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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal.

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Anzengrubers Schandfleck.

le Leni geht also nicht in die Stadt -- darin besteht die Um¬
arbeitung, der Anzengruber sein Werk unterzogen hat,*) Für
diejenige", welche ihn und diesen seinen ersten Roman kennen,
ist mit dieser Mitteilung schon viel gesagt. Es ist merkwürdig,
wie sehr dieser Dichter an den Boden, aus dem er es zu seiner
nunmehr rückhaltlos anerkannten Bedeutung und seinen Erfolgen als Drama¬
tiker gebracht hat, gebunden ist. Ein Meister ersten Ranges in der Schilderung
des Dorflebens und der Baucrncharaktere, ist er schwach, rhetorisch und ver¬
schwommen idealistisch, wenn er den Städter schildern will. Es ist, als wenn
sein ganzes Denken und seine ganze Weltanschauung nur in solchen Formen
den ihnen angemessenen Ausdruck finden könnte, welche aus den Verhältnissen
des bäuerlichen Lebens stammen. Wo er den Gegensatz zwischen der rein
praktischen Einsicht des Bauernphilosophen in alle menschlichen Dinge hervor¬
heben kann gegen die jeder Wirklichkeit fremden spiritualistischen, spezifisch ka¬
tholischen Lehren, da ist Anzengruber unerschöpflich an geistvollen Aussprüchen;
jede andre Form, als diese Antithese, ist nicht die seinige. "Rcindvrfer, sagte
der Pfarrer, Sein Weib ist nun mit Gott versöhnt, aber ehe ich ihr das heilige
Abendmahl reiche, begehrt sie noch Seine Verzeihung für all das, womit sie
sich gegen Ihn versündigt hat. Neindorfer, Er ist ein Christ, habe ich es nötig
Ihm viele Worte zu machen?" -- "Nein, Hochwürden, dasselbe ist nicht not.
Sie hat schon recht, wenn sie das begehrt, denn unser Herrgott nimmt die
Dinge wohl nicht so auf wie ein Mensch, und darum ist es gut, mau verlangt
auch den Meuscheu ihre Verzeihung ab!" . . . Das ist ein charakteristisches
Beispiel für Anzengrubers Denkart. Der Bauer ist in Wahrheit klüger als
der Pfarrer; aber er hat nicht die Kraft, diesem auf theologischen Gebiete po¬
lemisch zu folgen; er läßt daher Gott Gott sein, bringt ihm seine vorgeschriebene
Huldigung dar, aber im übrigen folgt er seinem eignen Gesetze. Diesen Gegen¬
satz darzustellen, sei es unmittelbar als solchen, wo er dann als Konflikt
zwischen den Geboten der Kirche und denen des reinen Menschentums, oder
mir die eine Hälfte, wohl die poetischere, wo dann nur menschliche Schuld und
Sühne geschildert wird: das ist das immer variirte Problem der Unzen-



*) Der Schandfleck, Eine Dorfgeschichte von Ludwig Anzengruber. Neue um¬
gearbeitete Ausgabe, Zwei Teile, Leipzig, Breitkopf und Httrtel, 1884.
Anzengrubers Schandfleck.

le Leni geht also nicht in die Stadt — darin besteht die Um¬
arbeitung, der Anzengruber sein Werk unterzogen hat,*) Für
diejenige», welche ihn und diesen seinen ersten Roman kennen,
ist mit dieser Mitteilung schon viel gesagt. Es ist merkwürdig,
wie sehr dieser Dichter an den Boden, aus dem er es zu seiner
nunmehr rückhaltlos anerkannten Bedeutung und seinen Erfolgen als Drama¬
tiker gebracht hat, gebunden ist. Ein Meister ersten Ranges in der Schilderung
des Dorflebens und der Baucrncharaktere, ist er schwach, rhetorisch und ver¬
schwommen idealistisch, wenn er den Städter schildern will. Es ist, als wenn
sein ganzes Denken und seine ganze Weltanschauung nur in solchen Formen
den ihnen angemessenen Ausdruck finden könnte, welche aus den Verhältnissen
des bäuerlichen Lebens stammen. Wo er den Gegensatz zwischen der rein
praktischen Einsicht des Bauernphilosophen in alle menschlichen Dinge hervor¬
heben kann gegen die jeder Wirklichkeit fremden spiritualistischen, spezifisch ka¬
tholischen Lehren, da ist Anzengruber unerschöpflich an geistvollen Aussprüchen;
jede andre Form, als diese Antithese, ist nicht die seinige. „Rcindvrfer, sagte
der Pfarrer, Sein Weib ist nun mit Gott versöhnt, aber ehe ich ihr das heilige
Abendmahl reiche, begehrt sie noch Seine Verzeihung für all das, womit sie
sich gegen Ihn versündigt hat. Neindorfer, Er ist ein Christ, habe ich es nötig
Ihm viele Worte zu machen?" — „Nein, Hochwürden, dasselbe ist nicht not.
Sie hat schon recht, wenn sie das begehrt, denn unser Herrgott nimmt die
Dinge wohl nicht so auf wie ein Mensch, und darum ist es gut, mau verlangt
auch den Meuscheu ihre Verzeihung ab!" . . . Das ist ein charakteristisches
Beispiel für Anzengrubers Denkart. Der Bauer ist in Wahrheit klüger als
der Pfarrer; aber er hat nicht die Kraft, diesem auf theologischen Gebiete po¬
lemisch zu folgen; er läßt daher Gott Gott sein, bringt ihm seine vorgeschriebene
Huldigung dar, aber im übrigen folgt er seinem eignen Gesetze. Diesen Gegen¬
satz darzustellen, sei es unmittelbar als solchen, wo er dann als Konflikt
zwischen den Geboten der Kirche und denen des reinen Menschentums, oder
mir die eine Hälfte, wohl die poetischere, wo dann nur menschliche Schuld und
Sühne geschildert wird: das ist das immer variirte Problem der Unzen-



