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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal.

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Gegen da5 Landstreichertnm.

Vormünder sind verpflichtet, die Ihrigen in diesen Unterricht zu senden. Kein
Lehrer darf aus den Priestern irgend eines Kultus gewählt werden, noch aus
den früher privilegirten Kasten; sie werden von den Volksvertretern ernannt
auf den Vorschlag der Volksvereine. Jeder mstiwtkur erhält aus dem öffent¬
lichen Schatze eine jährliche Besoldung von 1500 Franks, monatlich zahlbar.
Sie sind verpflichtet, an den Dekadentagen dem Volke eine Vorlesung zu halten
und dabei die Gesetze der Republik wörtlich zu übersetze". Dieses Dekret wird
in derselben Sitzung ohne alle Diskussion adoptirt und publizirt.

Sehen wir ab von der theatralischen Rhetorik, die nun einmal den
Franzosen angeboren ist, so bleiben immerhin noch einige Punkte bemerkenswert.
Einmal die im Grunde sehr komische Behauptung, daß die französische Sprache
die vorzüglichste sei, seitdem sie eine republikanische Sprache geworden -- ein
sonderbares Epitheton für eine Sprache --, dann die überraschende Mit¬
teilung, daß aus dem Departement des Niederrheins mehr als 26000 Land¬
leute ausgewandert seien, und endlich die Maßregel der Anstellung von Sprach¬
lehrern, deren Unterricht für die Eltern und Vormünder der Kinder obligatorisch
gemacht wird. Der Zwang zur Erlernung der französischen Sprache wird also
bis in die Familie hinein ausgeführt. Was würde wohl der Nationalkonvent
gesagt haben, wenn Deputirte ans den Departements des Ober- und Nieder¬
rheins einen Antrag gestellt hätten, der geradeso für den Gebrauch der deutscheu
Sprache sich verwendet hätte, wie der jetzige im deutschen Reichstag für den
Gebrauch der französischen? Als vor einigen Jahren ein Deputirter aus Nizza
die Äußerung that, er und seine Landsleute seien im Grunde doch nur halbe
Franzosen, erhob sich in der Nationalversammlung ein solcher übertäubender
Lärm, daß der Redner die Tribüne verlassen mußte.

Hier ist ein Punkt, an dem wir Deutschen von den Franzosen viel zu lernen
haben. Wir wollen hoffen, daß die Enkel gescheiter und patriotischer sein
werden als ihre Väter!




Gegen das Landstreichertum.

ur Bekämpfung des in unserm Vaterlande immer mehr überhand¬
nehmenden Lcmdstreichertums*) ist schon viel Tinte und Papier
verschrieben worden. Während die einen die Heilung dieses
sozialen Gebrechens im Massenaufgebot von Gendarmen, in
Arbeitshäusern mit obligater Prügel- und Fastenstrase zu finden



*) Die geehrte Tagespresse wird hoffentlich nichts dawider haben, wenn wir die be¬
klagenswerte deutsche Volkskrankheit, welche von ihr jetzt allgemein mit dem schönen Worte
Gegen da5 Landstreichertnm.

Vormünder sind verpflichtet, die Ihrigen in diesen Unterricht zu senden. Kein
Lehrer darf aus den Priestern irgend eines Kultus gewählt werden, noch aus
den früher privilegirten Kasten; sie werden von den Volksvertretern ernannt
auf den Vorschlag der Volksvereine. Jeder mstiwtkur erhält aus dem öffent¬
lichen Schatze eine jährliche Besoldung von 1500 Franks, monatlich zahlbar.
Sie sind verpflichtet, an den Dekadentagen dem Volke eine Vorlesung zu halten
und dabei die Gesetze der Republik wörtlich zu übersetze». Dieses Dekret wird
in derselben Sitzung ohne alle Diskussion adoptirt und publizirt.

Sehen wir ab von der theatralischen Rhetorik, die nun einmal den
Franzosen angeboren ist, so bleiben immerhin noch einige Punkte bemerkenswert.
Einmal die im Grunde sehr komische Behauptung, daß die französische Sprache
die vorzüglichste sei, seitdem sie eine republikanische Sprache geworden — ein
sonderbares Epitheton für eine Sprache —, dann die überraschende Mit¬
teilung, daß aus dem Departement des Niederrheins mehr als 26000 Land¬
leute ausgewandert seien, und endlich die Maßregel der Anstellung von Sprach¬
lehrern, deren Unterricht für die Eltern und Vormünder der Kinder obligatorisch
gemacht wird. Der Zwang zur Erlernung der französischen Sprache wird also
bis in die Familie hinein ausgeführt. Was würde wohl der Nationalkonvent
gesagt haben, wenn Deputirte ans den Departements des Ober- und Nieder¬
rheins einen Antrag gestellt hätten, der geradeso für den Gebrauch der deutscheu
Sprache sich verwendet hätte, wie der jetzige im deutschen Reichstag für den
Gebrauch der französischen? Als vor einigen Jahren ein Deputirter aus Nizza
die Äußerung that, er und seine Landsleute seien im Grunde doch nur halbe
Franzosen, erhob sich in der Nationalversammlung ein solcher übertäubender
Lärm, daß der Redner die Tribüne verlassen mußte.

