch durchaus nicht brillante Persönlichkeiten während des letzten
Jahrzehntes dem Laude abwechselnd Dienste geleistet und sich dadurch Erfahrung
und Kenntnis der Geschäfte erworben haben.

Das ist keine bezaubernde Aussicht für den Durchschnittsfranzosen. Es
stimmt wenig zu der Gewohnheit der Nation, die Massen werden keinen Gegen¬
stand für ihren Trieb nach Menschenvergötterung und ebensowenig Gelegenheit
haben, ihn der Abwechslung halber einmal von seinem Piedestal herunterzu¬
reißen. Die Republik wird nicht mehr poetisch, aber sie wird eine Wahrheit
sein, und sie wird den Frieden bedeuten. Kann Frankreich sich eine Zeit lang
der Liebhaberei für das Persönliche, das Malerische, das Theatralische entäußern
und sich der Entwicklung einfacher, nüchterner, schmuckloser Freiheit und der Be¬
festigung der Ordnung widmen, so wird der Verlust Gambettas ihm zu einem
Segen werden.

Auf Gambettas Tod ist rasch der des Generals Chanzy gefolgt. Wenn
der eine der einzige Staatsmann der französischen Republik war, der aus dem
Kampfe mit Deutschland und später mit den monarchischen Parteien mit einem
großen Namen hervorging, so war der General der einzige militärische Führer,
der sich als befähigt und charaktervoll erwiesen hatte. Er hatte keine Schlachten


Frankreich nach Gambettas Tode.

Hauptgrundsatz ist Opposition gegen persönliche Herrschaft, gegen die Autorität
des einzelnen Talentes oder Genies. Im ganzen politischen Leben Athens giebt
es kaum ein so charakteristisches Ereignis als die Verbannung des Aristides.
In Amerika darf niemand den Prüsidentenftuhl mehr als zweimal einnehmen.
Im parlamentarischen England sehen wir die Regierung nicht in den Händen
eines Parteiführers, sondern in denen einer Gruppe ruhen. Auch hier soll kein
einzelner als solcher wesentlich und unentbehrlich werden, und so ist die Arbeit
für den Staat über zwölf oder vierzehn Minister verteilt, die wieder politische
Lehrlinge unter sich haben, welche später in das Kabinet aufrücken, und unter
denen wieder zahlreiche Beamte als Ersatz für den Wegfall ihrer Vorgesetzten
stehen.

Vergleichen wir damit Frankreich, so begegnen wir einem wesentlichen Unter¬
schiede. Es hat einen großen Mann, an dem aller Augen hängen, auf den die
große Mehrzahl des Volkes vertraut und hofft. Scheidet er von der Welt,
und wird er durch ein andres Talent ersetzt, das der öffentlichen Meinung im-
ponirt, so wird das Spiel fortgesetzt, und von einer Republik ist im Ernste
nicht die Rede. Anders, wenn er keinen ebenbürtigen Nachfolger findet, wie
das jetzt der Fall zu sein scheint. Seit der einzige große Mann, den das jetzige
Frankreich besaß, hinweggenommen ist, wird die Republik sich vermutlich binnen
kurzem mehr nach dem englischen oder amerikanischen Muster gestalten, d. h. sie
wird nicht von einem Staatsmanne, sondern von einem Dutzend abhängen, sie
wird sich der klugen Müßigung Grevys weiter erfreuen, und das übrige, was
notwendig ist, werden zwanzig oder dreißig andre Herren besorgen, die als be¬
fähigte, wenn auch durchaus nicht brillante Persönlichkeiten während des letzten
Jahrzehntes dem Laude abwechselnd Dienste geleistet und sich dadurch Erfahrung
und Kenntnis der Geschäfte erworben haben.

Das ist keine bezaubernde Aussicht für den Durchschnittsfranzosen. Es
stimmt wenig zu der Gewohnheit der Nation, die Massen werden keinen Gegen¬
stand für ihren Trieb nach Menschenvergötterung und ebensowenig Gelegenheit
haben, ihn der Abwechslung halber einmal von seinem Piedestal herunterzu¬
reißen. Die Republik wird nicht mehr poetisch, aber sie wird eine Wahrheit
sein, und sie wird den Frieden bedeuten. Kann Frankreich sich eine Zeit lang
der Liebhaberei für das Persönliche, das Malerische, das Theatralische entäußern
und sich der Entwicklung einfacher, nüchterner, schmuckloser Freiheit und der Be¬
festigung der Ordnung widmen, so wird der Verlust Gambettas ihm zu einem
Segen werden.

