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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal.

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Henri Renault,

eine der herrlichsten Tonschöpfungen ist, die es auf der Welt giebt, von höchstem
Adel und absolutester Formvollendung? Das Lied ist gänzlich unbekannt,
Beethovens und Schnberts sämtliche Lieder sind in der Edition Peters jetzt
für ein Paar Mark zu habe" -- was bedarf es da noch bei dem einzelnen Liede
der Opus- oder der Jahreszahl? Aradus' sämmtliche Lieder kosten vielleicht
hundert Mark, und abschreiben lassen darf mau sie sich ja nicht, wenn man nicht
von Herr" Simrock in Berlin -- wie er auf dem Umschlage jedes Brahmsscheu
LiedcrhcfteS grimmig androht -- durch die Staatsanwaltschaft verfolgt werde"
will. Wie freundlich wäre es da gewesen, wenn Locper immer hübsch die Opns-
ziffer angegeben hätte!

Doch genug der Wünsche und Ausstellungen. Wir haben selten ein Buch
mit so freudigen Erwartungen zur Hand genommen wie diesen ersten Band einer
neuen Goethcausgabc. Die rundeste und süßeste Frucht der Goetheforschung
hoffte" wir in dem Loepcrschcu Kommentar zu Goethes Gedichten zu finden.
Aber mit wachsender Enttäuschung habe" wir das Buch studirt, trotz mancher
interessanten Einzelheiten, durch die es uns erfreut hat. Wenn die Kreise der
Goethegemcinde, anstatt sich zu erweitern, infolge dieser Ausgabe sich zusammen¬
zogen, ein Wunder wäre es nicht: die Loeperschc Arbeit ist nach Inhalt und
Form viel eher geeignet zu entfernen als anzulocken.




Henri Regnault.
von Adolf Rosenberg.

ur Henri Regnault ist der leidenschaftliche Patriotismus seiner
Landsleute so thätig gewesen, daß der Geschichtschreiber Mühe
hat, aus dem Gewirr der enthusiastischen Lobeserhebungen das
Bleibende herauszufinden und den Maler vou dein Patrioten zu
trennen. Da Regnault in einem der letzten Kämpfe des deutsch-
fmuzösischeu Krieges einen frühen Tod gefunden hat, so erscheint er in den
Augen der Franzosen fortan in der doppelten Gloriole des großen Künstlers
und des todesmutigen Märtyrers, welcher sein Blut auf dem Altare des
Vaterlandes verspritzt hat. Diesem durch die Tollkühnheit des Malers hervor¬
gerufenen Zufalle ist es wohl in erster Linie zu danken, daß sich bereits um
den Toten eine umfangreiche Literatur gebildet, daß man seine Briefe heraus¬
gegeben und ihm ein Denkmal in der lüools ass beaux-g-res gesetzt hat, sowohl
um ihn zu ehren, als um die künstlerische Jugend Frankreichs zur Nacheiferung


Henri Renault,

eine der herrlichsten Tonschöpfungen ist, die es auf der Welt giebt, von höchstem
Adel und absolutester Formvollendung? Das Lied ist gänzlich unbekannt,
Beethovens und Schnberts sämtliche Lieder sind in der Edition Peters jetzt
für ein Paar Mark zu habe» — was bedarf es da noch bei dem einzelnen Liede
der Opus- oder der Jahreszahl? Aradus' sämmtliche Lieder kosten vielleicht
hundert Mark, und abschreiben lassen darf mau sie sich ja nicht, wenn man nicht
von Herr» Simrock in Berlin — wie er auf dem Umschlage jedes Brahmsscheu
LiedcrhcfteS grimmig androht — durch die Staatsanwaltschaft verfolgt werde»
will. Wie freundlich wäre es da gewesen, wenn Locper immer hübsch die Opns-
ziffer angegeben hätte!

Doch genug der Wünsche und Ausstellungen. Wir haben selten ein Buch
mit so freudigen Erwartungen zur Hand genommen wie diesen ersten Band einer
neuen Goethcausgabc. Die rundeste und süßeste Frucht der Goetheforschung
hoffte» wir in dem Loepcrschcu Kommentar zu Goethes Gedichten zu finden.
Aber mit wachsender Enttäuschung habe» wir das Buch studirt, trotz mancher
interessanten Einzelheiten, durch die es uns erfreut hat. Wenn die Kreise der
Goethegemcinde, anstatt sich zu erweitern, infolge dieser Ausgabe sich zusammen¬
zogen, ein Wunder wäre es nicht: die Loeperschc Arbeit ist nach Inhalt und
Form viel eher geeignet zu entfernen als anzulocken.




