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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal.

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Neu-Frankreich.

dieser Ansicht spricht der Wahnwitz des Fanatikers. Wahrlich, wenn die Ge¬
sellschaft dagegen in Empörung aufwallt und ihre verbrecherischen Angreifer
niederschlägt, so ist sie in ihrem Recht.

Daß Mittel solcher Art nicht zum Ziele führen, ist zu offenbar. Es ist
daher nicht zu verwundern, daß die spätere deutsche Sozialdemokratie derartige
Vorschläge von der Hand gewiesen hat.




Neu-Frankreich.

er jüngst verstorbene Turgenjew giebt in seinem Romane ..Neu¬
land" eine getreue Schilderung der Zustände und Bewegungen
des heutigen Rußlands, der neuen Generation in ihren Gegen¬
sätzen zu dem streng nationalen Charakter der früheren Zeiten
und Geschlechter. Ein Werk dieser Art, eine Schilderung des
modernen Frankreichs, ist unter dein "Neu-Frankreich" unsrer Überschrift nicht
zu verstehen. Vielmehr handelt es sich um ein neues Frankreich, das fern vom
Mutterlande als eine Rivalin desselben erstehen sollte, das aber die Hoffnungen,
welche auf seine Entwicklung von verschiednen Seiten gesetzt wurden, schmählich
getäuscht hat.

"Neu-Frankreich" ist nichts als eine Gründung in der Weise der Gründungen
unsrer Schwindelperiode, und es unterscheidet sich von diesen allein dadurch, daß
die Reklamen nur noch phantastischer, die Wertlosigkeit des in Betracht kommenden
Gegenstandes noch größer war als bei den Gründungen gewöhnlichen Schlages.
Daß trotzdem der Erfolg der Spekulation ein bedeutender gewesen ist, wenn auch nur
für den Unternehmer, erklärt sich daraus, daß bei der großen Entfernung "Neu-
Frankreichs" eine Prüfung der thatsächlichen Verhältnisse nicht möglich war, und
daß jedwede Kolouialunternehmung zu allen Zeiten etwas besonders verlockendes
gehabt hat. Es mag sein, daß für Frankreich, das thatsächlich im Besitze wert¬
voller Kolonien ist. eine Handelsgesellschaft für Ausbeutung und Kolonisirung
überseeischer Ländereien bei richtiger Anlage und geschickter Leitung wirklich großen
Erfolg haben könnte, es mag auch sein, daß dem sanguinischen Volkscharakter
der Franzose" eine solche romantische oder phantastische Unternehmung besonders
zusagt. Thatsache ist es jedoch, daß auch in Deutschland für Kolonialpolitik außer-
ordentlich viel Interesse und Sympathie vorhanden ist, wie sich bei verschiednen
Gelegenheiten gezeigt hat.

Als Ausgangspunkt für die große Unternehmung, die unter dem Namen
"Neu-Frankreich" geplant wurde und durch ein eignes zu Marseille erscheinendes
Journal dieses Namens gefördert werden sollte, diente Port-Breton im Süden


Grenzboten I. 1334. LZ
Neu-Frankreich.

dieser Ansicht spricht der Wahnwitz des Fanatikers. Wahrlich, wenn die Ge¬
sellschaft dagegen in Empörung aufwallt und ihre verbrecherischen Angreifer
niederschlägt, so ist sie in ihrem Recht.

Daß Mittel solcher Art nicht zum Ziele führen, ist zu offenbar. Es ist
daher nicht zu verwundern, daß die spätere deutsche Sozialdemokratie derartige
Vorschläge von der Hand gewiesen hat.




Neu-Frankreich.

er jüngst verstorbene Turgenjew giebt in seinem Romane ..Neu¬
land" eine getreue Schilderung der Zustände und Bewegungen
des heutigen Rußlands, der neuen Generation in ihren Gegen¬
sätzen zu dem streng nationalen Charakter der früheren Zeiten
und Geschlechter. Ein Werk dieser Art, eine Schilderung des
modernen Frankreichs, ist unter dein „Neu-Frankreich" unsrer Überschrift nicht
zu verstehen. Vielmehr handelt es sich um ein neues Frankreich, das fern vom
Mutterlande als eine Rivalin desselben erstehen sollte, das aber die Hoffnungen,
welche auf seine Entwicklung von verschiednen Seiten gesetzt wurden, schmählich
getäuscht hat.

