Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Zweites Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Vor musikalische Gottesdienst der protestantischen Gemeinde.

Drittens müßte wöchentlich mit den vereinigten Klassen einmal Gesang¬
übung in der Kirche abgehalten werden, teils s, og,xs11g,, teils mit Orgel. Ob
die einzelnen Klassen hierzu ebenfalls in der Kirche vorzuüben wären, bliebe wieder
zu erwägen.

Soviel ließe sich auf obligatorischen Wege erreichen.

Viertens müßten aber die zahlreich emporgeschossenen und noch empor¬
schießenden Gesangvereine ihre Intentionen mehr, und nicht nur gelegentlich, der
kirchlichen, auch der Choralmusik zuwenden; die zünftige Liedertafeln steht
ohnehin höherm Aufschwung nur entgegen.

Fünftens müßten Einladungen an die Gemeinde ergehen zur Beteiligung
an Gesangs- (Choral-) Übungen in der Kirche, zunächst unter dem Kantor, mit
oder ohne Ausschluß von passiver Zuhörerschaft. In diesen Stunden könnten
die vom Geistlichen für den nächsten Gottesdienst vorgeschriebenen Melodien
zur Einübung gelangen.

Sechstens müßten feierliche Liturgien, Tedeums u. s. w. eingeübt werden.
Die Kahlheit der neuerdings wieder in ihr Recht eingesetzten Liturgie vermag
namentlich an hohen Festen und vollends bei mangelnder musikalischer Bildung
der Geistlichen uoch wenig zu erwärmen.

Siebentens ist unbedingtes Erfordernis musikalische Ausbildung des Geist¬
lichen, wenigstens bis zu einem gewissen Grade. Soll er nicht imstande sein,
den Kantor und den Organisten zu kontroliren? Soll er allein privilegirt
sein, schlecht und falsch zu singen? kein Urteil über das kirchlich-musikalische
Bedürfnis der Gemeinde haben? Denn verhehlen wir es uns nicht: die gegen¬
wärtig auf der Universität betriebenen "liturgischen Übungen" sind Farce -- ein
Kinderspott in den Augen und Ohren des letzten Dorfkantors.

Über dies alles aber sollte man mehr und mehr den Grundsatz anerkennen
und würdigen: Musikalische Bildung ist nicht allein eine sehr erfreuliche und
wünschenswerte Beigabe fürs Leben, sondern, sofern wir in ihr einen der
mächtigsten Faktoren zur Erzielung ästhetischer Urteilsfähigkeit und zur Gründung
eines ausgiebigen Gemütsfonds erblicken, auch eine sehr notwendige -- not¬
wendig an erster Stelle natürlich für Kirchendiener jeden Ranges, notwendig
ferner für die Gesamtheit derer, welche mich aus dem kirchlichen Kultus kirch¬
liche Gesinnung schöpfen sollen, notwendig endlich für die Genossen eines
Volksstammes, der berufen erscheint, sich vor seinen Nachbarn noch durch etwas
höheres auszuzeichnen als durch die Kraft seiner Fäuste.


6. Anteil der Vrgel.

Und der Anteil der Orgel? Man nennt die Orgel eine Königin unter
den Instrumenten. Sie ist es in mehrfacher Beziehung: in Anbetracht ihres
Reichtums und der Vollständigkeit der in ihr vereinigten musikalischen Aus¬
stattung. Da, wo sie die verschiedenen Spezialinstrumente nicht ersetzt, syn-


Vor musikalische Gottesdienst der protestantischen Gemeinde.

Drittens müßte wöchentlich mit den vereinigten Klassen einmal Gesang¬
übung in der Kirche abgehalten werden, teils s, og,xs11g,, teils mit Orgel. Ob
die einzelnen Klassen hierzu ebenfalls in der Kirche vorzuüben wären, bliebe wieder
zu erwägen.

Soviel ließe sich auf obligatorischen Wege erreichen.

Viertens müßten aber die zahlreich emporgeschossenen und noch empor¬
schießenden Gesangvereine ihre Intentionen mehr, und nicht nur gelegentlich, der
kirchlichen, auch der Choralmusik zuwenden; die zünftige Liedertafeln steht
ohnehin höherm Aufschwung nur entgegen.

Fünftens müßten Einladungen an die Gemeinde ergehen zur Beteiligung
an Gesangs- (Choral-) Übungen in der Kirche, zunächst unter dem Kantor, mit
oder ohne Ausschluß von passiver Zuhörerschaft. In diesen Stunden könnten
die vom Geistlichen für den nächsten Gottesdienst vorgeschriebenen Melodien
zur Einübung gelangen.

Sechstens müßten feierliche Liturgien, Tedeums u. s. w. eingeübt werden.
Die Kahlheit der neuerdings wieder in ihr Recht eingesetzten Liturgie vermag
namentlich an hohen Festen und vollends bei mangelnder musikalischer Bildung
der Geistlichen uoch wenig zu erwärmen.

