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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal.

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stamme, die nun doch eben miteinander auskommen müssen und nicht eher den
Frieden finden werden, als bis beide die historisch gewordenen Bedingungen
ihrer Existenz rückhaltlos anerkennen.


Gelo Raemmel.


Neue Erzählungen von Wilhelm Raabe.

er weltflüchtige Idealismus und weltdurchbeizendc Humor sind
also nur die zwei Seiten eines Kontrastes, beide schärfen sich an¬
einander, es sind zwei Negationen, die in steter Unruhe einander
setzen und aufheben. Jean Paul kennt allerdings auch eine Ver¬
söhnung: er steigt herab von seiner Höhe in das kleine Lerchcn-
nest, die Hütte, wo gute, beschränkte, kindliche Menschen Hausen, mit Blutwenigem
beglückt; die beißende Satire wird z"in liebevollen Humor, der den heiteren
Kontrast innerer Seligkeit mit dem unendlich Kleinen, was ihr genügt, sich
Königen gleich zu träumen, mit mikroskopischem Auge und mit dem Lächeln des
innigsten Gemütes auffindet und anschaut. Es ist dies der zweite unter den
drei Wegen zum Glücke, die Jean Paul in der bekannten Vorrede zum "Quintus
Fixlein" aufzählt; der erste ist der des weltverachtenden Idealismus, der nicht
den freien Humor, nur die Satire begründet; als dritter wird genannt: mit
den beiden andern wechseln, und gerade hier verrät Jean Paul die große Lücke
seiner Weltanschauung. Mau erwartet, er werde als dritte" aufführen: Ent¬
faltung, Ausdehnung des cngbegrenzten Humors der gemütlichen Idylle, also
eben des zweiten unter den drei Wegen, auf das Ganze des Lebens, Ncst-
machcn auch im großen, daß es uns wohl werde in der weiten Welt trotz ihren
Mängeln."

Ausdehnung des begrenzten Humors der Idylle -- auf das Ganze des
Lebens -- Nestmachcu im großen -- daß es uns wohl werde in der weiten
Welt, trotz ihren Mängeln -- wahrlich, wir wüßten keine bezeichnenderen Worte
für die Grundstimmung, aus der die zwei neuesten Erzählungen Wilhelm
Naabes") erwachsen sind, als diese eben angeführten, welche wir einem Aufsatze
des sprachgcwaltigeu Meisters der Kritik, Fr. Th. Bischer, über Jean Paul^)
entnommen haben.




*) Villa Schönow. Eine Erzählung. Braunschweig, Westermann, 1334. Pfisters
Mühle. Ein Sommcrferienhcft. Leipzig, Gmnow, 1334.
**) Kritische Gänge. N. F. Sechstes Heft. S. 14S-47.

stamme, die nun doch eben miteinander auskommen müssen und nicht eher den
Frieden finden werden, als bis beide die historisch gewordenen Bedingungen
ihrer Existenz rückhaltlos anerkennen.


Gelo Raemmel.


Neue Erzählungen von Wilhelm Raabe.

er weltflüchtige Idealismus und weltdurchbeizendc Humor sind
also nur die zwei Seiten eines Kontrastes, beide schärfen sich an¬
einander, es sind zwei Negationen, die in steter Unruhe einander
setzen und aufheben. Jean Paul kennt allerdings auch eine Ver¬
söhnung: er steigt herab von seiner Höhe in das kleine Lerchcn-
nest, die Hütte, wo gute, beschränkte, kindliche Menschen Hausen, mit Blutwenigem
beglückt; die beißende Satire wird z»in liebevollen Humor, der den heiteren
Kontrast innerer Seligkeit mit dem unendlich Kleinen, was ihr genügt, sich
Königen gleich zu träumen, mit mikroskopischem Auge und mit dem Lächeln des
innigsten Gemütes auffindet und anschaut. Es ist dies der zweite unter den
drei Wegen zum Glücke, die Jean Paul in der bekannten Vorrede zum „Quintus
Fixlein" aufzählt; der erste ist der des weltverachtenden Idealismus, der nicht
den freien Humor, nur die Satire begründet; als dritter wird genannt: mit
den beiden andern wechseln, und gerade hier verrät Jean Paul die große Lücke
seiner Weltanschauung. Mau erwartet, er werde als dritte» aufführen: Ent¬
faltung, Ausdehnung des cngbegrenzten Humors der gemütlichen Idylle, also
eben des zweiten unter den drei Wegen, auf das Ganze des Lebens, Ncst-
machcn auch im großen, daß es uns wohl werde in der weiten Welt trotz ihren
Mängeln."