Auf Gambettas Tod ist rasch der des Generals Chanzy gefolgt. Wenn
der eine der einzige Staatsmann der französischen Republik war, der aus dem
Kampfe mit Deutschland und später mit den monarchischen Parteien mit einem
großen Namen hervorging, so war der General der einzige militärische Führer,
der sich als befähigt und charaktervoll erwiesen hatte. Er hatte keine Schlachten


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[0186] Frankreich nach Gambettas Tode. Hauptgrundsatz ist Opposition gegen persönliche Herrschaft, gegen die Autorität des einzelnen Talentes oder Genies. Im ganzen politischen Leben Athens giebt es kaum ein so charakteristisches Ereignis als die Verbannung des Aristides. In Amerika darf niemand den Prüsidentenftuhl mehr als zweimal einnehmen. Im parlamentarischen England sehen wir die Regierung nicht in den Händen eines Parteiführers, sondern in denen einer Gruppe ruhen. Auch hier soll kein einzelner als solcher wesentlich und unentbehrlich werden, und so ist die Arbeit für den Staat über zwölf oder vierzehn Minister verteilt, die wieder politische Lehrlinge unter sich haben, welche später in das Kabinet aufrücken, und unter denen wieder zahlreiche Beamte als Ersatz für den Wegfall ihrer Vorgesetzten stehen. Vergleichen wir damit Frankreich, so begegnen wir einem wesentlichen Unter¬ schiede. Es hat einen großen Mann, an dem aller Augen hängen, auf den die große Mehrzahl des Volkes vertraut und hofft. Scheidet er von der Welt, und wird er durch ein andres Talent ersetzt, das der öffentlichen Meinung im- ponirt, so wird das Spiel fortgesetzt, und von einer Republik ist im Ernste nicht die Rede. Anders, wenn er keinen ebenbürtigen Nachfolger findet, wie das jetzt der Fall zu sein scheint. Seit der einzige große Mann, den das jetzige Frankreich besaß, hinweggenommen ist, wird die Republik sich vermutlich binnen kurzem mehr nach dem englischen oder amerikanischen Muster gestalten, d. h. sie wird nicht von einem Staatsmanne, sondern von einem Dutzend abhängen, sie wird sich der klugen Müßigung Grevys weiter erfreuen, und das übrige, was notwendig ist, werden zwanzig oder dreißig andre Herren besorgen, die als be¬ fähigte, wenn auch durchaus nicht brillante Persönlichkeiten während des letzten Jahrzehntes dem Laude abwechselnd Dienste geleistet und sich dadurch Erfahrung und Kenntnis der Geschäfte erworben haben. Das ist keine bezaubernde Aussicht für den Durchschnittsfranzosen. Es stimmt wenig zu der Gewohnheit der Nation, die Massen werden keinen Gegen¬ stand für ihren Trieb nach Menschenvergötterung und ebensowenig Gelegenheit haben, ihn der Abwechslung halber einmal von seinem Piedestal herunterzu¬ reißen. Die Republik wird nicht mehr poetisch, aber sie wird eine Wahrheit sein, und sie wird den Frieden bedeuten. Kann Frankreich sich eine Zeit lang der Liebhaberei für das Persönliche, das Malerische, das Theatralische entäußern und sich der Entwicklung einfacher, nüchterner, schmuckloser Freiheit und der Be¬ festigung der Ordnung widmen, so wird der Verlust Gambettas ihm zu einem Segen werden. Auf Gambettas Tod ist rasch der des Generals Chanzy gefolgt. Wenn der eine der einzige Staatsmann der französischen Republik war, der aus dem Kampfe mit Deutschland und später mit den monarchischen Parteien mit einem großen Namen hervorging, so war der General der einzige militärische Führer, der sich als befähigt und charaktervoll erwiesen hatte. Er hatte keine Schlachten

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_151310/186>, abgerufen am 18.05.2024.