Siebentens ist unbedingtes Erfordernis musikalische Ausbildung des Geist¬
lichen, wenigstens bis zu einem gewissen Grade. Soll er nicht imstande sein,
den Kantor und den Organisten zu kontroliren? Soll er allein privilegirt
sein, schlecht und falsch zu singen? kein Urteil über das kirchlich-musikalische
Bedürfnis der Gemeinde haben? Denn verhehlen wir es uns nicht: die gegen¬
wärtig auf der Universität betriebenen „liturgischen Übungen" sind Farce — ein
Kinderspott in den Augen und Ohren des letzten Dorfkantors.

Über dies alles aber sollte man mehr und mehr den Grundsatz anerkennen
und würdigen: Musikalische Bildung ist nicht allein eine sehr erfreuliche und
wünschenswerte Beigabe fürs Leben, sondern, sofern wir in ihr einen der
mächtigsten Faktoren zur Erzielung ästhetischer Urteilsfähigkeit und zur Gründung
eines ausgiebigen Gemütsfonds erblicken, auch eine sehr notwendige — not¬
wendig an erster Stelle natürlich für Kirchendiener jeden Ranges, notwendig
ferner für die Gesamtheit derer, welche mich aus dem kirchlichen Kultus kirch¬
liche Gesinnung schöpfen sollen, notwendig endlich für die Genossen eines
Volksstammes, der berufen erscheint, sich vor seinen Nachbarn noch durch etwas
höheres auszuzeichnen als durch die Kraft seiner Fäuste.