Ausdehnung des begrenzten Humors der Idylle — auf das Ganze des
Lebens — Nestmachcu im großen — daß es uns wohl werde in der weiten
Welt, trotz ihren Mängeln — wahrlich, wir wüßten keine bezeichnenderen Worte
für die Grundstimmung, aus der die zwei neuesten Erzählungen Wilhelm
Naabes") erwachsen sind, als diese eben angeführten, welche wir einem Aufsatze
des sprachgcwaltigeu Meisters der Kritik, Fr. Th. Bischer, über Jean Paul^)
entnommen haben.




*) Villa Schönow. Eine Erzählung. Braunschweig, Westermann, 1334. Pfisters
Mühle. Ein Sommcrferienhcft. Leipzig, Gmnow, 1334.
**) Kritische Gänge. N. F. Sechstes Heft. S. 14S-47.
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[0243] stamme, die nun doch eben miteinander auskommen müssen und nicht eher den Frieden finden werden, als bis beide die historisch gewordenen Bedingungen ihrer Existenz rückhaltlos anerkennen. Gelo Raemmel. Neue Erzählungen von Wilhelm Raabe. er weltflüchtige Idealismus und weltdurchbeizendc Humor sind also nur die zwei Seiten eines Kontrastes, beide schärfen sich an¬ einander, es sind zwei Negationen, die in steter Unruhe einander setzen und aufheben. Jean Paul kennt allerdings auch eine Ver¬ söhnung: er steigt herab von seiner Höhe in das kleine Lerchcn- nest, die Hütte, wo gute, beschränkte, kindliche Menschen Hausen, mit Blutwenigem beglückt; die beißende Satire wird z»in liebevollen Humor, der den heiteren Kontrast innerer Seligkeit mit dem unendlich Kleinen, was ihr genügt, sich Königen gleich zu träumen, mit mikroskopischem Auge und mit dem Lächeln des innigsten Gemütes auffindet und anschaut. Es ist dies der zweite unter den drei Wegen zum Glücke, die Jean Paul in der bekannten Vorrede zum „Quintus Fixlein" aufzählt; der erste ist der des weltverachtenden Idealismus, der nicht den freien Humor, nur die Satire begründet; als dritter wird genannt: mit den beiden andern wechseln, und gerade hier verrät Jean Paul die große Lücke seiner Weltanschauung. Mau erwartet, er werde als dritte» aufführen: Ent¬ faltung, Ausdehnung des cngbegrenzten Humors der gemütlichen Idylle, also eben des zweiten unter den drei Wegen, auf das Ganze des Lebens, Ncst- machcn auch im großen, daß es uns wohl werde in der weiten Welt trotz ihren Mängeln." Ausdehnung des begrenzten Humors der Idylle — auf das Ganze des Lebens — Nestmachcu im großen — daß es uns wohl werde in der weiten Welt, trotz ihren Mängeln — wahrlich, wir wüßten keine bezeichnenderen Worte für die Grundstimmung, aus der die zwei neuesten Erzählungen Wilhelm Naabes") erwachsen sind, als diese eben angeführten, welche wir einem Aufsatze des sprachgcwaltigeu Meisters der Kritik, Fr. Th. Bischer, über Jean Paul^) entnommen haben. *) Villa Schönow. Eine Erzählung. Braunschweig, Westermann, 1334. Pfisters Mühle. Ein Sommcrferienhcft. Leipzig, Gmnow, 1334. **) Kritische Gänge. N. F. Sechstes Heft. S. 14S-47.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_194675/243>, abgerufen am 01.05.2024.