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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr.

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Dichterfreundinnen.

Daß Bedenken dieser Art nicht unbegründet sind, zeigen bereits die Thatsachen
der Gegenwart. Schon jetzt sind die Anhänger des Herrn Schleyer in Frank¬
reich auf dem besten Wege, das Volapttk in ausschließlich und einseitig fran¬
zösischem Sinne weiter zu bilden, und in Österreich heben ähnliche Sondergelüste
ihr Haupt mächtig empor, sodaß die Generalversammlung der württembergischen
Weltsprachler am 1. Mai d, I. mit Besorgnis über die Gefahr der Zersplitterung
verhandelt hat. Und was soll man gar dazu sagen, daß in den Volapükzeit-
schriften spaltenlange tiefsinnige Untersuchungen und Aufsätze darüber veröffent¬
licht werden, ob das aus vier Worten bestehende Motto, welches der Erfinder
Schleyer seinem Lehrbuche vorangesetzt hat, richtig volapükisch abgefaßt sei oder
nicht? Die Weisheit muß sich eben meistern lassen von ihren eignen Kindern!
Für die Zukunft eröffnen sich hiernach recht erbauliche Aussichten, denn, wenn
das jetzt im Anfange am grünen Holze geschieht, was soll dereinst am dürren
werden? (Schluß folgt.)




Dichterfreundinnen.
von F ran ZZP falz. S. Die Titanide.

och einen Schritt weiter in die Tiefe der Seelenfreundschaften,
und wir finden unsre Heldinnen mitten in der Leidenschaft und
hart an der Grenze des Wahnsinnes.
Wie ein einsam stehender Baum, der, vom Sturme durch¬
wühlt, immer von neuem seinen blütenstüubenden Wipfel vornüber-
bengt, den Wanderer mit glänzenden Blättchen und Fäden überschüttet und,
wenn dieser gleichgiltig vorübergeht, sich ästeringcnd zurückwirft, so erscheint
uns Charlotte von Kalb.

Wunderbar sind die Gegensätze in ihrem Leben. In vornehmer und reicher
Umgebung, als das Kind hochadliger Eltern erblickt sie das Licht der Welt.
Aber sie ist zum Unglück geboren. Verwaist, verkauft und verraten ringt sie
nach Selbständigkeit, aber den Halt, den sie im Leben sucht, findet sie nur in
der Tiefe ihrer Seele. Ihr hochbegabter Geist entbehrt jeder gründlichen und
stetigen Bildung, ihr liebebedürftiges Herz findet keine Brust, an der sie aus¬
ruhen könnte. Einsam steht sie da, ohne Freundinnen, weil sie es verschmäht,
sich an Frauen anzuschließen; aber die bedeutendsten Männer weiß sie in den


Dichterfreundinnen.

Daß Bedenken dieser Art nicht unbegründet sind, zeigen bereits die Thatsachen
der Gegenwart. Schon jetzt sind die Anhänger des Herrn Schleyer in Frank¬
reich auf dem besten Wege, das Volapttk in ausschließlich und einseitig fran¬
zösischem Sinne weiter zu bilden, und in Österreich heben ähnliche Sondergelüste
ihr Haupt mächtig empor, sodaß die Generalversammlung der württembergischen
Weltsprachler am 1. Mai d, I. mit Besorgnis über die Gefahr der Zersplitterung
verhandelt hat. Und was soll man gar dazu sagen, daß in den Volapükzeit-
schriften spaltenlange tiefsinnige Untersuchungen und Aufsätze darüber veröffent¬
licht werden, ob das aus vier Worten bestehende Motto, welches der Erfinder
Schleyer seinem Lehrbuche vorangesetzt hat, richtig volapükisch abgefaßt sei oder
nicht? Die Weisheit muß sich eben meistern lassen von ihren eignen Kindern!
Für die Zukunft eröffnen sich hiernach recht erbauliche Aussichten, denn, wenn
das jetzt im Anfange am grünen Holze geschieht, was soll dereinst am dürren
werden? (Schluß folgt.)




