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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Viertes Quartal.

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Skizzen aus unserm heutigen Volksleben.
9. Meister Stüwe erzählt seine Geschichte.

ir waren beide ein bischen jung, meine Grete und ich, als wir
heirateten, und außer unsrer Neigung hatten wir herzlich wenig in
die Ehe zu bringen. Aber wir meinten, redlicher Wille und vier
Hände möchten wohl zwei Mäuler ernähren, und das traf zu, auch
als aus zwei Mäulern drei und schließlich sieben wurden und
nebenbei Doktor und Apotheker die Hände offen hielten. Meine
Grete war anspruchslos und hielt die paar Thaler wacker zusammen, die meine
kleine Schneiderei einbrachte. Als ich das erste Geld für den ersten Rock einnahm,
war ich vergnügt wie ein Gott! es war ein Segensthaler darunter. Den rühren
wir nicht an, sagte Grete, und legte ihn als Heckethaler unten in die Kommode.
Der Thaler heckte auch, und als es ihrer zehn waren, trug Orete sie zur Spar¬
kasse, bis unser kleines Kapital und die kleinen Zinsen zu einer Nähmaschine
reichten.

Wir wohnten in einem Häuschen, das abseits von der Verkehrsgegend lag,
weil die Mieter dort für mein geringes Geschäft zu teuer waren. Dennoch mehrte
sich die Kundschaft und auch der Verdienst, denn meine Grete fand neben der Be¬
sorgung der Wirtschaft und der Kinder immer noch Zeit, mir auf der Maschine
zu helfen. Wir kamen sichtlich vorwärts, und als Bornstedt eine Bahn bekam,
durch die viele Verdienst hatten, konnte ich einen Lehrling und während der Bau¬
zeit sogar einen Gesellen einstellen.

Mit Hilfe einer kleinen Erbschaft wuchs unser Kapital im Jahre 1872 auf
achthundert Thaler an, und da auch die Kinder gediehen, tauchten wir uns
wirklich glückliche Menschen.

Es sollte nicht lange so bleiben. Der Mann, durch den ich zum Bettler
geworden bin, hatte sich schon an mich gemacht. Es war ein Herr, dessen Handel
und Wandel durchaus rechtschaffen war vor den Leuten und unsträflich vor dem
Gesetz. Ich kannte ihn kaum, sonst hätte ich ihm wohl einmal die Thüre ge¬
wiesen, als er des öfteren zu uns kam. Meine Frau kaufte ihm gern etwas von
seinem Trödel ab, denn er lobte ihre Kinder und brachte dem ältesten einmal
einen großen, schönen Apfel mit.

Ich habe oft darüber nachgedacht, wie sich mein Schicksal Wohl ohne jenen
Apfel gestaltet haben möchte. Mein erstes Gefühl war gegen den Mann, durch
die Freundlichkeit für mein Kind schmeichelte er sich in unser Vertraue" ein.
Meine Frau war so unklug, sich von ihm über ihren Sparkassenschatz aufhorchen
zu lassen und ihm von unserm Plane zu sagen, das kleine Häuschen zu kaufen,
in dem wir wohnten. Von diesem Augenblicke an war unser Ruin entschieden.
Ein Wucherer breitete das Netz über uns aus.

Vorläufig konnte es keinen bessern und uneigennützigeren Freund geben. Mit
wohlbedachten Ratschlägen nährte und kitzelte er meine Geschäftseitelkeit und mein


Skizzen aus unserm heutigen Volksleben.
9. Meister Stüwe erzählt seine Geschichte.

ir waren beide ein bischen jung, meine Grete und ich, als wir
heirateten, und außer unsrer Neigung hatten wir herzlich wenig in
die Ehe zu bringen. Aber wir meinten, redlicher Wille und vier
Hände möchten wohl zwei Mäuler ernähren, und das traf zu, auch
als aus zwei Mäulern drei und schließlich sieben wurden und
nebenbei Doktor und Apotheker die Hände offen hielten. Meine
Grete war anspruchslos und hielt die paar Thaler wacker zusammen, die meine
kleine Schneiderei einbrachte. Als ich das erste Geld für den ersten Rock einnahm,
war ich vergnügt wie ein Gott! es war ein Segensthaler darunter. Den rühren
wir nicht an, sagte Grete, und legte ihn als Heckethaler unten in die Kommode.
Der Thaler heckte auch, und als es ihrer zehn waren, trug Orete sie zur Spar¬
kasse, bis unser kleines Kapital und die kleinen Zinsen zu einer Nähmaschine
reichten.

Wir wohnten in einem Häuschen, das abseits von der Verkehrsgegend lag,
weil die Mieter dort für mein geringes Geschäft zu teuer waren. Dennoch mehrte
sich die Kundschaft und auch der Verdienst, denn meine Grete fand neben der Be¬
sorgung der Wirtschaft und der Kinder immer noch Zeit, mir auf der Maschine
zu helfen. Wir kamen sichtlich vorwärts, und als Bornstedt eine Bahn bekam,
durch die viele Verdienst hatten, konnte ich einen Lehrling und während der Bau¬
zeit sogar einen Gesellen einstellen.

