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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr.

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Der deutsche Volkscharakter und seine Wandlungen.

mehrfach einer Anzahl anscheinend dem Arbeiterstande angehörigen Personen
laut und vernehmlich folgende Instruktion erteilt: "Nehmen Sie Täglichsbecksche
Zettel, streiche" Sie Täglichsbeck (den Namen des nationalliberalen Kandidaten)
durch und schreiben Sie Dr. Alexander Meyer darauf. Wenn Sie jemand
fragt, wen Sie gewählt haben, so können Sie ruhig sagen: ich habe den Zettel
von Täglichsbeck abgegeben." Der in der Hauptwahl in Werden unterlegene
deutschfreisiunige Kandidat or. Kuhlenbeck forderte die Wähler seiner Partei
auf, in der Stichwahl positiv für den Welsen einzutreten, weil die deutsch-
freisinnige Partei mit der welfischen den Boden "gemeinsamer Opposition"
teile. Der Aufforderung wurde in Werden auch entsprochen.

Man sieht, diese Sprache paßt ganz zu der, die bei den Berliner Wahlen
von der freisinnigen Partei geführt wurde. Aber eine Partei, die sich so auf
allen Gebieten gegen den nationalen Fortschritt auflehnt, ist, wenn sie hie und da
auch noch dnrch die verzweifeltsten Mittel Erfolge erringt, doch weiter nichts
mehr als eine Jnvalidenkompagnie. Und so hilft sich auch thatsächlich die
Partei mit dem schönen Namen des deutschen Freisinns nur eben noch mühsam
fort auf der doppelten Krücke der Ultramontanen und der Sozialdemokraten.
Bald wird Herr Eugen Richter sein Werk, die Vernichtung seiner eignen Partei,
vollendet haben; sind doch mehrere seiner Getreuesten bereits ganz still geworden,
(juoonnaus inArsäsi'i8, Mguitnr mors vorporis umbra,.




Der deutsche Volkscharakter und seine Wandlungen.
von Guntram Schultheiß. (Fortsetzung.)

und nach dem Zerfall des fränkischen Reiches blieben die eigentlich
deutschen Stämme in lockerer Reichseinheit, in einer geselligen
Umbildung begriffen, die eine weltliche Aristokratie und eine selb¬
ständige Priesterschaft über die lcmdbauendc Bevölkerung stellte
und diesen dreien verschiedne Aufgaben zuwies. In diesen Ständen
mußte sich der Volkscharakter in verschiedner Weise ausprägen; es ist im
wesentlichen nur die Thätigkeit des Kriegerstandes und der Geistlichkeit als
Lehensbesitzer und Teilhaber, ja Träger der Reichsgewalt. was wir deutsche
Kaisergeschichte nennen, glänzend und ruhmvoll, wenn auch arm an dauernden


Der deutsche Volkscharakter und seine Wandlungen.

mehrfach einer Anzahl anscheinend dem Arbeiterstande angehörigen Personen
laut und vernehmlich folgende Instruktion erteilt: „Nehmen Sie Täglichsbecksche
Zettel, streiche» Sie Täglichsbeck (den Namen des nationalliberalen Kandidaten)
durch und schreiben Sie Dr. Alexander Meyer darauf. Wenn Sie jemand
fragt, wen Sie gewählt haben, so können Sie ruhig sagen: ich habe den Zettel
von Täglichsbeck abgegeben." Der in der Hauptwahl in Werden unterlegene
deutschfreisiunige Kandidat or. Kuhlenbeck forderte die Wähler seiner Partei
auf, in der Stichwahl positiv für den Welsen einzutreten, weil die deutsch-
freisinnige Partei mit der welfischen den Boden „gemeinsamer Opposition"
teile. Der Aufforderung wurde in Werden auch entsprochen.

