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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr.

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Tagebuchblätter eines Sonntagsphilosophon.

Schöne bloß), und wo für diese selbsterworbene Schönheit die Quelle fließt, das
zeigt jener Frauenspiegel des fünfzehnten Jahrhunderts und auch der Fall, von
dem ausgegangen wurde: thätige Güte, die in der Seele herrscht, wird von
selbst zu einer fest in sich ruhenden Heiterkeit und tritt als Schönheit in den
Gesichtszügen zu Tage, auch wenn diese von Natur uicht schön sind.

Indem ich aber dabei wieder an die sogenannte blendende Schönheit denke,
Naturschönheit im Unterschiede von der Seelen- oder Geistesschönheit, fällt mir
unvermeidlich noch eine andere Schönheit ein, weil sie zu jener den denkbar
größten Gegensatz bildet, Geistesschönheit im schärfsten Sinne, ich meine die,
welche sich in den Gesichtszügen von eben verstorbenen zeigt, gleich nachdem
der grause Todeskampf überstanden ist, der eben auch in den Gesichtszügen,
diesem Spiegel alles innersten Lebens, sich abspielt in einer Form, die zum
Schönen in einem Gegensatz steht, daß er so grell und grans von keiner Phan¬
tasie zu erfinden ist. Bei dieser Schönheit ist von Glanz keine Rede mehr,
sind doch die Augen, die Quelle des Glanzes, erloschen und gebrochen, wie die
Sprache es treffend benennt, durch die Gewalt des Todes und geschlossen durch
die Liebe der Angehörigen. Alles ist nun kalte, tote, bloße Form, und doch
mit einem Hauch darüber, der den Eindruck von Schönheit macht, aber einer
fremdartigen, hehren, gleichsam aus hoher Ferne wirkenden Schönheit, vor der
man mit scheuer Ehrfurcht steht, ferngehalten und gefesselt zugleich. Denn ihr
Ausdruck ist vor allem tiefe, tiefste Ruhe, die denn mich die dabei stehenden
wunderbar anhaucht und der eben tief verwundeten Seele, auch wenn man
sein Liebstes so nun vor sich sieht, den ersten Balsam reicht, daß man selbst nach
den Stürmen des Schmerzes in sich tief ruhig wird. Denn man thut da
einen Blick wie in eine ferne Welt von tiefster Befriedigung, genauer befrie¬
digter, voller Bedürfnislosigkeit, die sich uns da an einer Stelle einmal auf¬
thut. Aber eben diese befriedigte Ruhe, die von dieser Welt nichts mehr braucht,
erscheint zugleich als Schönheit, ihr geheimster Kern aber als Güte, als ganz
selbstlos gewordene, ursprüngliche Güte, die doch eben damit ganz zu sich selbst
zurückgekehrt ist und von diesem ihrem tiefsten Selbst in den Gesichtszügen
einen Abdruck wie als Testament zurückläßt gleich nach den Verzerrungen des
Todeskampfes. Es mischt sich aber darin die ursprüngliche Güte der ent¬
wichenen Seele mit der selbst dazu erworbenen Güte, wofür ein Beweis zu
Gebote stünde, wenn es nicht jetzt zu weit führte, es versteht sich aber auch so
von selbst. Es ist übrigens Güte in ihrer höchsten oder tiefsten Ausprägung,
noch besser mit Adel bezeichnet, tiefinnerster Seelenadel, der da sichtbar zu Tage
tritt. Also Schönheit mit keinem Glänze mehr und doch mit etwas, das man
leuchten nennen kann, mit einem Lichte, das über diese Weltform hinaus weist.
Begreifen oder glauben kann das freilich nnr wer es selbst gesehen und erlebt
hat, es weist aber am deutlichsten auf die Stelle hin, wo die letzte Quelle des
Schönen fließt, das uns Menschen zur Verfügung gestellt ist.


