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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal.

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Der Kampf der Deutschen in Österreich.

le Freunde der gegenwärtigen Regierung in Österreich machen von
Zeit zu Zeit sich (oder ihr) das Vergnügen, die Gewähr der
Dauer des Ministeriums Taaffe aus der Unmöglichkeit irgend¬
eines andern Ministeriums herzuleiten. Unbescheiden kann man
diesen Standpunkt nicht nennen, und wir glauben auch, daß
die Rechnung nicht anzufechten ist. Aber der Staatsmann, welcher auf so
originelle Manier gefeiert wird, kann wohl nicht damit zufrieden sein, als Not-
uagel zu dienen, dessen sich diejenige Partei, heiße sie wie sie wolle, welche
endlich zu genügenden Kräften gekommen wäre, sofort entledigen würde. Sein
Ehrgeiz kann doch nicht darauf hinausgehen, von der Hand in den Mund zu
leben, feine Existenz von einem Tage zum andern zu fristen und jedem neuen
Morgen die Sorge für den folgenden zu überlassen. Und er wird sich bei eben
jenen Freunden zu bedanken haben, wenn in der Welt die Meinung immer mehr
Verbreitung findet, Graf Taasse müsse, aufrichtig, auf die Frage: "Wo hinaus?"
antworten wie jener reitende Hebräer: "Weiß ich's?" Das Wort Versöhnung,
welches früher als Devise benutzt wurde, scheint nur noch bei der Oppositions¬
presse beliebt zu sein, welche mit Behagen ausführt, daß jedes Zugeständnis von
den Slaven als kleine Abschlagszahlung mit mürrischer Miene einkassirt wird
und auf der andern Seite neue Unzufriedenheit hervorruft. Das ist offenbar,
die "Versöhnung" der Tschechen und Konsorten kann nur mit der tiefsten Er¬
bitterung der Deutschen erkauft werden, und man thut den österreichischen Slaven
"nur insofern Unrecht, als man sie eines ausdrücklichen Deutschenhasses beschul¬
digt: die neuesten Vorgänge thun klärlich dar, daß sie von fanatischer, bornirter
Herrschsucht erfüllt und entschlossen sind, jede Nationalität niederzutreten, welche


Grenzboten III. 1884. 38


Der Kampf der Deutschen in Österreich.

le Freunde der gegenwärtigen Regierung in Österreich machen von
Zeit zu Zeit sich (oder ihr) das Vergnügen, die Gewähr der
Dauer des Ministeriums Taaffe aus der Unmöglichkeit irgend¬
eines andern Ministeriums herzuleiten. Unbescheiden kann man
diesen Standpunkt nicht nennen, und wir glauben auch, daß
die Rechnung nicht anzufechten ist. Aber der Staatsmann, welcher auf so
originelle Manier gefeiert wird, kann wohl nicht damit zufrieden sein, als Not-
uagel zu dienen, dessen sich diejenige Partei, heiße sie wie sie wolle, welche
endlich zu genügenden Kräften gekommen wäre, sofort entledigen würde. Sein
Ehrgeiz kann doch nicht darauf hinausgehen, von der Hand in den Mund zu
leben, feine Existenz von einem Tage zum andern zu fristen und jedem neuen
Morgen die Sorge für den folgenden zu überlassen. Und er wird sich bei eben
jenen Freunden zu bedanken haben, wenn in der Welt die Meinung immer mehr
Verbreitung findet, Graf Taasse müsse, aufrichtig, auf die Frage: „Wo hinaus?"
antworten wie jener reitende Hebräer: „Weiß ich's?" Das Wort Versöhnung,
welches früher als Devise benutzt wurde, scheint nur noch bei der Oppositions¬
presse beliebt zu sein, welche mit Behagen ausführt, daß jedes Zugeständnis von
den Slaven als kleine Abschlagszahlung mit mürrischer Miene einkassirt wird
und auf der andern Seite neue Unzufriedenheit hervorruft. Das ist offenbar,
die „Versöhnung" der Tschechen und Konsorten kann nur mit der tiefsten Er¬
bitterung der Deutschen erkauft werden, und man thut den österreichischen Slaven
»nur insofern Unrecht, als man sie eines ausdrücklichen Deutschenhasses beschul¬
digt: die neuesten Vorgänge thun klärlich dar, daß sie von fanatischer, bornirter
Herrschsucht erfüllt und entschlossen sind, jede Nationalität niederzutreten, welche


Grenzboten III. 1884. 38
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156270/305>, abgerufen am 02.05.2024.