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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal.

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schwingt, sich als Mensch unter Menschen fühlen. Noch nie hat eine Buona-
eolst sich seit dem Regiment der Gouzagas in dem herzoglichen Palast gezeigt.
Ich werde mich ihm zu Füßen werfen, werde für Euch, Vater, werde für meinen
armen gefangenen Giuseppe mit meinem Kopfe bürgen. Haltet mich nicht fest!
schrie sie mit heroisch abweisender Geberde auf, als Marcello ihr den Weg ver¬
treten wollte.

Und sie stürmte hinaus und treppab.




Zweiundvierzigstes Aapitel.

In der Kapelle des heiligen Rochus war von den nicht eben zahlreichen
Ärzten, welche sich dort eingefunden hatten, beschlossen worden, vor allem den
herzoglichen Palast abzusperren; demnächst in allen größern Straßen Holzstöße
zu errichten und sie bis Ave Maria brennend zu erhalten; ferner die Thüren
der durch Pocken verpesteten Häuser mit einem weißen Kreuze zu bemalen;
endlich auch alle Ansteckungsverdächtigen vorsichtig aus der Stadt hinauszu¬
schaffen.

Die letztere Maßregel erwies sich als unausführbar, da niemand das Ge¬
leit solcher Verdächtigen zu übernehmen Lust hatte, die Ansichten über die als
verdächtig geltenden Merkmale derselben auch sehr untereinander abwichen.

Unausführbar war auch die vollständige Absperrung des herzoglichen Pa¬
lastes. Hinein wollte zwar niemand, es sei denn, er gehöre hinein und habe
sich nach dem Ausreißen besonnen, sein Dienst stehe ans dem Spiel. Aber wenn
jemand im Auftrage des Herzogs oder seiner Gemahlin heraus wollte, so ver¬
stand sich's, daß ihn die Wache nicht zurückweisen konnte.

Michel Zollikofer, der alte Stelzfußkommcmdant der kleinen Schweizer Be¬
satzung des Castcllo ti Corte, hatte bei der Kunde von dem Desertiren der wel¬
schen Schloßwache sich sofort in seine Gala-Uniform geworfen, hatte seine riesigen
Hcllebardire darauf durch eine wohlgesetzte untcrwaldnerischc Ansprache über die
verdienstliche und garnicht allzu gefährliche Aufgabe, welche ihrer harre, belehrt
und war darauf unter Trompetengeschmetter mit ihnen vor den Haupteingang
marschirt, wo der Dienst ein gut Teil minder langweilig war als in dem Hofe
des Kastells.

Für den Augenblick freilich war auch selbst für die ziemlich dickfellige Garde
der Anblick der unruhig hin- und herlaufenden Pockenflüchtlinge nicht eben kurz¬
weilig. Die Weiber zumal weinten und jammerten im Chor, so oft die dumpfe
Pestglocke wieder ansetzte, und regten einander durch das Zählen der Schläge,
so wenig diese auch eine Zunahme der Gefahr bedeuten sollten, in immer höherem
Grade auf. Hie und da fielen Personen vor Angst in Krcimpfe. Sogleich hieß
es, sie seien angesteckt, und alles floh sie. bis eine der helfenden Brüderschaften
daherkam und solche Unglückliche einstweilen wenigstens ans dem Krankenwagen


Grenzboten III. 1885. 36

schwingt, sich als Mensch unter Menschen fühlen. Noch nie hat eine Buona-
eolst sich seit dem Regiment der Gouzagas in dem herzoglichen Palast gezeigt.
Ich werde mich ihm zu Füßen werfen, werde für Euch, Vater, werde für meinen
armen gefangenen Giuseppe mit meinem Kopfe bürgen. Haltet mich nicht fest!
schrie sie mit heroisch abweisender Geberde auf, als Marcello ihr den Weg ver¬
treten wollte.

Und sie stürmte hinaus und treppab.




Zweiundvierzigstes Aapitel.

In der Kapelle des heiligen Rochus war von den nicht eben zahlreichen
Ärzten, welche sich dort eingefunden hatten, beschlossen worden, vor allem den
herzoglichen Palast abzusperren; demnächst in allen größern Straßen Holzstöße
zu errichten und sie bis Ave Maria brennend zu erhalten; ferner die Thüren
der durch Pocken verpesteten Häuser mit einem weißen Kreuze zu bemalen;
endlich auch alle Ansteckungsverdächtigen vorsichtig aus der Stadt hinauszu¬
schaffen.

Die letztere Maßregel erwies sich als unausführbar, da niemand das Ge¬
leit solcher Verdächtigen zu übernehmen Lust hatte, die Ansichten über die als
verdächtig geltenden Merkmale derselben auch sehr untereinander abwichen.

Unausführbar war auch die vollständige Absperrung des herzoglichen Pa¬
lastes. Hinein wollte zwar niemand, es sei denn, er gehöre hinein und habe
sich nach dem Ausreißen besonnen, sein Dienst stehe ans dem Spiel. Aber wenn
jemand im Auftrage des Herzogs oder seiner Gemahlin heraus wollte, so ver¬
stand sich's, daß ihn die Wache nicht zurückweisen konnte.

Michel Zollikofer, der alte Stelzfußkommcmdant der kleinen Schweizer Be¬
satzung des Castcllo ti Corte, hatte bei der Kunde von dem Desertiren der wel¬
schen Schloßwache sich sofort in seine Gala-Uniform geworfen, hatte seine riesigen
Hcllebardire darauf durch eine wohlgesetzte untcrwaldnerischc Ansprache über die
verdienstliche und garnicht allzu gefährliche Aufgabe, welche ihrer harre, belehrt
und war darauf unter Trompetengeschmetter mit ihnen vor den Haupteingang
marschirt, wo der Dienst ein gut Teil minder langweilig war als in dem Hofe
des Kastells.

Für den Augenblick freilich war auch selbst für die ziemlich dickfellige Garde
der Anblick der unruhig hin- und herlaufenden Pockenflüchtlinge nicht eben kurz¬
weilig. Die Weiber zumal weinten und jammerten im Chor, so oft die dumpfe
Pestglocke wieder ansetzte, und regten einander durch das Zählen der Schläge,
so wenig diese auch eine Zunahme der Gefahr bedeuten sollten, in immer höherem
Grade auf. Hie und da fielen Personen vor Angst in Krcimpfe. Sogleich hieß
es, sie seien angesteckt, und alles floh sie. bis eine der helfenden Brüderschaften
daherkam und solche Unglückliche einstweilen wenigstens ans dem Krankenwagen


Grenzboten III. 1885. 36
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196099/289>, abgerufen am 30.04.2024.