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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr.

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Kleinere Mitteilungen.

Nun darf man aber nicht etwa denken, daß mit den vorhandenen ge¬
schriebenen oder sonst überlieferten Stücken alles gethan sei, nein, fröhlich
sprießend und knospend wächst in der Stille eine neues Geschlecht von Stücken
heran. Ist es denn auch ein Wunder, wenn der Prinzipal nach jahrelangem
Sprechen von schöngesetzten Reden sich endlich in eigner Dichtung versucht?
Meist sind es wichtige politische Ereignisse oder sonstige, das allgemeine
Interesse in Anspruch nehmende Dinge, die diese Ehre erleben. Ich habe selbst
so die Belagerung von Alexandrien, die Reise nach Kamerun entstehen und auf¬
führen sehen. Dem Kundigen entgeht es nicht, daß dabei häufig eine Ähnlich¬
keit mit andern, schon bekannten Stücken vorhanden ist, und daß Redewendungen,
Fragen- und Antwortmassen aus ander" bekannten Stücken unmittelbar entlehnt
sind. Bloße Umarbeitungen von gedruckten und teils als Oper, teils als
Schauspiel, teils auch als Roman schon vorhandenen Stoffen fallen dem auch
den Zeitgeschmack berücksichtigenden Prinzipal natürlich noch leichter. Ich er¬
wähne hier als Beispiel nur den Trompeter von Scikkingen, der mir erst vor
kurzem in einer solchen Umarbeitung für das Puppentheater ausgestoßen ist.
Für das Ergebnis ist dem Unternehmer nicht bange, denn er weiß, zunächst
macht es schon der Titel seines Stückes; und dann, wenn er auch manchmal
in der ersten Zeit mühsam durch die Szenen hindurchstolpert, so sichert ihm
doch eine ordentliche Prügelei oder ein Tanz des Kasper mit der Geliebten
den schallenden Dank seiner Hörer und den gewünschten Schlußerfolg. Es ist
derselbe Genius des Volkes, der schon in längst entschwundener Zeit einem
derartigen Dichter eingab, in den Faust jene Szenen einzulegen, in welchen
Kasper auf dem mit Schwärmern gespickter Drachen abfährt und dann unter
den Scherben des großen thönernen Topfes seine kaum angefangene Luftreise
beendigt.

Doch ich würde die Grenzen dieser Mitteilungen bedeutend überschreiten,
wenn ich über derartige, im Werden begriffene Stücke Genaueres berichten
wollte. Genüge es dem Leser einstweilen, zu wissen, daß der schaffenslnstige
Trieb auch in diesem Teile des Volkslebens noch bestündig und kräftig weiter
fortwirkt.




Kleinere Mitteilungen.
Der neue Büchmann.

Das Erscheinen einer neuen Auflage von Bnch-
manns Geflügelten Worten ist immer ein kleines literarisches Ereignis. Vor
wenigen Wochen ist die fünfzehnte ausgegeben worden.'") Wie hat dieses Buch



*) Geflügelte Worte. Der Zitatenschatz des deutschen Volkes, gesammelt und er¬
läutert von Georg Büchmann. Nach des Verfassers Tode fortgesetzt von Walter
Robert-tvrnvw. Berlin, Hemde- und Spenersche Buchhandlung (F. Weidling), 1887.
Grenzboten III. 18S7. 2S
Kleinere Mitteilungen.

Nun darf man aber nicht etwa denken, daß mit den vorhandenen ge¬
schriebenen oder sonst überlieferten Stücken alles gethan sei, nein, fröhlich
sprießend und knospend wächst in der Stille eine neues Geschlecht von Stücken
heran. Ist es denn auch ein Wunder, wenn der Prinzipal nach jahrelangem
Sprechen von schöngesetzten Reden sich endlich in eigner Dichtung versucht?
Meist sind es wichtige politische Ereignisse oder sonstige, das allgemeine
Interesse in Anspruch nehmende Dinge, die diese Ehre erleben. Ich habe selbst
so die Belagerung von Alexandrien, die Reise nach Kamerun entstehen und auf¬
führen sehen. Dem Kundigen entgeht es nicht, daß dabei häufig eine Ähnlich¬
keit mit andern, schon bekannten Stücken vorhanden ist, und daß Redewendungen,
Fragen- und Antwortmassen aus ander» bekannten Stücken unmittelbar entlehnt
sind. Bloße Umarbeitungen von gedruckten und teils als Oper, teils als
Schauspiel, teils auch als Roman schon vorhandenen Stoffen fallen dem auch
den Zeitgeschmack berücksichtigenden Prinzipal natürlich noch leichter. Ich er¬
wähne hier als Beispiel nur den Trompeter von Scikkingen, der mir erst vor
kurzem in einer solchen Umarbeitung für das Puppentheater ausgestoßen ist.
Für das Ergebnis ist dem Unternehmer nicht bange, denn er weiß, zunächst
macht es schon der Titel seines Stückes; und dann, wenn er auch manchmal
in der ersten Zeit mühsam durch die Szenen hindurchstolpert, so sichert ihm
doch eine ordentliche Prügelei oder ein Tanz des Kasper mit der Geliebten
den schallenden Dank seiner Hörer und den gewünschten Schlußerfolg. Es ist
derselbe Genius des Volkes, der schon in längst entschwundener Zeit einem
derartigen Dichter eingab, in den Faust jene Szenen einzulegen, in welchen
Kasper auf dem mit Schwärmern gespickter Drachen abfährt und dann unter
den Scherben des großen thönernen Topfes seine kaum angefangene Luftreise
beendigt.

