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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal.

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Karl der Fünfte "ut die deutsche Nation.

Schließlich die Bemerkung, daß Deutschland in dieser Frage keinerlei Anlaß
zur Einmischung hat, da unser Interesse von ihr nicht berührt wird, auch nicht
berührt werden kann. Man wird in Berlin vermutlich eine Meinung aus-
spreche", wenn man darum angegangen wird, vielleicht auch einen Rat erteilen,
wenn eine der beiden Parteien einen solchen verlangt. Jrgendetwas weiteres
zu gewähren, verböte bis auf weiteres unser Interesse und unsre Stellung, die
zu beiden Parteien eine freundschaftliche ist, wenn auch die englische Freundschaft
leichter wiegen mag als die russische.




Karl der Fünfte und die deutsche Nation.

Und wieder schwankt die ernste Wage,
Der alte Kampf belebt sich neu --

u diese Worte des Dichters fühlt mau sich unwillkürlich erinnert,
wenn man beobachtet, wie in unserm Tagen aufs neue mit
steigendem Eifer und oft anch steigender Leidenschaft dieselbe
Frage verhandelt wird, die vor dreinndeinemhalbcn Jahrhundert
die Nation bewegte und in zwei feindliche Lager schied, die
Frage: Ist die Reformation nicht richtiger eine Deformation der Kirche zu
nennen? Ist das Werk, das Luther begann, aus Gott gethan oder aus dem
Satan? Ist es zum Wohle der deutschen Nation unternommen worden oder
zu deren Verderben?

Es ist nicht unsre Absicht, auf diese Streitfrage hier einzugehen, die für
uns freilich keine mehr ist. Wir wollen vielmehr in den Grenzen objektivster
Betrachtung bleiben und den Blick lediglich auf den Mann richten, der damals
am Steuerruder der Nation stand, und die Lage klar machen, in welcher sich
beide, Volk und Kaiser, durch ihre Verbindung befanden.

Gewiß entsprang die Gcihrung, welche am Anfange des sechzehnten Jahr¬
hunderts in unserm Volke herrschte, nicht lediglich religiösen Ursachen. Sie
hatte vielmehr ebensowohl soziale und politische Gründe. Der kolossale Umschwung,
den die Folgen der Conquista in den wirtschaftlichen Verhältnissen Westeuropas
hervorzubringen anfingen, die gleichzeitige Preissteigerung, welche aus der Über¬
produktion von Edelmetallen aus deutsche" Bergwerken sich entwickelte: sie
erzeugte" in weiten Kreisen, wo man sich den veränderten Dingen nicht so schnell
anzupassen vermochte, erhebliche Mißstimmung; der Adel, welcher mit den


Karl der Fünfte »ut die deutsche Nation.

Schließlich die Bemerkung, daß Deutschland in dieser Frage keinerlei Anlaß
zur Einmischung hat, da unser Interesse von ihr nicht berührt wird, auch nicht
berührt werden kann. Man wird in Berlin vermutlich eine Meinung aus-
spreche», wenn man darum angegangen wird, vielleicht auch einen Rat erteilen,
wenn eine der beiden Parteien einen solchen verlangt. Jrgendetwas weiteres
zu gewähren, verböte bis auf weiteres unser Interesse und unsre Stellung, die
zu beiden Parteien eine freundschaftliche ist, wenn auch die englische Freundschaft
leichter wiegen mag als die russische.




Karl der Fünfte und die deutsche Nation.

Und wieder schwankt die ernste Wage,
Der alte Kampf belebt sich neu —

u diese Worte des Dichters fühlt mau sich unwillkürlich erinnert,
wenn man beobachtet, wie in unserm Tagen aufs neue mit
steigendem Eifer und oft anch steigender Leidenschaft dieselbe
Frage verhandelt wird, die vor dreinndeinemhalbcn Jahrhundert
die Nation bewegte und in zwei feindliche Lager schied, die
Frage: Ist die Reformation nicht richtiger eine Deformation der Kirche zu
nennen? Ist das Werk, das Luther begann, aus Gott gethan oder aus dem
Satan? Ist es zum Wohle der deutschen Nation unternommen worden oder
zu deren Verderben?