Mit Hilfe einer kleinen Erbschaft wuchs unser Kapital im Jahre 1872 auf
achthundert Thaler an, und da auch die Kinder gediehen, tauchten wir uns
wirklich glückliche Menschen.

Es sollte nicht lange so bleiben. Der Mann, durch den ich zum Bettler
geworden bin, hatte sich schon an mich gemacht. Es war ein Herr, dessen Handel
und Wandel durchaus rechtschaffen war vor den Leuten und unsträflich vor dem
Gesetz. Ich kannte ihn kaum, sonst hätte ich ihm wohl einmal die Thüre ge¬
wiesen, als er des öfteren zu uns kam. Meine Frau kaufte ihm gern etwas von
seinem Trödel ab, denn er lobte ihre Kinder und brachte dem ältesten einmal
einen großen, schönen Apfel mit.

Ich habe oft darüber nachgedacht, wie sich mein Schicksal Wohl ohne jenen
Apfel gestaltet haben möchte. Mein erstes Gefühl war gegen den Mann, durch
die Freundlichkeit für mein Kind schmeichelte er sich in unser Vertraue» ein.
Meine Frau war so unklug, sich von ihm über ihren Sparkassenschatz aufhorchen
zu lassen und ihm von unserm Plane zu sagen, das kleine Häuschen zu kaufen,
in dem wir wohnten. Von diesem Augenblicke an war unser Ruin entschieden.
Ein Wucherer breitete das Netz über uns aus.

Vorläufig konnte es keinen bessern und uneigennützigeren Freund geben. Mit
wohlbedachten Ratschlägen nährte und kitzelte er meine Geschäftseitelkeit und mein


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[0338] Skizzen aus unserm heutigen Volksleben. 9. Meister Stüwe erzählt seine Geschichte. ir waren beide ein bischen jung, meine Grete und ich, als wir heirateten, und außer unsrer Neigung hatten wir herzlich wenig in die Ehe zu bringen. Aber wir meinten, redlicher Wille und vier Hände möchten wohl zwei Mäuler ernähren, und das traf zu, auch als aus zwei Mäulern drei und schließlich sieben wurden und nebenbei Doktor und Apotheker die Hände offen hielten. Meine Grete war anspruchslos und hielt die paar Thaler wacker zusammen, die meine kleine Schneiderei einbrachte. Als ich das erste Geld für den ersten Rock einnahm, war ich vergnügt wie ein Gott! es war ein Segensthaler darunter. Den rühren wir nicht an, sagte Grete, und legte ihn als Heckethaler unten in die Kommode. Der Thaler heckte auch, und als es ihrer zehn waren, trug Orete sie zur Spar¬ kasse, bis unser kleines Kapital und die kleinen Zinsen zu einer Nähmaschine reichten. Wir wohnten in einem Häuschen, das abseits von der Verkehrsgegend lag, weil die Mieter dort für mein geringes Geschäft zu teuer waren. Dennoch mehrte sich die Kundschaft und auch der Verdienst, denn meine Grete fand neben der Be¬ sorgung der Wirtschaft und der Kinder immer noch Zeit, mir auf der Maschine zu helfen. Wir kamen sichtlich vorwärts, und als Bornstedt eine Bahn bekam, durch die viele Verdienst hatten, konnte ich einen Lehrling und während der Bau¬ zeit sogar einen Gesellen einstellen. Mit Hilfe einer kleinen Erbschaft wuchs unser Kapital im Jahre 1872 auf achthundert Thaler an, und da auch die Kinder gediehen, tauchten wir uns wirklich glückliche Menschen. Es sollte nicht lange so bleiben. Der Mann, durch den ich zum Bettler geworden bin, hatte sich schon an mich gemacht. Es war ein Herr, dessen Handel und Wandel durchaus rechtschaffen war vor den Leuten und unsträflich vor dem Gesetz. Ich kannte ihn kaum, sonst hätte ich ihm wohl einmal die Thüre ge¬ wiesen, als er des öfteren zu uns kam. Meine Frau kaufte ihm gern etwas von seinem Trödel ab, denn er lobte ihre Kinder und brachte dem ältesten einmal einen großen, schönen Apfel mit. Ich habe oft darüber nachgedacht, wie sich mein Schicksal Wohl ohne jenen Apfel gestaltet haben möchte. Mein erstes Gefühl war gegen den Mann, durch die Freundlichkeit für mein Kind schmeichelte er sich in unser Vertraue» ein. Meine Frau war so unklug, sich von ihm über ihren Sparkassenschatz aufhorchen zu lassen und ihm von unserm Plane zu sagen, das kleine Häuschen zu kaufen, in dem wir wohnten. Von diesem Augenblicke an war unser Ruin entschieden. Ein Wucherer breitete das Netz über uns aus. Vorläufig konnte es keinen bessern und uneigennützigeren Freund geben. Mit wohlbedachten Ratschlägen nährte und kitzelte er meine Geschäftseitelkeit und mein

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156924/338>, abgerufen am 07.05.2024.