Henri Regnault.
von Adolf Rosenberg.

ur Henri Regnault ist der leidenschaftliche Patriotismus seiner
Landsleute so thätig gewesen, daß der Geschichtschreiber Mühe
hat, aus dem Gewirr der enthusiastischen Lobeserhebungen das
Bleibende herauszufinden und den Maler vou dein Patrioten zu
trennen. Da Regnault in einem der letzten Kämpfe des deutsch-
fmuzösischeu Krieges einen frühen Tod gefunden hat, so erscheint er in den
Augen der Franzosen fortan in der doppelten Gloriole des großen Künstlers
und des todesmutigen Märtyrers, welcher sein Blut auf dem Altare des
Vaterlandes verspritzt hat. Diesem durch die Tollkühnheit des Malers hervor¬
gerufenen Zufalle ist es wohl in erster Linie zu danken, daß sich bereits um
den Toten eine umfangreiche Literatur gebildet, daß man seine Briefe heraus¬
gegeben und ihm ein Denkmal in der lüools ass beaux-g-res gesetzt hat, sowohl
um ihn zu ehren, als um die künstlerische Jugend Frankreichs zur Nacheiferung


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[0525] Henri Renault, eine der herrlichsten Tonschöpfungen ist, die es auf der Welt giebt, von höchstem Adel und absolutester Formvollendung? Das Lied ist gänzlich unbekannt, Beethovens und Schnberts sämtliche Lieder sind in der Edition Peters jetzt für ein Paar Mark zu habe» — was bedarf es da noch bei dem einzelnen Liede der Opus- oder der Jahreszahl? Aradus' sämmtliche Lieder kosten vielleicht hundert Mark, und abschreiben lassen darf mau sie sich ja nicht, wenn man nicht von Herr» Simrock in Berlin — wie er auf dem Umschlage jedes Brahmsscheu LiedcrhcfteS grimmig androht — durch die Staatsanwaltschaft verfolgt werde» will. Wie freundlich wäre es da gewesen, wenn Locper immer hübsch die Opns- ziffer angegeben hätte! Doch genug der Wünsche und Ausstellungen. Wir haben selten ein Buch mit so freudigen Erwartungen zur Hand genommen wie diesen ersten Band einer neuen Goethcausgabc. Die rundeste und süßeste Frucht der Goetheforschung hoffte» wir in dem Loepcrschcu Kommentar zu Goethes Gedichten zu finden. Aber mit wachsender Enttäuschung habe» wir das Buch studirt, trotz mancher interessanten Einzelheiten, durch die es uns erfreut hat. Wenn die Kreise der Goethegemcinde, anstatt sich zu erweitern, infolge dieser Ausgabe sich zusammen¬ zogen, ein Wunder wäre es nicht: die Loeperschc Arbeit ist nach Inhalt und Form viel eher geeignet zu entfernen als anzulocken. Henri Regnault. von Adolf Rosenberg. ur Henri Regnault ist der leidenschaftliche Patriotismus seiner Landsleute so thätig gewesen, daß der Geschichtschreiber Mühe hat, aus dem Gewirr der enthusiastischen Lobeserhebungen das Bleibende herauszufinden und den Maler vou dein Patrioten zu trennen. Da Regnault in einem der letzten Kämpfe des deutsch- fmuzösischeu Krieges einen frühen Tod gefunden hat, so erscheint er in den Augen der Franzosen fortan in der doppelten Gloriole des großen Künstlers und des todesmutigen Märtyrers, welcher sein Blut auf dem Altare des Vaterlandes verspritzt hat. Diesem durch die Tollkühnheit des Malers hervor¬ gerufenen Zufalle ist es wohl in erster Linie zu danken, daß sich bereits um den Toten eine umfangreiche Literatur gebildet, daß man seine Briefe heraus¬ gegeben und ihm ein Denkmal in der lüools ass beaux-g-res gesetzt hat, sowohl um ihn zu ehren, als um die künstlerische Jugend Frankreichs zur Nacheiferung

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_151310/525>, abgerufen am 06.05.2024.