6. Anteil der Vrgel.

Und der Anteil der Orgel? Man nennt die Orgel eine Königin unter
den Instrumenten. Sie ist es in mehrfacher Beziehung: in Anbetracht ihres
Reichtums und der Vollständigkeit der in ihr vereinigten musikalischen Aus¬
stattung. Da, wo sie die verschiedenen Spezialinstrumente nicht ersetzt, syn-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0334" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/155915"/>
            <fw type="header" place="top"> Vor musikalische Gottesdienst der protestantischen Gemeinde.</fw><lb/>
            <p xml:id="ID_1281"> Drittens müßte wöchentlich mit den vereinigten Klassen einmal Gesang¬<lb/>
übung in der Kirche abgehalten werden, teils s, og,xs11g,, teils mit Orgel. Ob<lb/>
die einzelnen Klassen hierzu ebenfalls in der Kirche vorzuüben wären, bliebe wieder<lb/>
zu erwägen.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1282"> Soviel ließe sich auf obligatorischen Wege erreichen.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1283"> Viertens müßten aber die zahlreich emporgeschossenen und noch empor¬<lb/>
schießenden Gesangvereine ihre Intentionen mehr, und nicht nur gelegentlich, der<lb/>
kirchlichen, auch der Choralmusik zuwenden; die zünftige Liedertafeln steht<lb/>
ohnehin höherm Aufschwung nur entgegen.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1284"> Fünftens müßten Einladungen an die Gemeinde ergehen zur Beteiligung<lb/>
an Gesangs- (Choral-) Übungen in der Kirche, zunächst unter dem Kantor, mit<lb/>
oder ohne Ausschluß von passiver Zuhörerschaft. In diesen Stunden könnten<lb/>
die vom Geistlichen für den nächsten Gottesdienst vorgeschriebenen Melodien<lb/>
zur Einübung gelangen.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1285"> Sechstens müßten feierliche Liturgien, Tedeums u. s. w. eingeübt werden.<lb/>
Die Kahlheit der neuerdings wieder in ihr Recht eingesetzten Liturgie vermag<lb/>
namentlich an hohen Festen und vollends bei mangelnder musikalischer Bildung<lb/>
der Geistlichen uoch wenig zu erwärmen.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1286"> Siebentens ist unbedingtes Erfordernis musikalische Ausbildung des Geist¬<lb/>
lichen, wenigstens bis zu einem gewissen Grade. Soll er nicht imstande sein,<lb/>
den Kantor und den Organisten zu kontroliren? Soll er allein privilegirt<lb/>
sein, schlecht und falsch zu singen? kein Urteil über das kirchlich-musikalische<lb/>
Bedürfnis der Gemeinde haben? Denn verhehlen wir es uns nicht: die gegen¬<lb/>
wärtig auf der Universität betriebenen &#x201E;liturgischen Übungen" sind Farce &#x2014; ein<lb/>
Kinderspott in den Augen und Ohren des letzten Dorfkantors.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1287"> Über dies alles aber sollte man mehr und mehr den Grundsatz anerkennen<lb/>
und würdigen: Musikalische Bildung ist nicht allein eine sehr erfreuliche und<lb/>
wünschenswerte Beigabe fürs Leben, sondern, sofern wir in ihr einen der<lb/>
mächtigsten Faktoren zur Erzielung ästhetischer Urteilsfähigkeit und zur Gründung<lb/>
eines ausgiebigen Gemütsfonds erblicken, auch eine sehr notwendige &#x2014; not¬<lb/>
wendig an erster Stelle natürlich für Kirchendiener jeden Ranges, notwendig<lb/>
ferner für die Gesamtheit derer, welche mich aus dem kirchlichen Kultus kirch¬<lb/>
liche Gesinnung schöpfen sollen, notwendig endlich für die Genossen eines<lb/>
Volksstammes, der berufen erscheint, sich vor seinen Nachbarn noch durch etwas<lb/>
höheres auszuzeichnen als durch die Kraft seiner Fäuste.</p><lb/>
          </div>
          <div n="2">
            <head> 6. Anteil der Vrgel.</head><lb/>
            <p xml:id="ID_1288" next="#ID_1289"> Und der Anteil der Orgel? Man nennt die Orgel eine Königin unter<lb/>
den Instrumenten. Sie ist es in mehrfacher Beziehung: in Anbetracht ihres<lb/>
Reichtums und der Vollständigkeit der in ihr vereinigten musikalischen Aus¬<lb/>
stattung. Da, wo sie die verschiedenen Spezialinstrumente nicht ersetzt, syn-</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0334] Vor musikalische Gottesdienst der protestantischen Gemeinde. Drittens müßte wöchentlich mit den vereinigten Klassen einmal Gesang¬ übung in der Kirche abgehalten werden, teils s, og,xs11g,, teils mit Orgel. Ob die einzelnen Klassen hierzu ebenfalls in der Kirche vorzuüben wären, bliebe wieder zu erwägen. Soviel ließe sich auf obligatorischen Wege erreichen. Viertens müßten aber die zahlreich emporgeschossenen und noch empor¬ schießenden Gesangvereine ihre Intentionen mehr, und nicht nur gelegentlich, der kirchlichen, auch der Choralmusik zuwenden; die zünftige Liedertafeln steht ohnehin höherm Aufschwung nur entgegen. Fünftens müßten Einladungen an die Gemeinde ergehen zur Beteiligung an Gesangs- (Choral-) Übungen in der Kirche, zunächst unter dem Kantor, mit oder ohne Ausschluß von passiver Zuhörerschaft. In diesen Stunden könnten die vom Geistlichen für den nächsten Gottesdienst vorgeschriebenen Melodien zur Einübung gelangen. Sechstens müßten feierliche Liturgien, Tedeums u. s. w. eingeübt werden. Die Kahlheit der neuerdings wieder in ihr Recht eingesetzten Liturgie vermag namentlich an hohen Festen und vollends bei mangelnder musikalischer Bildung der Geistlichen uoch wenig zu erwärmen. Siebentens ist unbedingtes Erfordernis musikalische Ausbildung des Geist¬ lichen, wenigstens bis zu einem gewissen Grade. Soll er nicht imstande sein, den Kantor und den Organisten zu kontroliren? Soll er allein privilegirt sein, schlecht und falsch zu singen? kein Urteil über das kirchlich-musikalische Bedürfnis der Gemeinde haben? Denn verhehlen wir es uns nicht: die gegen¬ wärtig auf der Universität betriebenen „liturgischen Übungen" sind Farce — ein Kinderspott in den Augen und Ohren des letzten Dorfkantors. Über dies alles aber sollte man mehr und mehr den Grundsatz anerkennen und würdigen: Musikalische Bildung ist nicht allein eine sehr erfreuliche und wünschenswerte Beigabe fürs Leben, sondern, sofern wir in ihr einen der mächtigsten Faktoren zur Erzielung ästhetischer Urteilsfähigkeit und zur Gründung eines ausgiebigen Gemütsfonds erblicken, auch eine sehr notwendige — not¬ wendig an erster Stelle natürlich für Kirchendiener jeden Ranges, notwendig ferner für die Gesamtheit derer, welche mich aus dem kirchlichen Kultus kirch¬ liche Gesinnung schöpfen sollen, notwendig endlich für die Genossen eines Volksstammes, der berufen erscheint, sich vor seinen Nachbarn noch durch etwas höheres auszuzeichnen als durch die Kraft seiner Fäuste. 6. Anteil der Vrgel. Und der Anteil der Orgel? Man nennt die Orgel eine Königin unter den Instrumenten. Sie ist es in mehrfacher Beziehung: in Anbetracht ihres Reichtums und der Vollständigkeit der in ihr vereinigten musikalischen Aus¬ stattung. Da, wo sie die verschiedenen Spezialinstrumente nicht ersetzt, syn-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_158166
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_158166/334
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_158166/334>, abgerufen am 02.05.2024.