„Neu-Frankreich" ist nichts als eine Gründung in der Weise der Gründungen
unsrer Schwindelperiode, und es unterscheidet sich von diesen allein dadurch, daß
die Reklamen nur noch phantastischer, die Wertlosigkeit des in Betracht kommenden
Gegenstandes noch größer war als bei den Gründungen gewöhnlichen Schlages.
Daß trotzdem der Erfolg der Spekulation ein bedeutender gewesen ist, wenn auch nur
für den Unternehmer, erklärt sich daraus, daß bei der großen Entfernung „Neu-
Frankreichs" eine Prüfung der thatsächlichen Verhältnisse nicht möglich war, und
daß jedwede Kolouialunternehmung zu allen Zeiten etwas besonders verlockendes
gehabt hat. Es mag sein, daß für Frankreich, das thatsächlich im Besitze wert¬
voller Kolonien ist. eine Handelsgesellschaft für Ausbeutung und Kolonisirung
überseeischer Ländereien bei richtiger Anlage und geschickter Leitung wirklich großen
Erfolg haben könnte, es mag auch sein, daß dem sanguinischen Volkscharakter
der Franzose» eine solche romantische oder phantastische Unternehmung besonders
zusagt. Thatsache ist es jedoch, daß auch in Deutschland für Kolonialpolitik außer-
ordentlich viel Interesse und Sympathie vorhanden ist, wie sich bei verschiednen
Gelegenheiten gezeigt hat.

Als Ausgangspunkt für die große Unternehmung, die unter dem Namen
„Neu-Frankreich" geplant wurde und durch ein eignes zu Marseille erscheinendes
Journal dieses Namens gefördert werden sollte, diente Port-Breton im Süden


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[0267] Neu-Frankreich. dieser Ansicht spricht der Wahnwitz des Fanatikers. Wahrlich, wenn die Ge¬ sellschaft dagegen in Empörung aufwallt und ihre verbrecherischen Angreifer niederschlägt, so ist sie in ihrem Recht. Daß Mittel solcher Art nicht zum Ziele führen, ist zu offenbar. Es ist daher nicht zu verwundern, daß die spätere deutsche Sozialdemokratie derartige Vorschläge von der Hand gewiesen hat. Neu-Frankreich. er jüngst verstorbene Turgenjew giebt in seinem Romane ..Neu¬ land" eine getreue Schilderung der Zustände und Bewegungen des heutigen Rußlands, der neuen Generation in ihren Gegen¬ sätzen zu dem streng nationalen Charakter der früheren Zeiten und Geschlechter. Ein Werk dieser Art, eine Schilderung des modernen Frankreichs, ist unter dein „Neu-Frankreich" unsrer Überschrift nicht zu verstehen. Vielmehr handelt es sich um ein neues Frankreich, das fern vom Mutterlande als eine Rivalin desselben erstehen sollte, das aber die Hoffnungen, welche auf seine Entwicklung von verschiednen Seiten gesetzt wurden, schmählich getäuscht hat. „Neu-Frankreich" ist nichts als eine Gründung in der Weise der Gründungen unsrer Schwindelperiode, und es unterscheidet sich von diesen allein dadurch, daß die Reklamen nur noch phantastischer, die Wertlosigkeit des in Betracht kommenden Gegenstandes noch größer war als bei den Gründungen gewöhnlichen Schlages. Daß trotzdem der Erfolg der Spekulation ein bedeutender gewesen ist, wenn auch nur für den Unternehmer, erklärt sich daraus, daß bei der großen Entfernung „Neu- Frankreichs" eine Prüfung der thatsächlichen Verhältnisse nicht möglich war, und daß jedwede Kolouialunternehmung zu allen Zeiten etwas besonders verlockendes gehabt hat. Es mag sein, daß für Frankreich, das thatsächlich im Besitze wert¬ voller Kolonien ist. eine Handelsgesellschaft für Ausbeutung und Kolonisirung überseeischer Ländereien bei richtiger Anlage und geschickter Leitung wirklich großen Erfolg haben könnte, es mag auch sein, daß dem sanguinischen Volkscharakter der Franzose» eine solche romantische oder phantastische Unternehmung besonders zusagt. Thatsache ist es jedoch, daß auch in Deutschland für Kolonialpolitik außer- ordentlich viel Interesse und Sympathie vorhanden ist, wie sich bei verschiednen Gelegenheiten gezeigt hat. Als Ausgangspunkt für die große Unternehmung, die unter dem Namen „Neu-Frankreich" geplant wurde und durch ein eignes zu Marseille erscheinendes Journal dieses Namens gefördert werden sollte, diente Port-Breton im Süden Grenzboten I. 1334. LZ

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_158199/267>, abgerufen am 04.05.2024.