Doch ich würde die Grenzen dieser Mitteilungen bedeutend überschreiten,
wenn ich über derartige, im Werden begriffene Stücke Genaueres berichten
wollte. Genüge es dem Leser einstweilen, zu wissen, daß der schaffenslnstige
Trieb auch in diesem Teile des Volkslebens noch bestündig und kräftig weiter
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Kleinere Mitteilungen.
Der neue Büchmann.

Das Erscheinen einer neuen Auflage von Bnch-
manns Geflügelten Worten ist immer ein kleines literarisches Ereignis. Vor
wenigen Wochen ist die fünfzehnte ausgegeben worden.'") Wie hat dieses Buch



*) Geflügelte Worte. Der Zitatenschatz des deutschen Volkes, gesammelt und er¬
läutert von Georg Büchmann. Nach des Verfassers Tode fortgesetzt von Walter
Robert-tvrnvw. Berlin, Hemde- und Spenersche Buchhandlung (F. Weidling), 1887.
Grenzboten III. 18S7. 2S
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[0201] Kleinere Mitteilungen. Nun darf man aber nicht etwa denken, daß mit den vorhandenen ge¬ schriebenen oder sonst überlieferten Stücken alles gethan sei, nein, fröhlich sprießend und knospend wächst in der Stille eine neues Geschlecht von Stücken heran. Ist es denn auch ein Wunder, wenn der Prinzipal nach jahrelangem Sprechen von schöngesetzten Reden sich endlich in eigner Dichtung versucht? Meist sind es wichtige politische Ereignisse oder sonstige, das allgemeine Interesse in Anspruch nehmende Dinge, die diese Ehre erleben. Ich habe selbst so die Belagerung von Alexandrien, die Reise nach Kamerun entstehen und auf¬ führen sehen. Dem Kundigen entgeht es nicht, daß dabei häufig eine Ähnlich¬ keit mit andern, schon bekannten Stücken vorhanden ist, und daß Redewendungen, Fragen- und Antwortmassen aus ander» bekannten Stücken unmittelbar entlehnt sind. Bloße Umarbeitungen von gedruckten und teils als Oper, teils als Schauspiel, teils auch als Roman schon vorhandenen Stoffen fallen dem auch den Zeitgeschmack berücksichtigenden Prinzipal natürlich noch leichter. Ich er¬ wähne hier als Beispiel nur den Trompeter von Scikkingen, der mir erst vor kurzem in einer solchen Umarbeitung für das Puppentheater ausgestoßen ist. Für das Ergebnis ist dem Unternehmer nicht bange, denn er weiß, zunächst macht es schon der Titel seines Stückes; und dann, wenn er auch manchmal in der ersten Zeit mühsam durch die Szenen hindurchstolpert, so sichert ihm doch eine ordentliche Prügelei oder ein Tanz des Kasper mit der Geliebten den schallenden Dank seiner Hörer und den gewünschten Schlußerfolg. Es ist derselbe Genius des Volkes, der schon in längst entschwundener Zeit einem derartigen Dichter eingab, in den Faust jene Szenen einzulegen, in welchen Kasper auf dem mit Schwärmern gespickter Drachen abfährt und dann unter den Scherben des großen thönernen Topfes seine kaum angefangene Luftreise beendigt. Doch ich würde die Grenzen dieser Mitteilungen bedeutend überschreiten, wenn ich über derartige, im Werden begriffene Stücke Genaueres berichten wollte. Genüge es dem Leser einstweilen, zu wissen, daß der schaffenslnstige Trieb auch in diesem Teile des Volkslebens noch bestündig und kräftig weiter fortwirkt. Kleinere Mitteilungen. Der neue Büchmann. Das Erscheinen einer neuen Auflage von Bnch- manns Geflügelten Worten ist immer ein kleines literarisches Ereignis. Vor wenigen Wochen ist die fünfzehnte ausgegeben worden.'") Wie hat dieses Buch *) Geflügelte Worte. Der Zitatenschatz des deutschen Volkes, gesammelt und er¬ läutert von Georg Büchmann. Nach des Verfassers Tode fortgesetzt von Walter Robert-tvrnvw. Berlin, Hemde- und Spenersche Buchhandlung (F. Weidling), 1887. Grenzboten III. 18S7. 2S

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200778/201>, abgerufen am 29.04.2024.