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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr.

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Theodor Fontanes Roman (Lecilo.

Und wenn die bloße Naturschönheit ohne allen Seelenglanz zu einer solchen
wird, die man tote Schönheit nennt bei vollem Leben, so liegt hier eine wirk¬
lich tote Schönheit vor, die doch zugleich vom Leben tiefstes Zeugnis giebt,
von dem Leben, das unabhängig ist von den zufälligen Bedingungen der Körper¬
welt und in sich selbst ruht vor und über dem Körverwesen wie im Ewigen;
erscheint doch dabei selbst der Unterschied von männlich und weiblich im Ge-
sichtsausdruck wie aufgehoben oder überhöht. Davon mehr und deutlicher Wohl
ein andermal.




Theodor Montanes Roman (Lenne.

eit abseits von den Großstadtschildernngen, wie sie Spielhagen
im höheren und Max Kretzer im niederen Stil versuchen, geht
ein Schriftsteller, ein wahrhaft poetisches Talent und durch
Lebensverhältnisse, Neigung und unablässiges Studium einer der
genauesten Kenner Berlins, seineu ziemlich einsamen Pfad. Auch
ihn erfüllt der Gedanke, die deutsche Reichshauptstadt zum Unter- und Hinter¬
grunde von poetischen Darstellungen zu benutzen, und ohne den französischen
Naturalisten näher verwandt zu sein, empfindet er den geheimen Reiz, sich ans
einem Boden zu bewegen, welcher ihm, wie der Mehrzahl seiner Leser, völlig
vertraut ist. Und obschon sich ein Dichter wie Theodor Fontane nicht
darüber täuschen kann, daß alles, was an Wirkungen der Lokalschildcrung, der
gesellschaftlichen Atmosphäre gewonnen wird, verhältnismäßig wenig bedeuten
will gegenüber der Stärke der Motive und der unmittelbaren Darstellung der
in allen Wandlungen und Spielarten sich gleich bleibenden Menschennntnr, so ver¬
schmäht er doch deu kleinen Gewinn nicht, welcher namentlich dem Nvmandichterr
aus der Eigentümlichkeit seiner Szenerie, aus der Wiedergabe von Gewohnheit,
Sitte, Vorurteil, Lebensform und Gesprächston bestimmter Kreise erwächst.
Fontäne hat die Fähigkeit der Beobachtung zu einer gewissen Virtuosität ge¬
steigert und versagt sich demzufolge nicht, einige Blicke über seineu jeweilige!,
Stoff hinnuszuthuu. Daß dies immer in feiner und geschmackvoller Weise
geschieht, bedarf keiner Versicherung. Daß bei noch knapperer Einschrän¬
kung auf die Erfindung der eigentlich poetische Gehalt gesteigert werden
könnte, bedarf auch keiner. Aber die kulturgeschichtliche Seite der Dinge hat
es eben auch den Dichtern angethan, und in einer Zeit wie der unsrigen liegt
die Gesahr, in der Feinheit der Einzelausführung und Färbung einen Schritt


Theodor Fontanes Roman (Lecilo.

Und wenn die bloße Naturschönheit ohne allen Seelenglanz zu einer solchen
wird, die man tote Schönheit nennt bei vollem Leben, so liegt hier eine wirk¬
lich tote Schönheit vor, die doch zugleich vom Leben tiefstes Zeugnis giebt,
von dem Leben, das unabhängig ist von den zufälligen Bedingungen der Körper¬
welt und in sich selbst ruht vor und über dem Körverwesen wie im Ewigen;
erscheint doch dabei selbst der Unterschied von männlich und weiblich im Ge-
sichtsausdruck wie aufgehoben oder überhöht. Davon mehr und deutlicher Wohl
ein andermal.




Theodor Montanes Roman (Lenne.