*) Der Schandfleck, Eine Dorfgeschichte von Ludwig Anzengruber. Neue um¬
gearbeitete Ausgabe, Zwei Teile, Leipzig, Breitkopf und Httrtel, 1884.
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[0096] Anzengrubers Schandfleck. le Leni geht also nicht in die Stadt — darin besteht die Um¬ arbeitung, der Anzengruber sein Werk unterzogen hat,*) Für diejenige», welche ihn und diesen seinen ersten Roman kennen, ist mit dieser Mitteilung schon viel gesagt. Es ist merkwürdig, wie sehr dieser Dichter an den Boden, aus dem er es zu seiner nunmehr rückhaltlos anerkannten Bedeutung und seinen Erfolgen als Drama¬ tiker gebracht hat, gebunden ist. Ein Meister ersten Ranges in der Schilderung des Dorflebens und der Baucrncharaktere, ist er schwach, rhetorisch und ver¬ schwommen idealistisch, wenn er den Städter schildern will. Es ist, als wenn sein ganzes Denken und seine ganze Weltanschauung nur in solchen Formen den ihnen angemessenen Ausdruck finden könnte, welche aus den Verhältnissen des bäuerlichen Lebens stammen. Wo er den Gegensatz zwischen der rein praktischen Einsicht des Bauernphilosophen in alle menschlichen Dinge hervor¬ heben kann gegen die jeder Wirklichkeit fremden spiritualistischen, spezifisch ka¬ tholischen Lehren, da ist Anzengruber unerschöpflich an geistvollen Aussprüchen; jede andre Form, als diese Antithese, ist nicht die seinige. „Rcindvrfer, sagte der Pfarrer, Sein Weib ist nun mit Gott versöhnt, aber ehe ich ihr das heilige Abendmahl reiche, begehrt sie noch Seine Verzeihung für all das, womit sie sich gegen Ihn versündigt hat. Neindorfer, Er ist ein Christ, habe ich es nötig Ihm viele Worte zu machen?" — „Nein, Hochwürden, dasselbe ist nicht not. Sie hat schon recht, wenn sie das begehrt, denn unser Herrgott nimmt die Dinge wohl nicht so auf wie ein Mensch, und darum ist es gut, mau verlangt auch den Meuscheu ihre Verzeihung ab!" . . . Das ist ein charakteristisches Beispiel für Anzengrubers Denkart. Der Bauer ist in Wahrheit klüger als der Pfarrer; aber er hat nicht die Kraft, diesem auf theologischen Gebiete po¬ lemisch zu folgen; er läßt daher Gott Gott sein, bringt ihm seine vorgeschriebene Huldigung dar, aber im übrigen folgt er seinem eignen Gesetze. Diesen Gegen¬ satz darzustellen, sei es unmittelbar als solchen, wo er dann als Konflikt zwischen den Geboten der Kirche und denen des reinen Menschentums, oder mir die eine Hälfte, wohl die poetischere, wo dann nur menschliche Schuld und Sühne geschildert wird: das ist das immer variirte Problem der Unzen- *) Der Schandfleck, Eine Dorfgeschichte von Ludwig Anzengruber. Neue um¬ gearbeitete Ausgabe, Zwei Teile, Leipzig, Breitkopf und Httrtel, 1884.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_194675/96>, abgerufen am 30.04.2024.