Grenzboten III. 1887. ^
Tagebuchblätter eines Sonntagsphilosophon.

Schöne bloß), und wo für diese selbsterworbene Schönheit die Quelle fließt, das
zeigt jener Frauenspiegel des fünfzehnten Jahrhunderts und auch der Fall, von
dem ausgegangen wurde: thätige Güte, die in der Seele herrscht, wird von
selbst zu einer fest in sich ruhenden Heiterkeit und tritt als Schönheit in den
Gesichtszügen zu Tage, auch wenn diese von Natur uicht schön sind.

Indem ich aber dabei wieder an die sogenannte blendende Schönheit denke,
Naturschönheit im Unterschiede von der Seelen- oder Geistesschönheit, fällt mir
unvermeidlich noch eine andere Schönheit ein, weil sie zu jener den denkbar
größten Gegensatz bildet, Geistesschönheit im schärfsten Sinne, ich meine die,
welche sich in den Gesichtszügen von eben verstorbenen zeigt, gleich nachdem
der grause Todeskampf überstanden ist, der eben auch in den Gesichtszügen,
diesem Spiegel alles innersten Lebens, sich abspielt in einer Form, die zum
Schönen in einem Gegensatz steht, daß er so grell und grans von keiner Phan¬
tasie zu erfinden ist. Bei dieser Schönheit ist von Glanz keine Rede mehr,
sind doch die Augen, die Quelle des Glanzes, erloschen und gebrochen, wie die
Sprache es treffend benennt, durch die Gewalt des Todes und geschlossen durch
die Liebe der Angehörigen. Alles ist nun kalte, tote, bloße Form, und doch
mit einem Hauch darüber, der den Eindruck von Schönheit macht, aber einer
fremdartigen, hehren, gleichsam aus hoher Ferne wirkenden Schönheit, vor der
man mit scheuer Ehrfurcht steht, ferngehalten und gefesselt zugleich. Denn ihr
Ausdruck ist vor allem tiefe, tiefste Ruhe, die denn mich die dabei stehenden
wunderbar anhaucht und der eben tief verwundeten Seele, auch wenn man
sein Liebstes so nun vor sich sieht, den ersten Balsam reicht, daß man selbst nach
den Stürmen des Schmerzes in sich tief ruhig wird. Denn man thut da
einen Blick wie in eine ferne Welt von tiefster Befriedigung, genauer befrie¬
digter, voller Bedürfnislosigkeit, die sich uns da an einer Stelle einmal auf¬
thut. Aber eben diese befriedigte Ruhe, die von dieser Welt nichts mehr braucht,
erscheint zugleich als Schönheit, ihr geheimster Kern aber als Güte, als ganz
selbstlos gewordene, ursprüngliche Güte, die doch eben damit ganz zu sich selbst
zurückgekehrt ist und von diesem ihrem tiefsten Selbst in den Gesichtszügen
einen Abdruck wie als Testament zurückläßt gleich nach den Verzerrungen des
Todeskampfes. Es mischt sich aber darin die ursprüngliche Güte der ent¬
wichenen Seele mit der selbst dazu erworbenen Güte, wofür ein Beweis zu
Gebote stünde, wenn es nicht jetzt zu weit führte, es versteht sich aber auch so
von selbst. Es ist übrigens Güte in ihrer höchsten oder tiefsten Ausprägung,
noch besser mit Adel bezeichnet, tiefinnerster Seelenadel, der da sichtbar zu Tage
tritt. Also Schönheit mit keinem Glänze mehr und doch mit etwas, das man
leuchten nennen kann, mit einem Lichte, das über diese Weltform hinaus weist.
Begreifen oder glauben kann das freilich nnr wer es selbst gesehen und erlebt
hat, es weist aber am deutlichsten auf die Stelle hin, wo die letzte Quelle des
Schönen fließt, das uns Menschen zur Verfügung gestellt ist.


