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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Erstes Quartal.

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Skizzen aus der Levante und Griechenland,

strengere umfassende Geistesarbeit und allgemeinere Belehrung mit neuer Kraft
regen und geltend machen wird; dann wird auch für die Universalgeschichte,
für historisches und philosophisches Gesamtwissen eine günstigere Zeit anbrechen.
Das historische Wissensgebiet ist nicht wie andre Wissenschaften ausschließlich
den Fachgelehrten zugewiesen; es ist das weite Feld, an dem die ganze gebildete
Welt teilnimmt, aus dem die gesamte denkende und urteilende Menschheit Er¬
kenntnis und Belehrung schöpft über das öffentliche Leben, über die Entwicklung
und Gestaltung der weltbeherrschcnden Ideen und Anliegen, aus dem sie er-
fährt, wie die frühern Geschlechter gekämpft und gerungen, gestrebt und geirrt
haben auf den Wegen des Fortschrittes zur Freiheit, zur irdischen Wohlfahrt,
zu einem menschenwürdigen Dasein, zu einer moralischen Weltordnung. Die
Geschichte ist der geistige Gemeinbesitz aller für die Güter und Errungenschaften
der Zivilisation empfänglichen Seelen. Von ihr gilt im vollsten Maße das
Mink llummri " Älisnunr. Darauf baut die Universalgeschichte ihren Tempel,
der in alle Zukunft fortbestehen wird."




Skizzen aus der Levante und Griechenland.
von H. Scher er. 2.

cire die Vernichtung und Ausrottung der Hellenen so vollständig
gewesen, wie man angenommen hat, so hätte die Sprache un¬
möglich anderthalb tausend Jahre lang ihre Lebenskraft bewahrt
und in der kurzen Zeit der Unabhängigkeit sich nahezu wieder
zu ihrer alten Reinheit durchgearbeitet. Die Ausdehnung, welche
sie in jüngster Zeit über die sämtlichen Provinzen der europäischen und zumal
der asiatischen Türkei gewonnen hat, ist außerordentlich. Nicht allein daß die reine
Aussprache, die grammatikalische Nichtigkeit, die Säuberung von vielen Fremd¬
wörtern, wie sie von der Akademie in Athen ausgehen, von den bessern Ständen
allgemein adoptirt und im Schulunterichte eingeführt werden, es wird auch
von den Südslawen in den Distrikten, wo sie untermischt mit Griechen leben,
wie in Thessalien, Epirus und Mazedonien, das griechische Idiom erlernt und
ihm als Kultursprache der Vorrang vor der einheimischen eingeräumt. Gerade
die Albanesen, in welche unsre Philologen in ihrer theoretischen Rechthaberei
denn wie wenige derselben haben an Ort und Stelle Land und Leute
studirt! -- die Hellenen aufgehen lassen, sind vollkommen assimilirt. Zahlreich
im Lande verbreitet -- Salamis und Eleusis vor den Thoren der Hauptstadt
sind ganz von ihnen bevölkert -- und nnter der türkischen Herrschaft, soweit


Skizzen aus der Levante und Griechenland,

strengere umfassende Geistesarbeit und allgemeinere Belehrung mit neuer Kraft
regen und geltend machen wird; dann wird auch für die Universalgeschichte,
für historisches und philosophisches Gesamtwissen eine günstigere Zeit anbrechen.
Das historische Wissensgebiet ist nicht wie andre Wissenschaften ausschließlich
den Fachgelehrten zugewiesen; es ist das weite Feld, an dem die ganze gebildete
Welt teilnimmt, aus dem die gesamte denkende und urteilende Menschheit Er¬
kenntnis und Belehrung schöpft über das öffentliche Leben, über die Entwicklung
und Gestaltung der weltbeherrschcnden Ideen und Anliegen, aus dem sie er-
fährt, wie die frühern Geschlechter gekämpft und gerungen, gestrebt und geirrt
haben auf den Wegen des Fortschrittes zur Freiheit, zur irdischen Wohlfahrt,
zu einem menschenwürdigen Dasein, zu einer moralischen Weltordnung. Die
Geschichte ist der geistige Gemeinbesitz aller für die Güter und Errungenschaften
der Zivilisation empfänglichen Seelen. Von ihr gilt im vollsten Maße das
Mink llummri » Älisnunr. Darauf baut die Universalgeschichte ihren Tempel,
der in alle Zukunft fortbestehen wird."