Hier ist ein Punkt, an dem wir Deutschen von den Franzosen viel zu lernen
haben. Wir wollen hoffen, daß die Enkel gescheiter und patriotischer sein
werden als ihre Väter!




Gegen das Landstreichertum.

ur Bekämpfung des in unserm Vaterlande immer mehr überhand¬
nehmenden Lcmdstreichertums*) ist schon viel Tinte und Papier
verschrieben worden. Während die einen die Heilung dieses
sozialen Gebrechens im Massenaufgebot von Gendarmen, in
Arbeitshäusern mit obligater Prügel- und Fastenstrase zu finden



*) Die geehrte Tagespresse wird hoffentlich nichts dawider haben, wenn wir die be¬
klagenswerte deutsche Volkskrankheit, welche von ihr jetzt allgemein mit dem schönen Worte
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[0421] Gegen da5 Landstreichertnm. Vormünder sind verpflichtet, die Ihrigen in diesen Unterricht zu senden. Kein Lehrer darf aus den Priestern irgend eines Kultus gewählt werden, noch aus den früher privilegirten Kasten; sie werden von den Volksvertretern ernannt auf den Vorschlag der Volksvereine. Jeder mstiwtkur erhält aus dem öffent¬ lichen Schatze eine jährliche Besoldung von 1500 Franks, monatlich zahlbar. Sie sind verpflichtet, an den Dekadentagen dem Volke eine Vorlesung zu halten und dabei die Gesetze der Republik wörtlich zu übersetze». Dieses Dekret wird in derselben Sitzung ohne alle Diskussion adoptirt und publizirt. Sehen wir ab von der theatralischen Rhetorik, die nun einmal den Franzosen angeboren ist, so bleiben immerhin noch einige Punkte bemerkenswert. Einmal die im Grunde sehr komische Behauptung, daß die französische Sprache die vorzüglichste sei, seitdem sie eine republikanische Sprache geworden — ein sonderbares Epitheton für eine Sprache —, dann die überraschende Mit¬ teilung, daß aus dem Departement des Niederrheins mehr als 26000 Land¬ leute ausgewandert seien, und endlich die Maßregel der Anstellung von Sprach¬ lehrern, deren Unterricht für die Eltern und Vormünder der Kinder obligatorisch gemacht wird. Der Zwang zur Erlernung der französischen Sprache wird also bis in die Familie hinein ausgeführt. Was würde wohl der Nationalkonvent gesagt haben, wenn Deputirte ans den Departements des Ober- und Nieder¬ rheins einen Antrag gestellt hätten, der geradeso für den Gebrauch der deutscheu Sprache sich verwendet hätte, wie der jetzige im deutschen Reichstag für den Gebrauch der französischen? Als vor einigen Jahren ein Deputirter aus Nizza die Äußerung that, er und seine Landsleute seien im Grunde doch nur halbe Franzosen, erhob sich in der Nationalversammlung ein solcher übertäubender Lärm, daß der Redner die Tribüne verlassen mußte. Hier ist ein Punkt, an dem wir Deutschen von den Franzosen viel zu lernen haben. Wir wollen hoffen, daß die Enkel gescheiter und patriotischer sein werden als ihre Väter! Gegen das Landstreichertum. ur Bekämpfung des in unserm Vaterlande immer mehr überhand¬ nehmenden Lcmdstreichertums*) ist schon viel Tinte und Papier verschrieben worden. Während die einen die Heilung dieses sozialen Gebrechens im Massenaufgebot von Gendarmen, in Arbeitshäusern mit obligater Prügel- und Fastenstrase zu finden *) Die geehrte Tagespresse wird hoffentlich nichts dawider haben, wenn wir die be¬ klagenswerte deutsche Volkskrankheit, welche von ihr jetzt allgemein mit dem schönen Worte

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_151310/421>, abgerufen am 05.05.2024.