Grenzboten III. 1887. ^
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[0137] Tagebuchblätter eines Sonntagsphilosophon. Schöne bloß), und wo für diese selbsterworbene Schönheit die Quelle fließt, das zeigt jener Frauenspiegel des fünfzehnten Jahrhunderts und auch der Fall, von dem ausgegangen wurde: thätige Güte, die in der Seele herrscht, wird von selbst zu einer fest in sich ruhenden Heiterkeit und tritt als Schönheit in den Gesichtszügen zu Tage, auch wenn diese von Natur uicht schön sind. Indem ich aber dabei wieder an die sogenannte blendende Schönheit denke, Naturschönheit im Unterschiede von der Seelen- oder Geistesschönheit, fällt mir unvermeidlich noch eine andere Schönheit ein, weil sie zu jener den denkbar größten Gegensatz bildet, Geistesschönheit im schärfsten Sinne, ich meine die, welche sich in den Gesichtszügen von eben verstorbenen zeigt, gleich nachdem der grause Todeskampf überstanden ist, der eben auch in den Gesichtszügen, diesem Spiegel alles innersten Lebens, sich abspielt in einer Form, die zum Schönen in einem Gegensatz steht, daß er so grell und grans von keiner Phan¬ tasie zu erfinden ist. Bei dieser Schönheit ist von Glanz keine Rede mehr, sind doch die Augen, die Quelle des Glanzes, erloschen und gebrochen, wie die Sprache es treffend benennt, durch die Gewalt des Todes und geschlossen durch die Liebe der Angehörigen. Alles ist nun kalte, tote, bloße Form, und doch mit einem Hauch darüber, der den Eindruck von Schönheit macht, aber einer fremdartigen, hehren, gleichsam aus hoher Ferne wirkenden Schönheit, vor der man mit scheuer Ehrfurcht steht, ferngehalten und gefesselt zugleich. Denn ihr Ausdruck ist vor allem tiefe, tiefste Ruhe, die denn mich die dabei stehenden wunderbar anhaucht und der eben tief verwundeten Seele, auch wenn man sein Liebstes so nun vor sich sieht, den ersten Balsam reicht, daß man selbst nach den Stürmen des Schmerzes in sich tief ruhig wird. Denn man thut da einen Blick wie in eine ferne Welt von tiefster Befriedigung, genauer befrie¬ digter, voller Bedürfnislosigkeit, die sich uns da an einer Stelle einmal auf¬ thut. Aber eben diese befriedigte Ruhe, die von dieser Welt nichts mehr braucht, erscheint zugleich als Schönheit, ihr geheimster Kern aber als Güte, als ganz selbstlos gewordene, ursprüngliche Güte, die doch eben damit ganz zu sich selbst zurückgekehrt ist und von diesem ihrem tiefsten Selbst in den Gesichtszügen einen Abdruck wie als Testament zurückläßt gleich nach den Verzerrungen des Todeskampfes. Es mischt sich aber darin die ursprüngliche Güte der ent¬ wichenen Seele mit der selbst dazu erworbenen Güte, wofür ein Beweis zu Gebote stünde, wenn es nicht jetzt zu weit führte, es versteht sich aber auch so von selbst. Es ist übrigens Güte in ihrer höchsten oder tiefsten Ausprägung, noch besser mit Adel bezeichnet, tiefinnerster Seelenadel, der da sichtbar zu Tage tritt. Also Schönheit mit keinem Glänze mehr und doch mit etwas, das man leuchten nennen kann, mit einem Lichte, das über diese Weltform hinaus weist. Begreifen oder glauben kann das freilich nnr wer es selbst gesehen und erlebt hat, es weist aber am deutlichsten auf die Stelle hin, wo die letzte Quelle des Schönen fließt, das uns Menschen zur Verfügung gestellt ist. Grenzboten III. 1887. ^

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200778/137>, abgerufen am 14.05.2024.