Skizzen aus der Levante und Griechenland.
von H. Scher er. 2.

cire die Vernichtung und Ausrottung der Hellenen so vollständig
gewesen, wie man angenommen hat, so hätte die Sprache un¬
möglich anderthalb tausend Jahre lang ihre Lebenskraft bewahrt
und in der kurzen Zeit der Unabhängigkeit sich nahezu wieder
zu ihrer alten Reinheit durchgearbeitet. Die Ausdehnung, welche
sie in jüngster Zeit über die sämtlichen Provinzen der europäischen und zumal
der asiatischen Türkei gewonnen hat, ist außerordentlich. Nicht allein daß die reine
Aussprache, die grammatikalische Nichtigkeit, die Säuberung von vielen Fremd¬
wörtern, wie sie von der Akademie in Athen ausgehen, von den bessern Ständen
allgemein adoptirt und im Schulunterichte eingeführt werden, es wird auch
von den Südslawen in den Distrikten, wo sie untermischt mit Griechen leben,
wie in Thessalien, Epirus und Mazedonien, das griechische Idiom erlernt und
ihm als Kultursprache der Vorrang vor der einheimischen eingeräumt. Gerade
die Albanesen, in welche unsre Philologen in ihrer theoretischen Rechthaberei
denn wie wenige derselben haben an Ort und Stelle Land und Leute
studirt! — die Hellenen aufgehen lassen, sind vollkommen assimilirt. Zahlreich
im Lande verbreitet — Salamis und Eleusis vor den Thoren der Hauptstadt
sind ganz von ihnen bevölkert — und nnter der türkischen Herrschaft, soweit


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[0317] Skizzen aus der Levante und Griechenland, strengere umfassende Geistesarbeit und allgemeinere Belehrung mit neuer Kraft regen und geltend machen wird; dann wird auch für die Universalgeschichte, für historisches und philosophisches Gesamtwissen eine günstigere Zeit anbrechen. Das historische Wissensgebiet ist nicht wie andre Wissenschaften ausschließlich den Fachgelehrten zugewiesen; es ist das weite Feld, an dem die ganze gebildete Welt teilnimmt, aus dem die gesamte denkende und urteilende Menschheit Er¬ kenntnis und Belehrung schöpft über das öffentliche Leben, über die Entwicklung und Gestaltung der weltbeherrschcnden Ideen und Anliegen, aus dem sie er- fährt, wie die frühern Geschlechter gekämpft und gerungen, gestrebt und geirrt haben auf den Wegen des Fortschrittes zur Freiheit, zur irdischen Wohlfahrt, zu einem menschenwürdigen Dasein, zu einer moralischen Weltordnung. Die Geschichte ist der geistige Gemeinbesitz aller für die Güter und Errungenschaften der Zivilisation empfänglichen Seelen. Von ihr gilt im vollsten Maße das Mink llummri » Älisnunr. Darauf baut die Universalgeschichte ihren Tempel, der in alle Zukunft fortbestehen wird." Skizzen aus der Levante und Griechenland. von H. Scher er. 2. cire die Vernichtung und Ausrottung der Hellenen so vollständig gewesen, wie man angenommen hat, so hätte die Sprache un¬ möglich anderthalb tausend Jahre lang ihre Lebenskraft bewahrt und in der kurzen Zeit der Unabhängigkeit sich nahezu wieder zu ihrer alten Reinheit durchgearbeitet. Die Ausdehnung, welche sie in jüngster Zeit über die sämtlichen Provinzen der europäischen und zumal der asiatischen Türkei gewonnen hat, ist außerordentlich. Nicht allein daß die reine Aussprache, die grammatikalische Nichtigkeit, die Säuberung von vielen Fremd¬ wörtern, wie sie von der Akademie in Athen ausgehen, von den bessern Ständen allgemein adoptirt und im Schulunterichte eingeführt werden, es wird auch von den Südslawen in den Distrikten, wo sie untermischt mit Griechen leben, wie in Thessalien, Epirus und Mazedonien, das griechische Idiom erlernt und ihm als Kultursprache der Vorrang vor der einheimischen eingeräumt. Gerade die Albanesen, in welche unsre Philologen in ihrer theoretischen Rechthaberei denn wie wenige derselben haben an Ort und Stelle Land und Leute studirt! — die Hellenen aufgehen lassen, sind vollkommen assimilirt. Zahlreich im Lande verbreitet — Salamis und Eleusis vor den Thoren der Hauptstadt sind ganz von ihnen bevölkert — und nnter der türkischen Herrschaft, soweit

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_197423/317>, abgerufen am 19.05.2024.