Dichterfreundinnen.
von F ran ZZP falz. S. Die Titanide.

och einen Schritt weiter in die Tiefe der Seelenfreundschaften,
und wir finden unsre Heldinnen mitten in der Leidenschaft und
hart an der Grenze des Wahnsinnes.
Wie ein einsam stehender Baum, der, vom Sturme durch¬
wühlt, immer von neuem seinen blütenstüubenden Wipfel vornüber-
bengt, den Wanderer mit glänzenden Blättchen und Fäden überschüttet und,
wenn dieser gleichgiltig vorübergeht, sich ästeringcnd zurückwirft, so erscheint
uns Charlotte von Kalb.

Wunderbar sind die Gegensätze in ihrem Leben. In vornehmer und reicher
Umgebung, als das Kind hochadliger Eltern erblickt sie das Licht der Welt.
Aber sie ist zum Unglück geboren. Verwaist, verkauft und verraten ringt sie
nach Selbständigkeit, aber den Halt, den sie im Leben sucht, findet sie nur in
der Tiefe ihrer Seele. Ihr hochbegabter Geist entbehrt jeder gründlichen und
stetigen Bildung, ihr liebebedürftiges Herz findet keine Brust, an der sie aus¬
ruhen könnte. Einsam steht sie da, ohne Freundinnen, weil sie es verschmäht,
sich an Frauen anzuschließen; aber die bedeutendsten Männer weiß sie in den


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[0187] Dichterfreundinnen. Daß Bedenken dieser Art nicht unbegründet sind, zeigen bereits die Thatsachen der Gegenwart. Schon jetzt sind die Anhänger des Herrn Schleyer in Frank¬ reich auf dem besten Wege, das Volapttk in ausschließlich und einseitig fran¬ zösischem Sinne weiter zu bilden, und in Österreich heben ähnliche Sondergelüste ihr Haupt mächtig empor, sodaß die Generalversammlung der württembergischen Weltsprachler am 1. Mai d, I. mit Besorgnis über die Gefahr der Zersplitterung verhandelt hat. Und was soll man gar dazu sagen, daß in den Volapükzeit- schriften spaltenlange tiefsinnige Untersuchungen und Aufsätze darüber veröffent¬ licht werden, ob das aus vier Worten bestehende Motto, welches der Erfinder Schleyer seinem Lehrbuche vorangesetzt hat, richtig volapükisch abgefaßt sei oder nicht? Die Weisheit muß sich eben meistern lassen von ihren eignen Kindern! Für die Zukunft eröffnen sich hiernach recht erbauliche Aussichten, denn, wenn das jetzt im Anfange am grünen Holze geschieht, was soll dereinst am dürren werden? (Schluß folgt.) Dichterfreundinnen. von F ran ZZP falz. S. Die Titanide. och einen Schritt weiter in die Tiefe der Seelenfreundschaften, und wir finden unsre Heldinnen mitten in der Leidenschaft und hart an der Grenze des Wahnsinnes. Wie ein einsam stehender Baum, der, vom Sturme durch¬ wühlt, immer von neuem seinen blütenstüubenden Wipfel vornüber- bengt, den Wanderer mit glänzenden Blättchen und Fäden überschüttet und, wenn dieser gleichgiltig vorübergeht, sich ästeringcnd zurückwirft, so erscheint uns Charlotte von Kalb. Wunderbar sind die Gegensätze in ihrem Leben. In vornehmer und reicher Umgebung, als das Kind hochadliger Eltern erblickt sie das Licht der Welt. Aber sie ist zum Unglück geboren. Verwaist, verkauft und verraten ringt sie nach Selbständigkeit, aber den Halt, den sie im Leben sucht, findet sie nur in der Tiefe ihrer Seele. Ihr hochbegabter Geist entbehrt jeder gründlichen und stetigen Bildung, ihr liebebedürftiges Herz findet keine Brust, an der sie aus¬ ruhen könnte. Einsam steht sie da, ohne Freundinnen, weil sie es verschmäht, sich an Frauen anzuschließen; aber die bedeutendsten Männer weiß sie in den

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200778/187>, abgerufen am 29.04.2024.