Es ist nicht unsre Absicht, auf diese Streitfrage hier einzugehen, die für
uns freilich keine mehr ist. Wir wollen vielmehr in den Grenzen objektivster
Betrachtung bleiben und den Blick lediglich auf den Mann richten, der damals
am Steuerruder der Nation stand, und die Lage klar machen, in welcher sich
beide, Volk und Kaiser, durch ihre Verbindung befanden.

Gewiß entsprang die Gcihrung, welche am Anfange des sechzehnten Jahr¬
hunderts in unserm Volke herrschte, nicht lediglich religiösen Ursachen. Sie
hatte vielmehr ebensowohl soziale und politische Gründe. Der kolossale Umschwung,
den die Folgen der Conquista in den wirtschaftlichen Verhältnissen Westeuropas
hervorzubringen anfingen, die gleichzeitige Preissteigerung, welche aus der Über¬
produktion von Edelmetallen aus deutsche» Bergwerken sich entwickelte: sie
erzeugte» in weiten Kreisen, wo man sich den veränderten Dingen nicht so schnell
anzupassen vermochte, erhebliche Mißstimmung; der Adel, welcher mit den


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[0668] Karl der Fünfte »ut die deutsche Nation. Schließlich die Bemerkung, daß Deutschland in dieser Frage keinerlei Anlaß zur Einmischung hat, da unser Interesse von ihr nicht berührt wird, auch nicht berührt werden kann. Man wird in Berlin vermutlich eine Meinung aus- spreche», wenn man darum angegangen wird, vielleicht auch einen Rat erteilen, wenn eine der beiden Parteien einen solchen verlangt. Jrgendetwas weiteres zu gewähren, verböte bis auf weiteres unser Interesse und unsre Stellung, die zu beiden Parteien eine freundschaftliche ist, wenn auch die englische Freundschaft leichter wiegen mag als die russische. Karl der Fünfte und die deutsche Nation. Und wieder schwankt die ernste Wage, Der alte Kampf belebt sich neu — u diese Worte des Dichters fühlt mau sich unwillkürlich erinnert, wenn man beobachtet, wie in unserm Tagen aufs neue mit steigendem Eifer und oft anch steigender Leidenschaft dieselbe Frage verhandelt wird, die vor dreinndeinemhalbcn Jahrhundert die Nation bewegte und in zwei feindliche Lager schied, die Frage: Ist die Reformation nicht richtiger eine Deformation der Kirche zu nennen? Ist das Werk, das Luther begann, aus Gott gethan oder aus dem Satan? Ist es zum Wohle der deutschen Nation unternommen worden oder zu deren Verderben? Es ist nicht unsre Absicht, auf diese Streitfrage hier einzugehen, die für uns freilich keine mehr ist. Wir wollen vielmehr in den Grenzen objektivster Betrachtung bleiben und den Blick lediglich auf den Mann richten, der damals am Steuerruder der Nation stand, und die Lage klar machen, in welcher sich beide, Volk und Kaiser, durch ihre Verbindung befanden. Gewiß entsprang die Gcihrung, welche am Anfange des sechzehnten Jahr¬ hunderts in unserm Volke herrschte, nicht lediglich religiösen Ursachen. Sie hatte vielmehr ebensowohl soziale und politische Gründe. Der kolossale Umschwung, den die Folgen der Conquista in den wirtschaftlichen Verhältnissen Westeuropas hervorzubringen anfingen, die gleichzeitige Preissteigerung, welche aus der Über¬ produktion von Edelmetallen aus deutsche» Bergwerken sich entwickelte: sie erzeugte» in weiten Kreisen, wo man sich den veränderten Dingen nicht so schnell anzupassen vermochte, erhebliche Mißstimmung; der Adel, welcher mit den

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_194675/668>, abgerufen am 01.05.2024.