eit abseits von den Großstadtschildernngen, wie sie Spielhagen
im höheren und Max Kretzer im niederen Stil versuchen, geht
ein Schriftsteller, ein wahrhaft poetisches Talent und durch
Lebensverhältnisse, Neigung und unablässiges Studium einer der
genauesten Kenner Berlins, seineu ziemlich einsamen Pfad. Auch
ihn erfüllt der Gedanke, die deutsche Reichshauptstadt zum Unter- und Hinter¬
grunde von poetischen Darstellungen zu benutzen, und ohne den französischen
Naturalisten näher verwandt zu sein, empfindet er den geheimen Reiz, sich ans
einem Boden zu bewegen, welcher ihm, wie der Mehrzahl seiner Leser, völlig
vertraut ist. Und obschon sich ein Dichter wie Theodor Fontane nicht
darüber täuschen kann, daß alles, was an Wirkungen der Lokalschildcrung, der
gesellschaftlichen Atmosphäre gewonnen wird, verhältnismäßig wenig bedeuten
will gegenüber der Stärke der Motive und der unmittelbaren Darstellung der
in allen Wandlungen und Spielarten sich gleich bleibenden Menschennntnr, so ver¬
schmäht er doch deu kleinen Gewinn nicht, welcher namentlich dem Nvmandichterr
aus der Eigentümlichkeit seiner Szenerie, aus der Wiedergabe von Gewohnheit,
Sitte, Vorurteil, Lebensform und Gesprächston bestimmter Kreise erwächst.
Fontäne hat die Fähigkeit der Beobachtung zu einer gewissen Virtuosität ge¬
steigert und versagt sich demzufolge nicht, einige Blicke über seineu jeweilige!,
Stoff hinnuszuthuu. Daß dies immer in feiner und geschmackvoller Weise
geschieht, bedarf keiner Versicherung. Daß bei noch knapperer Einschrän¬
kung auf die Erfindung der eigentlich poetische Gehalt gesteigert werden
könnte, bedarf auch keiner. Aber die kulturgeschichtliche Seite der Dinge hat
es eben auch den Dichtern angethan, und in einer Zeit wie der unsrigen liegt
die Gesahr, in der Feinheit der Einzelausführung und Färbung einen Schritt


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[0138] Theodor Fontanes Roman (Lecilo. Und wenn die bloße Naturschönheit ohne allen Seelenglanz zu einer solchen wird, die man tote Schönheit nennt bei vollem Leben, so liegt hier eine wirk¬ lich tote Schönheit vor, die doch zugleich vom Leben tiefstes Zeugnis giebt, von dem Leben, das unabhängig ist von den zufälligen Bedingungen der Körper¬ welt und in sich selbst ruht vor und über dem Körverwesen wie im Ewigen; erscheint doch dabei selbst der Unterschied von männlich und weiblich im Ge- sichtsausdruck wie aufgehoben oder überhöht. Davon mehr und deutlicher Wohl ein andermal. Theodor Montanes Roman (Lenne. eit abseits von den Großstadtschildernngen, wie sie Spielhagen im höheren und Max Kretzer im niederen Stil versuchen, geht ein Schriftsteller, ein wahrhaft poetisches Talent und durch Lebensverhältnisse, Neigung und unablässiges Studium einer der genauesten Kenner Berlins, seineu ziemlich einsamen Pfad. Auch ihn erfüllt der Gedanke, die deutsche Reichshauptstadt zum Unter- und Hinter¬ grunde von poetischen Darstellungen zu benutzen, und ohne den französischen Naturalisten näher verwandt zu sein, empfindet er den geheimen Reiz, sich ans einem Boden zu bewegen, welcher ihm, wie der Mehrzahl seiner Leser, völlig vertraut ist. Und obschon sich ein Dichter wie Theodor Fontane nicht darüber täuschen kann, daß alles, was an Wirkungen der Lokalschildcrung, der gesellschaftlichen Atmosphäre gewonnen wird, verhältnismäßig wenig bedeuten will gegenüber der Stärke der Motive und der unmittelbaren Darstellung der in allen Wandlungen und Spielarten sich gleich bleibenden Menschennntnr, so ver¬ schmäht er doch deu kleinen Gewinn nicht, welcher namentlich dem Nvmandichterr aus der Eigentümlichkeit seiner Szenerie, aus der Wiedergabe von Gewohnheit, Sitte, Vorurteil, Lebensform und Gesprächston bestimmter Kreise erwächst. Fontäne hat die Fähigkeit der Beobachtung zu einer gewissen Virtuosität ge¬ steigert und versagt sich demzufolge nicht, einige Blicke über seineu jeweilige!, Stoff hinnuszuthuu. Daß dies immer in feiner und geschmackvoller Weise geschieht, bedarf keiner Versicherung. Daß bei noch knapperer Einschrän¬ kung auf die Erfindung der eigentlich poetische Gehalt gesteigert werden könnte, bedarf auch keiner. Aber die kulturgeschichtliche Seite der Dinge hat es eben auch den Dichtern angethan, und in einer Zeit wie der unsrigen liegt die Gesahr, in der Feinheit der Einzelausführung und Färbung einen Schritt

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200778/138>, abgerufen am 28.04.2024.