Man sieht, diese Sprache paßt ganz zu der, die bei den Berliner Wahlen
von der freisinnigen Partei geführt wurde. Aber eine Partei, die sich so auf
allen Gebieten gegen den nationalen Fortschritt auflehnt, ist, wenn sie hie und da
auch noch dnrch die verzweifeltsten Mittel Erfolge erringt, doch weiter nichts
mehr als eine Jnvalidenkompagnie. Und so hilft sich auch thatsächlich die
Partei mit dem schönen Namen des deutschen Freisinns nur eben noch mühsam
fort auf der doppelten Krücke der Ultramontanen und der Sozialdemokraten.
Bald wird Herr Eugen Richter sein Werk, die Vernichtung seiner eignen Partei,
vollendet haben; sind doch mehrere seiner Getreuesten bereits ganz still geworden,
(juoonnaus inArsäsi'i8, Mguitnr mors vorporis umbra,.




Der deutsche Volkscharakter und seine Wandlungen.
von Guntram Schultheiß. (Fortsetzung.)

und nach dem Zerfall des fränkischen Reiches blieben die eigentlich
deutschen Stämme in lockerer Reichseinheit, in einer geselligen
Umbildung begriffen, die eine weltliche Aristokratie und eine selb¬
ständige Priesterschaft über die lcmdbauendc Bevölkerung stellte
und diesen dreien verschiedne Aufgaben zuwies. In diesen Ständen
mußte sich der Volkscharakter in verschiedner Weise ausprägen; es ist im
wesentlichen nur die Thätigkeit des Kriegerstandes und der Geistlichkeit als
Lehensbesitzer und Teilhaber, ja Träger der Reichsgewalt. was wir deutsche
Kaisergeschichte nennen, glänzend und ruhmvoll, wenn auch arm an dauernden


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[0123] Der deutsche Volkscharakter und seine Wandlungen. mehrfach einer Anzahl anscheinend dem Arbeiterstande angehörigen Personen laut und vernehmlich folgende Instruktion erteilt: „Nehmen Sie Täglichsbecksche Zettel, streiche» Sie Täglichsbeck (den Namen des nationalliberalen Kandidaten) durch und schreiben Sie Dr. Alexander Meyer darauf. Wenn Sie jemand fragt, wen Sie gewählt haben, so können Sie ruhig sagen: ich habe den Zettel von Täglichsbeck abgegeben." Der in der Hauptwahl in Werden unterlegene deutschfreisiunige Kandidat or. Kuhlenbeck forderte die Wähler seiner Partei auf, in der Stichwahl positiv für den Welsen einzutreten, weil die deutsch- freisinnige Partei mit der welfischen den Boden „gemeinsamer Opposition" teile. Der Aufforderung wurde in Werden auch entsprochen. Man sieht, diese Sprache paßt ganz zu der, die bei den Berliner Wahlen von der freisinnigen Partei geführt wurde. Aber eine Partei, die sich so auf allen Gebieten gegen den nationalen Fortschritt auflehnt, ist, wenn sie hie und da auch noch dnrch die verzweifeltsten Mittel Erfolge erringt, doch weiter nichts mehr als eine Jnvalidenkompagnie. Und so hilft sich auch thatsächlich die Partei mit dem schönen Namen des deutschen Freisinns nur eben noch mühsam fort auf der doppelten Krücke der Ultramontanen und der Sozialdemokraten. Bald wird Herr Eugen Richter sein Werk, die Vernichtung seiner eignen Partei, vollendet haben; sind doch mehrere seiner Getreuesten bereits ganz still geworden, (juoonnaus inArsäsi'i8, Mguitnr mors vorporis umbra,. Der deutsche Volkscharakter und seine Wandlungen. von Guntram Schultheiß. (Fortsetzung.) und nach dem Zerfall des fränkischen Reiches blieben die eigentlich deutschen Stämme in lockerer Reichseinheit, in einer geselligen Umbildung begriffen, die eine weltliche Aristokratie und eine selb¬ ständige Priesterschaft über die lcmdbauendc Bevölkerung stellte und diesen dreien verschiedne Aufgaben zuwies. In diesen Ständen mußte sich der Volkscharakter in verschiedner Weise ausprägen; es ist im wesentlichen nur die Thätigkeit des Kriegerstandes und der Geistlichkeit als Lehensbesitzer und Teilhaber, ja Träger der Reichsgewalt. was wir deutsche Kaisergeschichte nennen, glänzend und ruhmvoll, wenn auch arm an dauernden

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200778/123>, abgerufen am 29.04.2024.